Название: Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор: Готфрид Келлер
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027225873
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Indem unser Knabe starr nach ihm hinsah, tat er einen jener stummen, flüchtigen Gebetseufzer, die, wenn sie in Worte zu fassen wären, ungefähr so lauten würden Das ist sehr schön, o Gott ich danke dir dafür, ich gelobe, das Meinige auch zu tun! Wo und wer du auch seist, habe Nachsicht mit mir, du weißt, wie alles kommt in deiner Welt, übrigens mache mit mir, was du willst!
Die Brust des jungen Menschen hob und senkte sich sehr stark; aber seine Seele war so keusch, daß er vor allem pathetischen Verweilen, vor aller Selbstgefälligkeit solcher Augenblicke floh, ehe sich obige wenigen Sätze in seinem Sinne deutlich entwickeln konnten. Also drehte er sich wie der Blitz auf seinem Absatze herum und eilte, nach Norden und Westen zu schauen. Die Sonne war aufgegangen; während im Süden die Alpenkette nun im fröhlichsten hellsten Golde glänzte, hatte das westliche und nördliche flache Land, gegen das Rheingebiet hin, die Rosenfarbe des Morgens angenommen, besonders wo sich die laublosen, für diese Farbe empfänglichen Waldungen und violetten Brachfelder dehnten; was junggrünes Saatland war, schimmerte mehr silbergrau in der Ferne. Von Schnee war außer dem Gebirge keine Spur mehr zu finden; aber das wenige Grün war noch trocken und taulos.
Die Tiefe des Himmels und mit ihr das Gewässer waren jetzt blau und das Land sonnig geworden. Nur der untere Teil der Stadt und der Fluß lagen noch im Schatten, und letzterer ging tief grün, und bloß die länglich ziehenden Spiegel seiner Wellen warfen von ihren glattesten Stellen etwas Blau zurück.
Heinrich Lee sah in seine Vaterstadt hinüber. Die alte Kirche badete im Morgenschein, hie und da blitzte auch ein geöffnetes Fenster, ein Kind schaute heraus und sang, und man konnte aus der Tiefe der Stube die Mutter sprechen hören, die es zum Waschen rief. Die vielen Gäßchen, durch mannigfaltiges steinernes Treppenwerk unterbrochen und verbunden, lagen noch alle im Schatten, und nur wenige freiere Kinderspielplätze leuchteten bestreift aus dem Dunkel. Auf allen diesen Stufen und Geländern hatte Heinrich gesessen und gesprungen, und die Kinderzeit dünkte ihm noch vor der Türe des gestrigen Abends zu liegen. Schnell ließ er seine Augen treppauf und – ab in allen Winkeln der Stadt herumspringen, die traulichen Kinderplätze waren alle still und leer wie Kirchenstühle am Werktag. Das einzige Geräusch kam noch vom großen Stadtbrunnen, dessen vier Röhren man durch den Flußgang hindurch glaubte rauschen zu hören; die vier Strahlen glänzten hell, ebenso was an dem steinernen Brunnenritter vergoldet war, sein Schwertknauf und sein Brustharnisch, welch letzterer die Morgensonne recht eigentlich auffing, zusammenfaßte und sein funkelndes Gold wunderbar aus der dunkelgrünen Tiefe des Stromes herauf widerscheinen ließ. Dieser reiche Brunnen stand auf dem hohen Platze vor dem noch reichern Kirchenportale, und sein Wasser entsprang auf dem Berge diesseits des Flusses, auf welchem Heinrich jetzt stand. Es war früher sein liebstes Knabenspiel gewesen, hier oben ein Blatt oder eine Blume in die verborgene Quelle zu stecken, dann neben den hölzernen Röhren hinab, über die lange Brücke, die Stadt hinauf zu dem Brunnen zu laufen und sich zu freuen, wenn zu gleicher Zeit oben das Zeichen aus der Röhre in das Becken sprang; manchmal kam es auch nicht wieder zum Vorschein. Er pflückte eine eben aufgehende Primel und eilte nach der Brunnenstube, deren Deckel er zu heben wußte; dann eilte er die unzähligen Stufen zwischen wucherndem Efeugewebe hinunter, über den Kirchhof, wieder hinunter, durch das Tor über die Brücke, unter welcher die Wasserleitung auch mit hinüberging. Doch auf der Mitte der Brücke, von wo man unter den dunklen Bogen des Gebälkes die schönste Aussicht über den glänzenden See hin genießt, selbst über dem Wasser schwebend, vergaß er seinen Beruf und ließ das arme Schlüsselblümchen allein den Berg wieder hinaufgehen. Als er sich endlich erinnerte und zum Brunnen hinanstieg, drehte es sich schon emsig in dem Wirbel unter dem Wasserstrahle herum und konnte nicht hinauskommen. Er steckte es zu dem Federchen auf seiner Mütze und schlenderte endlich seiner Wohnung zu durch alle die Gassen, in welche überall die Alpen blau und silbern hineinleuchteten. Jedes Bild, klein oder groß, war mit diesem bedeutenden Grunde versehen vor der niedrigen Wohnung armer Leute stand Heinrich still und guckte durch die Fensterlein, die, einander entsprechend, an zwei Wänden angebracht waren, quer durch das braune Gerümpel in die blendende Ferne, welche durch das jenseitige Fenster der Stube glänzte. Er sah bei dieser Gelegenheit den grauen Kopf einer Matrone nebst einer kupfernen Kaffeekanne sich dunkel auf die Silberfläche einer zehn Meilen fernen Gletscherfirne zeichnen und erinnerte sich, daß er dieses Bild unverändert gesehen, seit er sich denken mochte.
