Название: Gesammelte Werke von Nikolai Gogol
Автор: Nikolai Gogol
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027211272
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Derweil hatte längst die Steppe ihre grünen Arme um den kleinen Trupp geschlagen. Der dichte und hohe Graswuchs verbarg ihn, nur die schwarzen Kosakenmützen sahen noch zwischen den Rispen hervor.
»Potz Kuckuck, warum so trübselig, Burschen?« rief Bulba endlich und raffte sich aus der Versunkenheit auf. »Sind wir denn Mönche, was? Immer munter! Hol der Fuchs die Gedanken! Steckt euch ne Pfeife zwischen die Zähne! Rauchen wir eins, drücken wir unsern Gäulen die Sporen ein! Und los, daß uns der Vogel in den Lüften nicht nachkommt!«
Die Kosaken bückten sich auf die Gäule und verschwanden im Gras. Auch die schwarzen Mützen sah man nicht mehr, nur ein niedergetretner Streifen im Gras blieb als Spur ihres eilenden Rittes.
Die Sonne schaute schon lange von einem entwölkten Himmel herab und tauchte die Steppe in ihr belebendes, wärmendes Licht. Alle Düsternis und Verträumtheit war aus den Köpfen der Kosaken wie weggeblasen; ihre Herzen schüttelten sich gleich erwachenden Vögeln.
Die Steppe wurde schöner, je weiter sie kamen. Zu der Zeit war der ganze Süden, die grenzenlose Fläche, die das heutige Neurußland bildet, bis ans Schwarze Meer hinunter eine jungfräuliche grüne Einöde. Nie war der Pflug durch die unermeßlichen Wellen des Wildwuchses gegangen; nur die Pferde, die sich darin verstecken konnten wie in einem Walde, stampften ihn nieder. Nichts Schöneres gab es auf der Welt – der ganze Erdkreis glich einem grüngoldigen Ozean, über den Millionen von bunten Blumen ausgeschüttet waren. Zwischen den schlanken Grasstengeln schimmerte es lichtblau, tiefblau und lila, der gelbe Ginster hob seine Pyramiden darüber hinaus, das weiße Schaumkraut sprenkelte mit seinen Schirmdolden das Grün, die Weizenähren, Gott mochte wissen, woher sie kamen, reiften in dichter Fülle. Unten huschten Rebhühner mit sichernden Hälsen durch das zierliche Stengelwerk. Die Luft war erfüllt von tausend Vogelstimmen. Unbeweglich hing der Weih mit gespreiteten Flügeln im Himmel und spähte scharf in das Grasmeer. Der Schrei einer fliegenden Wolke von Wildgänsen klang von einem fernen See herüber. Aus dem Gras erhob sich trägen Flügelschlages die Möwe. Und schon ist sie hoch, hoch oben, du siehst sie nur noch als schwarzen Punkt; da macht sie eine Wendung mit den Flügeln und blitzt hell in der Sonne … Hol dich der Teufel, Steppe, schön bist du!
Unsere Reisenden machten zu Mittag nur kurze Rast. Die zehnköpfige Kosakenabteilung, die sie begleitete, saß ab und packte die hölzernen Schnapsflaschen aus und die Kürbisflaschen, die als Trinkgefäße dienten. Gegessen wurde nur Zwieback oder Brot mit Salz, trinken durfte keiner mehr als eine Schale voll, denn Bulba duldete unterwegs kein Saufen. Dann ging der Ritt bis an den Abend weiter.
Um diese Zeit verwandelte sich die Steppe: ihre bunte Fläche leuchtete grell in der scheidenden Sonne und wurde langsam dunkler; man sah förmlich den Schatten der Nacht heranlaufen, düstres Grün verhüllte die Erde, die kräftiger zu atmen schien, jede Blume, jedes Gras hauchte Ambra, die weite Steppe dampfte von Wohlgeruch. Am tiefblauen Himmel standen, wie mit dem Pinsel gemalt, breite Streifen von rosigem Gold, verloren leuchtete hier und da ein weißer, durchsichtiger Wolkenbausch, frischer Windhauch, zart schmeichelnd wie Meereswellen, brachte die Wipfel des Grases leise ins Wiegen und war kaum auf der Wange zu spüren. Die starke Musik, die den Tag erfüllt hatte, klang ab, und eine neue erwachte. Bunte Zieselmäuse schlüpften aus ihren Löchern, machten Männchen und erfüllten die Steppe mit hellen Pfiffen. Das Klirren der Grillen wurde heißer. Manchmal scholl von einem einsamen See in der Ferne der Schrei eines Schwans herüber und flirrte wie Silber in der Luft. Die Reisenden machten auf freiem Feld halt, suchten sich einen Lagerplatz, fachten ein Feuer an und stellten den Kessel darauf, in dem sie ihr Hammelfleisch kochten; der Rauch stieg schräg gen Himmel. Nach dem Essen legten sich die Kosaken schlafen und ließen die gekoppelten Gäule weiden. Sie lagen auf ihren Röcken und deckten sich mit dem gestirnten Firmament zu. Hell und rein erklang in der frischen Nachtluft das Summen, Zirpen und Brummen von Myriaden Insekten und lullte sie sanft in Schlaf. Wenn einmal einer aufstand, lag die Steppe übersät von den Lichtpünktchen der Johanniskäfer vor seinem Blick. Hin und wieder zeigte sich, bald da, bald dort, am Himmel ferner Feuerschein: irgendwo in der Steppe oder am Flußufer brannte trocknes Röhricht; und ein nordwärts strebender dunkler Zug von Schwänen erglänzte plötzlich in silbern rosigem Licht – das sah aus, als segelten rote Tücher unter dem dunkeln Himmel dahin.
