Название: Gesammelte Werke von Dostojewski
Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204205
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III
Am andern Tage erwachte er erst spät, nach einem unruhigen Schlafe, der ihn nicht gekräftigt hatte. Er erwachte in verbitterter, gereizter, ingrimmiger Stimmung und blickte sich mit wahrem Hasse in seinem Kämmerchen um. Dies war ein winziger Käfig, sechs Schritte lang, der mit seiner gelblichen, verstaubten, sich überall von der Wand loslösenden Tapete einen überaus kläglichen Eindruck machte und so niedrig war, daß es einem nur einigermaßen hochgewachsenen Manne darin bange wurde und er jeden Augenblick befürchten mußte, mit dem Kopfe an die Decke zu stoßen. Das Mobiliar paßte zu der Räumlichkeit: es waren drei alte, etwas defekte Stühle da; in einer Ecke ein gestrichener Tisch, auf dem ein paar Hefte und Bücher lagen; schon an der Staubschicht, die sie bedeckte, war zu erkennen, daß seit langer Zeit keines Menschen Hand sie mehr berührt hatte; endlich ein plumpes, großes Sofa, das beinahe die ganze Längswand und die halbe Breite des Zimmers einnahm; einstmals war es mit Kattun überzogen gewesen, von dem aber jetzt nur Fetzen übrig waren; es diente dem Bewohner als Bett. Oft schlief er darauf so, wie er gerade war, ohne sich auszuziehen, ohne Laken, mit seinem alten, abgenutzten Studentenpaletot zugedeckt, unter dem Kopfe nur ein kleines Kissen, unter welches er alles, was er an reiner und getragener Wäsche besaß, herunterpackte, um es am Kopfe etwas höher zu haben. Vor dem Sofa stand ein kleines Tischchen.
Schwerlich konnte jemand tiefer sinken und mehr verkommen; aber Raskolnikow empfand dies in seinem jetzigen Gemütszustande sogar als angenehm. Er hatte sich von allen Menschen völlig zurückgezogen, wie eine Schildkröte in ihre Schale, und selbst das Gesicht der Magd, die die Aufwartung zu besorgen hatte und manchmal einen Blick in sein Zimmer warf, erregte ihm die Galle und reizte ihn zu Krämpfen. Es ist das eine häufige Erscheinung bei Leuten, die an einer bestimmten fixen Idee leiden und ihre Gedanken immer nur auf diesen einen Punkt richten. Seine Wirtin hatte schon vor zwei Wochen aufgehört, ihm Essen zu verabfolgen; aber er hatte noch gar nicht daran gedacht, hinzugehen und sich mit ihr darüber auseinanderzusetzen, obwohl er seitdem eben kein Mittagbrot hatte. Nastasja, die Köchin und einzige Magd der Wirtin, war in gewisser Hinsicht mit dieser Stimmung des Mieters ganz zufrieden; sie hatte nämlich vollständig aufgehört, bei ihm aufzuräumen und auszufegen, und nur so etwa einmal wöchentlich, wenn es sich gerade traf, griff sie nach dem Besen. Sie war es auch, die ihn jetzt weckte.
»Steh auf! Was schläfst du denn noch?« rief sie, neben ihm stehend. »Es ist schon neun durch. Ich habe dir Tee gebracht; willst du ein bißchen Tee trinken? Du bist wohl schon ganz verhungert?«
Raskolnikow öffnete die Augen, fuhr zusammen und erkannte Nastasja.
»Den Tee schickt mir wohl die Wirtin?« fragte er und richtete sich langsam und mit schmerzlichem Gesichtsausdrucke auf dem Sofa auf.
»Die Wirtin wird dir gerade Tee schicken!«
Sie stellte ihre eigene Teekanne, die einen großen Sprung hatte, mit einem zweiten Aufguß vor ihn hin und legte zwei Stückchen gelben Zuckers dazu.
