Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
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Название: Gesammelte Werke von Gottfried Keller

Автор: Готфрид Келлер

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027225873

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СКАЧАТЬ ein anderes Stück auf die neutrale Mitte des Tisches, von wo es das freundliche Kind wegholte, und so ging es fort, bis der Vorrat verzehrt war. Dabei hatte sie den Fremden nicht mehr angesehen, jedoch so laut und fröhlich zu dem Tierchen gesprochen und die Hände so fest und traulich nach dem Backwerke bewegt, daß er sich wohl als zur Gesellschaft gehörig betrachten durfte, und er erwiderte auch diese Freundlichkeit durch die größte Stille und Bescheidenheit. Als der Graf nun die Damen nach dem Wagen hinausführte, um dort von ihnen Abschied zu nehmen, grüßte die Kleine unter der Türe Heinrich ganz allerliebst, und dieser machte dem unerwachsenen Kinde ein so ernsthaftes Kompliment, als wenn er die ehrwürdigste Matrone vor sich gehabt hätte.

      Indessen hatte sich im Gastzimmer eine Gesellschaft von sechs bis sieben Männern eingefunden, sämtlich mit runden vollen Gesichtern und blonden Schnurrbärten verschiedensten Schnittes. Sie trugen graue Jagdröcke mit grünen Aufschlägen, und einige waren mit Sporen versehen. Bald hatte jeder einen schäumenden Krug Bier vor sich, welches, nebst einer beabsichtigten Kegelpartie, auch der Hauptinhalt des lauten Gespräches war, aus welchem es sich weiter ergab, daß sämtliche Gesellschaft aus Gerichtsassessoren, Forstleuten, Steuerbeamten und dergleichen bestand; auch ein Physikus war dabei. Äußerlich konnte man sie nicht unterscheiden, weil alle gleich rüstig und forstmäßig aussahen, und Heinrich betrachtete sie mit Wohlgefallen und gestand sich, daß diese sporenklirrenden Beamten in ihren Jagdtrachten sich keck und malerisch ausnähmen im Gegensatz zu den nüchternen und friedlichen Würdeträgern in den Dörfern seines Vaterlandes. Die Männer sprachen viel von Büchsen und Kugeln, und er schrieb ihnen deswegen auch einen gehörigen Verstand zu, von seiner Heimat her gewohnt, denselben meistens bei guten Schützen und wehrhaften Leuten zu finden. Über diesen Betrachtungen hatte er achtlos den Kopf bedeckt, um sich das Anlegen seines Mantels, das Bezahlen seiner Zeche und dergleichen bequemer zu machen, und näherte sich schon der Türe, als einer der Herren vor ihn hintrat und ihm die Mütze vom Kopfe nahm mit den Worten »Wenn Sie nicht wissen, mein Herr, was hierzulande Sitte ist, so ist man genötigt, es Ihnen deutlich zu zeigen!« – Heinrich sah ganz verblüfft auf den Redner, dann auf die großen Bierkrüge und in der braunen Stube umher; seine Augen glitten aber ab von den höhnischen Gesichtern, auf welche sie trafen und die darauf hinwiesen, daß diese Szene das Resultat einer förmlichen, vorhergehenden Beratung war; denn alle Genossen des Angreifers standen im Kreise um ihn herum. Jetzt erst wurde er feuerrot und stammelte zornig »Wie können Sie sich unterstehen –«, dabei hob er seine Mütze vom Boden auf, drehte sie krampfhaft zusammen und hatte nicht übel Lust, den Mann damit ins Gesicht zu schlagen. Zugleich riefen verschiedene Stimmen »Sein Sie ruhig, oder man wird Sie hinauswerfen!«

      »Ich ersuche Sie, das bleibenzulassen, meine Herren!« sagte der Graf, welcher hereinkommend alles mit angesehen hatte, mit entschiedener Stimme und trat neben Heinrich. »Wenn hier jemand«, fuhr er fort, »keine Lebensart besitzt, so ist es jedenfalls nicht dieser junge Mann, und insbesondere verwahre ich mich dagegen, daß es deutscher Sitte gemäß sei, einen harmlosen Reisenden durch Tätlichkeiten zu belehren!«

      Die Anwesenden hatten sich schon stillschweigend zurückgezogen, und der dicke Wirt, welcher vorhin keine Miene gemacht hatte, den Fremden in seinem Hause zu beschützen, war in angstvoller Verlegenheit. Nur der Anführer der Beamtengesellschaft erwiderte mit unsicherer Stimme »Wenn wir von einem Fremden die gebührliche Achtung verlangen, so geschieht es in Rücksicht auf des Königs Majestät, dessen Stellvertreter wir sind.«

      »Es liegt schwerlich im Wunsche des Königs, daß seine Beamten sich hinter den Bierkrug lagern, um darüber zu wachen, daß jeder Reisende im Lande den Hut abzieht!« Damit faßte der Graf seinen Schützling unter den Arm und ging mit ihm hinaus.