Kein Abenteuer störte die Reise. Nicht ein einziger Baum kam den Reitern zu Gesicht – nichts als die unendliche Steppe in freier Schönheit. Hier und da nur blauten am Horizont die Wipfel der fernen Waldungen, die die Ufer des Dnjeprs begleiten.
Einmal deutete Taraß auf einen einzigen schwarzen Punkt weit drüben im Gras und sagte zu den Söhnen: »Seht, Burschen, da reitet ein Tatar.«
Ein kleiner schnurrbärtiger Kopf musterte sie aus der Ferne mit schiefen Äuglein, witterte wie ein Jagdhund und gab Fersengeld gleich einer Gemse, als er sah, daß die Kosaken selbdreizehnt waren.
»Los, Burschen, probiert einmal, ob ihr den Tataren nicht fangt! – Ach nein, probiert es erst gar nicht – unmöglich, daß ihr den kriegt: sein Gaul kann laufen wie nicht einmal mein Teufel.«
Bulba sah sich aber doch vor – man wußte ja nicht, ob nicht irgendeine Teufelei dahinterstecke. Sie schlugen sich zu einem Flüßchen hinüber, das die Tatarka heißt und in den Dnjepr mündet. Dort ging es ins Wasser; sie ritten eine ganze Weile im Flußbett, ihre Spuren zu verwischen. Erst dann wurde wieder das Ufer gewonnen und die Reise fortgesetzt.
Nach drei Tagen näherten sie sich ihrem Ziel. Die Luft wurde plötzlich kühler; die Nähe des Dnjeprs machte sich geltend. Und da blitzte es schon in der Ferne – Wasser und Himmel, geschieden durch den dunkeln Streifen des Horizontes. Der Strom wälzte kühle Wellen und kam näher und näher, bis er endlich den halben Gesichtskreis füllte. Es war die Stelle im Laufe des Dnjeprs, wo er, den Engen und Schnellen entronnen, die Freiheit findet und braust wie das fessellose Meer, wo die Inseln in seiner Strömung ihn noch weiter aus den Ufern drängen und seine Wogen das Land überfluten, ohne daß sich ihnen Klippen und Anhöhen in den Weg stellen.
Die Kosaken saßen ab, führten ihre Gäule auf den Prahm und landeten nach dreistündiger Fahrt am Strande der Insel Chortitza, wo das Lager, dessen Sitz häufig wechselte, zur Zeit seinen Platz hatte.
Ein Haufe Volkes stritt sich am Land mit den Fährleuten herum. Die Kosaken sattelten die Pferde. Taraß warf sich in die Brust, zog seinen Gurt enger und strich sich martialisch den Schnauzbart. Seine Söhne hielten gleichfalls eine Nachmusterung über ihr Äußeres vom Kopf bis zu den Füßen, in einer wolkigen Mischung aus Neulingsfieber und Freude. Dann ritten sie in die Vorstadt ein, von der es noch eine halbe Werst zum Lager war. Betäubend dröhnten ihnen aus fünfundzwanzig unterirdischen, rasengedeckten Schmieden fünfzig Schmiedehämmer entgegen. Stämmige Gerber saßen unter den Vordächern der Häuser und walkten Rindshäute mit ihren starken Fäusten, Händler hielten in Zelten Stahl, Stein und Pulver feil, ein Armenier bot kostbare Tücher zum Kauf, ein Tatar briet Hammelschnitten in Teig am Spieß, ein Jude zapfte mit vorgerecktem Kopf Schnaps aus dem Faß. Der erste Mensch aber, auf den sie stießen, war ein Kosak, der mitten im Weg schlafend lag und alle viere von sich streckte. Taraß Bulba konnte nicht anders: er mußte haltmachen und ihn beinah verliebt bewundern.
»Herrgott, wie protzig er daliegt! Kreuzteufel, was kostet die Welt!« sagte er und zügelte sein Pferd.
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