»Hier, Nastasja«, sagte er, nachdem er in seiner Tasche gesucht und ein Häufchen Kupfermünzen hervorgeholt hatte (er hatte in seinen Kleidern geschlafen), »nimm das und geh und kaufe mir Semmeln. Und bringe auch vom Fleischer ein Stückchen Wurst mit, billige.«
»Semmeln will ich dir gleich holen, aber willst du nicht statt der Wurst lieber Kohlsuppe? Sehr gute Kohlsuppe, von gestern. Ich hatte schon gestern welche für dich beiseite gestellt, aber du kamst erst so spät nach Hause. Sehr gute Kohlsuppe!«
Als sie die Kohlsuppe gebracht hatte und er zu essen begann, setzte sich Nastasja neben ihn auf das Sofa und fing an zu plaudern. Sie war vom Lande und sehr redselig.
»Praskowja Pawlowna will dich bei der Polizei verklagen«, sagte sie.
Er zog das Gesicht finster zusammen.
»Bei der Polizei? Warum denn?«
»Du bezahlst nicht und ziehst auch nicht aus. Ist doch klar.«
›Zum Teufel, das hat gerade noch gefehlt!‹ murmelte er zähneknirschend. ›Nein, das ist mir jetzt … sehr ungelegen.‹ – »So ein dummes Frauenzimmer«, fügte er laut hinzu. »Ich werde heute mal zu ihr hingehen und mit ihr sprechen.«
»Dumm mag sie schon sein, gerade so wie ich; aber du bist doch nun so ein kluger Mensch und liegst immer da wie ein Sack, und man sieht nicht, daß du etwas schaffst. Früher gingst du Kinder unterrichten, wie du sagst; warum tust du denn jetzt gar nichts?«
»Ich tue doch etwas …«, erwiderte Raskolnikow mißmutig und finster.
»Na, was denn?«
»Ich habe eine Arbeit vor.«
»Was denn für eine Arbeit?«
»Ich denke«, antwortete er nach einer kurzen Pause ernst.
Nastasja wälzte sich ordentlich vor Lachen. Sie war sehr lachlustig, und wenn sie einmal ins Lachen kam, so lachte sie lautlos, mit dem ganzen Körper sich schüttelnd und schaukelnd, bis sie nicht mehr konnte.
»Du hast dir wohl schon viel Geld verdient mit dem Denken?« vermochte sie endlich herauszubringen.
»Wenn man keine Stiefel hat, kann man keine Stunden geben. Übrigens pfeife ich darauf.«
»Die Leute sagen: Spuck nicht in den Brunnen, aus dem du trinken mußt.«
»Für solche Privatstunden bekommt man einen Quark. Was soll ich mit so ein paar Kopeken?« fuhr er verdrossen fort, wie wenn er seine eigenen Gedanken beantwortete.
»Du möchtest wohl gleich mit einem Male ein ganzes Kapital verdienen?«
Er warf ihr einen seltsamen Blick zu.
»Ja, ein ganzes Kapital«, erwiderte er nach kurzem Überlegen entschieden.
»Na, mach’s nur lieber so ganz allmählich, sonst muß man sich ja vor dir fürchten. Das klingt ja ganz schrecklich. Soll ich nun Semmeln holen oder nicht?«
»Wie du willst.«
»Ja, das hatte ich ganz vergessen: während du gestern fort warst, ist ein Brief für dich angekommen.«
»Ein Brief? An mich? Von wem?«
»Von wem, weiß ich nicht. Ich habe dem Briefträger drei Kopeken von meinem Gelde gegeben. Die gibst du mir doch wieder, nicht wahr?«
»So hole mir doch den Brief, um Gottes willen, hol ihn her!« rief Raskolnikow in größter Aufregung. »O Gott!«
Einen Augenblick darauf war der Brief zur Stelle. Wirklich: von seiner Mutter, aus dem Gouvernement R…! Er wurde blaß, als er ihn in Empfang nahm. Schon seit langer Zeit hatte er keinen Brief erhalten; aber jetzt machte ihm plötzlich noch etwas anderes das Herz beklommen.
»Bitte, geh hinaus, Nastasja! Da sind deine drei Kopeken; nur geh recht schnell hinaus, ich bitte dich dringend«
Der Brief zitterte ihm in den Händen; er wollte ihn nicht in ihrer Gegenwart aufmachen; es verlangte ihn, mit diesem Briefe allein zu sein. Sobald Nastasja hinausgegangen war, führte er ihn schnell an seine Lippen und küßte ihn; dann betrachtete er noch lange die Handschrift der Adresse, die ihm so wohlbekannte und liebe, feine, schräge Handschrift СКАЧАТЬ