      Die Beamten liefen in großer Verwirrung in der Stube umher und ergriffen stumm und grimmig ihre Krüge; sie schämten sich nicht voreinander, sondern vor den Wirtsleuten, welche Zeugen ihrer Demütigung gewesen waren. Nur einer sagte »Das war wieder einmal Wasser auf seine Mühle, da konnte er seine merkwürdigen Launen wieder auslassen! Schade, daß er mit seinem Spleen nicht in England zu Hause ist!«

      »Ich glaube, er würde noch lieber nach Amerika gehören«, versetzte ein anderer mit pfiffigem Ausdruck. –

      In dem alten Wagen, als derselbe auf der Landstraße dahinfuhr, saßen die beiden Neubekannten anfangs schweigend und verstimmt. Heinrich aus guten Gründen; denn die leiseste Berührung einer fremden männlichen Hand in feindlicher Absicht jagt das Blut immer in eine heftige Wallung und hat schon oft genug Mord und Totschlag zur Folge gehabt; sein Begleiter hingegen mochte etwas ärgerlich darüber sein, daß er in so kurzer Zeit einen unscheinbaren Fremden wiederholt gegen die Ungezogenheit der eigenen Umgebung hatte schützen müssen, wozu noch die Ungewißheit kam, ob diese in Beziehung auf den innern Wert des Schützlings wohl auch notwendig sei? Wie um sich hierin zu versichern, eröffnete er endlich das Gespräch, indem er Heinrich nach seinem Herkommen befragte. Als dieser erwiderte, daß er Schweizer sei und zum ersten Mal in Deutschland reise, versetzte der Graf »Und sind Sie überrascht durch die vorige Tölpelei, oder finden Sie irgendeine vorgefaßte Meinung bestätigt?«

      »Ich soll eigentlich nicht überrascht sein, wenn ich bedenke, daß jedes Volk seine eigenen Sitten hat, welche kennenzulernen der Fremde wohltut. Ich erinnere mich jetzt wirklich, daß in meiner Heimat dem Reisenden ähnliche Unannehmlichkeiten widerfahren, indem dort das Landvolk, wenn es von Begegnenden nicht gegrüßt oder sein Gruß nicht erwidert wird, dem Fehlenden Schimpf und Spott nachsendet. Dabei herrscht eine so genaue Etikette, daß der Ankommende oder Vorübergehende denjenigen, der an einer Stelle sitzt oder steht, zuerst begrüßen muß, wenn er nicht ausgescholten werden will.«

      »Da scheint mir aber doch eine schönere Sitte allgemeiner Freundlichkeit und Zutraulichkeit zugrunde zu liegen, als die tolle Respektwut unserer Honoratioren ist. Oder ist es vielleicht die gleiche moralische Triebfeder, indem Ihr Landvolk sich als republikanischer Souverän respektiert wissen will?«

      »Durchaus nicht! Das Volk bei uns hat nicht nötig, sich seine Bedeutung durch solche Dinge zu vergegenwärtigen; es atmet seine Lebensluft, ohne daran zu denken; der Herzschlag seines politischen Lebens gehört ebensowohl zu den unwillkürlichen Bewegungen als derjenige seines physischen Körpers. Auch sind Leute, welche eine absolute persönliche Nichtsnutzigkeit und Hohlheit fortwährend durch ihren überkommenen Anteil an der bürgerlichen Souveränetät übertünchen wollen, nicht besonders angesehen. So mag es kommen, daß das Volk auf den Straßen den Postzug eines durchreisenden gekrönten Hauptes mit kindlicher Verwunderung begafft und, wenn es etwas recht Großes und Reiches bezeichnen will, die Worte König und königlich so wohl anwendet wie alle übrige Welt, oft mit solcher Naivetät, daß der geschulte Demokrat sich darob ärgern mag.«

      »Wenn Sie hierin noch die glückliche Stimmung Ihres Volkes teilen, werden Sie sich also nicht unbequem fühlen während Ihres Aufenthaltes in einer Monarchie?«

      »Solange ich die Gewißheit habe, zurückzukehren, sobald ich will, wohl nicht. Indessen muß ich Ihnen gestehen, mein Herr, daß doch schon eine sonderbare Stimmung anfängt, sich meiner zu bemächtigen, und der heutige Auftritt machte dieselbe nur klarer. Es ist mir zu Mute, wie wenn irgendeiner zarten und bisher unberührten Saite meines Innern plötzlich Gewalt angetan wäre; jeder Stein, jeder Baum scheint hier einen Stempel zu tragen, noch neben dem der Gottheit und der Natur. Jedes Postschild scheint mir zuzurufen Du mußt dich auch zeichnen lassen wie ich, hier ist alles das erste und letzte Eigentum eines einzelnen Menschen! Und je weniger das Wort in Wirklichkeit wahr ist, besonders in einer gesetzlich eingerichteten Monarchie, desto mehr kommt es mir als ein unwürdiger Spaß, als ein blauer Dunst vor, den man sich mit ernsthaftem Gesicht vormacht; je weniger ich, wenn ich recht tue, nach jemandem zu fragen habe, desto lästiger ist es mir, wenn ich mich doch so anstellen soll, vor einer Namenschiffer den Hut abzuziehen und den Nachbar dabei zu versichern, daß dies mein höchster Ernst sei. Eigentlich regieren überall doch diejenigen, welche die nötige Einsicht und Überlegenheit im Guten wie im Bösen dazu haben; manchmal ist es der Fürst, manchmal der letzte Hirtensohn seines Reiches, zuletzt fast СКАЧАТЬ