So spielte dieser Jüngling wie ein Kind mit der Natur und schien seine bevorstehende, für seine kleinen Verhältnisse bedeutungsvolle Abreise ganz zu vergessen. Allein plötzlich fiel es ihm schwer aufs Herz, als er nun vor seinem düstern Vaterhause stand und die Mutter ihm ungeduldig aus dem Fenster winkte. Schnell eilte er die engen Treppen hinauf, den Wohngemächern der Haushaltungen vorbei, die alle im Hause wohnten.
»Wo bleibst du denn so lang?« empfing ihn die Frau Lee, eine geringe Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, an welcher weiter nichts auffiel, als daß sie noch kohlschwarze schwere Haare hatte, was ihr ein ziemlich junges Ansehen gab; auch war sie um einen Kopf kleiner als ihr Sohn.
»Da habe ich schon angefangen, deinen Koffer zu packen, weil du sonst vor Abgang der Post nicht mehr fertig würdest.«
Heinrich guckte in den Koffer; mit richtigem Sinn hatte die gute Frau Mappen und Bücher auf den Boden gebreitet; nur hatte sie mit weniger Zartheit verschiedene Bogen und Papiere nicht genugsam zusammengeschichtet, so daß einige derselben an den Wänden des Koffers gekrümmt wurden, was der Sohn eifrig verbesserte. Für Papier haben die meisten Hausfrauen überhaupt nicht viel Gefühl, weil es nicht in ihren Bereich gehört. Die weiße Leinwand ist ihr Papier, die muß in großen, wohlgeordneten Schichten vorhanden sein, da schreiben sie ihre ganze Lebensphilosophie, ihre Leiden und ihre Freuden darauf. Wenn sie aber einmal ein wirkliches Briefchen schreiben wollen, so findet sich kaum ein veraltetes Blatt dazu, und man kann sich alsdann mit einem hübschen Bogen Postpapier und einer wohlgeschnittenen Feder sehr beliebt bei ihnen machen.
Auch hier erwies es sich, daß die Mutter eigentlich die schweren Gegenstände zuunterst gepackt hatte, um die zwölf schönen neuen Hemden zu schonen, welche sie jetzt hineinlegte.
»Trage doch recht Sorge für deine Hemden«, sagte sie, »ich habe das Tuch selbst gesponnen; siehst du, diese sechs sind fein und schön, sie stammen aus meinen jüngeren Jahren, diese sechs hingegen sind schon gröber, meine Augen sind eben nicht mehr so scharf. Alle aber sind schneeweiß, und wenn du auch, während sie noch gut sind, feinere Kleider anschaffen könntest, so darfst du doch meine Wäsche dazu tragen, weil es anständige und ehrbare Leinwand ist. Wechsle recht gleichmäßig ab, wenn du sie der Wäscherin gibst, damit nicht ein Teil zuviel gebraucht wird, und verfasse immer einen genauen Waschzettel. Und daß du mir nur das Weißzeug und dergleichen mehr estimierst als bisher und nichts verzettelst! Denn bedenke, daß du von nun an für jedes Fetzchen, das dir abgeht, bares Geld in die Hand nehmen mußt und es doch nicht so gut bekömmst, als ich es verfertigt habe. Wenigstens untersteh dich nicht mehr und wische deine kotigen Schuhe auf Spaziergängen mit neuen Taschentüchern ab, welche du nachher wegwirfst, wie du neulich getan hast! Halte auch deine zwei Röcklein gut und ordentlich und hänge sie immer in den Schrank, anstatt sie zu Hause anzubehalten und halbe Tage lang so zu lesen, wie ich dich schon oft ertappt habe. Besonders wenn du sie ausbürstest, fahre nicht mit der Bürste darauf herum wie der Teufel im Buch Hiob, daß du alle Wolle abschabst!«
»Das verwünschte Kleiderputzen«, entgegnete hierauf der Sohn, welcher unterdessen beim Ausbreiten der Kleidungsstücke seine Hände auch immer unnützerweise im Koffer hatte, »das verwünschte Kleiderputzen wird überhaupt nun ein Ende nehmen; denn wenn man in der Fremde СКАЧАТЬ