Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch) - Franz Werfel страница 214

СКАЧАТЬ lange hast du schon nichts gegessen, Iskuhi?«

      »Vorhin hat uns Mairik Antaram etwas gebracht«, log sie, »ich habe genug ...«

      Gabriel drückte Iskuhi fest an sich, das Halbschlafgefühl ihrer Nähe wieder suchend:

      »Es war so merkwürdig schön, als ich vorhin neben dir aufgewacht bin ... Wie lange schon hab ich dich nicht bei mir gehabt, Iskuhi, Schwesterchen ... Jetzt bin ich sehr glücklich, daß du gekommen bist ... Glücklich bin ich jetzt, Iskuhi ...«

      Ihr Gesicht sank langsam gegen das seine, als sei sie zu schwach, ihren eigenen Kopf zu tragen:

      »Du bist nicht gekommen ... Da bin ich gekommen ... Es ist doch schon so weit, nicht wahr?«

      Seine Stimme klang dunkel wie aus dem Schlaf:

      »Ja, ich glaube, es ist schon so weit ...«

      Aus Iskuhis Worten sprach ein erschöpftes und doch trotziges Auf-ihrem-Recht-Bestehen:

      »Du weißt ja, was wir besprochen haben ... was du mir versprochen hast ... Gabriel ...?«

      Er nahm sie aus einer fernen Verlorenheit zurück:

      »Vielleicht liegt noch ein langer Tag vor uns ...«

      Mit einem tiefen Atemzug wiederholte sie diese Worte, als seien sie ein Geschenk:

      »Ein langer Tag noch ...«

      Immer wärmer umfing sie sein Arm:

      »Ich habe eine große Bitte an dich, Iskuhi ... Wir haben ja oft darüber gesprochen ... Juliette ist viel ärmer und unglücklicher als wir beide ...«

      Sie bog ihre Wange vom Gesicht des Mannes weg. Gabriel aber nahm ihre kranke Hand, streichelte und küßte sie immer wieder:

      »Wenn du mich liebhast, Iskuhi ... Juliette ist so unmenschlich einsam ... unmenschlich einsam ...«

      »Juliette haßt mich ... Sie kann mich nicht ertragen ... Ich will sie nicht wieder sehn ...«

      Seine Hand spürte den Krampf, der sie erschütterte:

      »Wenn du mich liebhast, Iskuhi ... Ich bitte dich, bleib bei Juliette ... Ihr müßt bei Sonnenaufgang die Zelte verlassen ... Ich werde ruhiger sein ... Sie ist am Wahnsinn, und du bist gesund ... Wir werden uns wiedersehn ... Iskuhi ...«

      Ihr Kopf sank vor. Sie weinte lautlos. Da flüsterte er:

      »Ich hab dich lieb, Iskuhi ... Wir werden beieinander sein ...«

      Nach einer Weile versuchte sie aufzustehn:

      »Ich gehe jetzt ...«

      Er hielt sie fest:

      »Jetzt noch nicht, Iskuhi! Jetzt mußt du noch bei mir bleiben. Ich brauche dich ...«

      Langes Schweigen. Er fühlte seine Zunge schwer und unbeweglich im Mund. Der scharf pochende Kopfschmerz wuchs. Der flugleichte Schädel verwandelte sich in eine riesige Bleikugel. Gabriel sank in sich zusammen, wie von einem andern Kolbenhieb gefällt. Sarkis Kilikians stumpfe Augen sahen ihn mit apathischem Ernst an. Er erschauerte vor sich selbst. Wo lag der Russe? Hatte er den Befehl gegeben, die Leiche fortzuschaffen? Alles, was in diesen letzten Stunden geschehen war, schien völlig fremd, ihm nicht angehörig, wie ein tolles Gerücht. Er verfiel in eine schwerfällige unbestimmte Grübelei, wobei er selbst nur der Mittelpunkt eines wellenartigen Kopfschmerzes war, der ihn umbrandete. Als Gabriel dann schreckhaft auffuhr, hatte sich Iskuhi schon erhoben. Er tastete entsetzt nach seiner Uhr:

      »Wie spät ist es? ... Jesus Christus! ... Nein, Zeit, Zeit!! ... Warum hast du mir die Decke gegeben? ... Du zitterst ja vor Kälte ... Du hast recht, es ist besser, du gehst jetzt, Iskuhi ... Du gehst zu Juliette ... Ihr habt noch fünf, sechs Stunden vor euch ... Ich werde Awakian rechtzeitig schicken ... Gute Nacht, Iskuhi ... Tu mir die Liebe und nimm die Decke um ... Ich brauche sie nicht ...«

      Er hielt sie noch einmal im Arm. Doch ihm war's, als strebe sie fort und sei wesenlos und schattenhaft. Da versprach er noch einmal:

      »Es ist kein Abschied. Wir werden beieinander sein ...«

      Als Iskuhi schon eine ganze Weile lang fort war und er sich wieder hinlegen wollte, da fiel ihm die Erinnerung an sie plötzlich schwer aufs Herz. Vor Schwäche hatte sie ja kaum gehn können. Ihre Glieder waren steifgefroren. Ihr gebrechlicher Körper schien kaum mehr vorhanden. War sie nicht krank und hinfällig selbst? Und er hatte sie um Juliettens willen fortgeschickt. Gabriel machte sich Vorwürfe, daß er nicht einmal ein Stück des finsteren tückischen Weges mit Iskuhi gegangen war. Er eilte die halbe Kuppe hinab und rief:

      »Iskuhi! Wo bist du? Wart auf mich!«

      Keine Antwort. Sie war wohl schon zu weit entfernt, um seine Stimme zu hören.

      Der Hüttenbrand knallte und prasselte noch immer laut herüber. Gott weiß, woher das Feuer in dieser Armut die Nahrung hernahm, um bis tief in die Nacht hinein so laut und so geschwätzig zu bleiben. Übrigens hatte es mittlerweile immer mehr von den Bäumen und Büschen ergriffen, die dem Lager zunächst wuchsen. Vielleicht würden die Türken morgen einem zweiten Bergbrand gegenüberstehn. Gabriel lief ein Stück auf den Dreizeltplatz zu. Da er aber Iskuhi weder einholen noch errufen konnte, kehrte er langsam wieder zu den Haubitzen zurück.

      Auf seiner Uhr, die er als einzige Verbindung zur großen Menschheit dort draußen stets mit großer Regelmäßigkeit aufzog, war es noch nicht eins. Er konnte aber nicht mehr schlafen.

      Gegen drei Uhr morgens war der Brand in der Stadtmulde zusammengesunken. Nur mehr ein Blaken und Glühen und dann und wann ein aufschießender Blitz meldeten das Geschehene. In den Bäumen freilich gloste es immer weiter, doch war auch hier dem Feuer schon das Ziel gesetzt. Das Glutecho am Himmel jedoch überdauerte seine Ursache. Der brandige Fleck wich nicht. Der Nebel hatte sich wohl mit dem Widerschein vollgesogen und hielt ihn fest wie eine wirkliche Substanz. Gabriel weckte um diese Stunde Awakian. Der Student hatte sich auch in der Nähe der Haubitzen hingeworfen. Er schlief so fest, daß ihn Bagradian lange vergeblich schüttelte. Man erkennt die Güte eines Menschen daran, wie er sich verhält, wenn er aus dem Schlaf gerissen wird. Awakian machte ein paar abwehrende Bewegungen, dann hob er verwirrt den Kopf. Sogleich aber, da er den Patron fühlte, sprang er auf und lächelte erschrocken in die Finsternis, als müsse er für seinen tiefen Schlaf um Entschuldigung bitten. Seine Bereitwilligkeit jedoch war stärker als sein Erwachtsein. Gabriel reichte ihm die Flasche, in der er noch einen Rest Kognak hatte:

      »Hier, trinken Sie, Awakian! ... Nur Mut! Ich brauche Sie jetzt. Wir werden keine Zeit mehr haben, miteinander zu sprechen ...«

      Sie setzten sich mit dem Rücken zur Stadtmulde, so daß sie undeutlich die Posten der neuen Verteidigungslinie beobachten konnten. Einige von diesen Männern trugen abgeblendete Laternen. Träge bewegten sich diese Lichträtsel hin und her. Die Windstille hielt unverändert an:

      »Ich habe nicht geschlafen, keinen Augenblick«, gestand Gabriel, »habe an vieles zu denken gehabt, trotz dieser Schädelbeule da, die sich verdammt bemerkbar macht.«

      »Schade! Sie hätten schlafen müssen, Effendi ...«

      »Wozu? Der Tag, den wir lange genug hinausgeschoben haben, ist da. Ja, ich wollte Ihnen sagen, Awakian, СКАЧАТЬ