Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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СКАЧАТЬ Bewaffneten eingeklemmt. Sie entwanden ihm den Leuchter, sie stießen ihn brüllend hin und her, endlich rissen sie ihn zu Boden. Jetzt knatterten die Schüsse im Rücken der Menge auf. Ein wahnsinniger Angstschrei drosch alles auseinander. Die Muchtars mit ihren Weibern versuchten jammernd zu fliehen. Bagradian aber drängte mit vorgehaltenem Revolver in den Knäuel, um Ter Haigasun zu befreien. Einer der Deserteure, der ihm folgte, ließ mit voller Wucht den Gewehrkolben auf ihn niedersausen. Gabriel stürzte zusammen. Hätte der Hieb den Tropenhelm von seinem Kopf geschleudert, so wäre es sein Ende gewesen. Der Kolbenschlag trieb aber den widerstandsfähigen Korkhelm tief in sein Gesicht, wobei zugleich die tödliche Wucht abgefangen wurde. Bagradian fiel in Betäubung, ohne wirklich verletzt zu sein. Andre hatten inzwischen Ter Haigasun an einen der tief in die Erde gerammten Eckpfosten des Altargerüstes mit starken Hanfstricken gebunden. Der Priester wehrte sich lautlos, aber mit erstaunlicher Kraft. Hätte er das Dolchmesser gehabt, das er in seiner gewöhnlichen Kutte bei sich trug, einer von den Verbrechern wenigstens hätte mit dem Leben bezahlen müssen. Die Muchtars standen in der Feme, keuchend und schlotternd. Alte Leute waren sie alle mit hungerverschrumpften Muskeln. Sie konnten Ter Haigasun nicht beispringen. Ihnen fehlte ja selbst die Kraft, sich in Sicherheit zu bringen. Die Weiber und Töchter versuchten es, sie mit unmenschlichen Schreien zurückzuzerren. Die Menge verstand noch immer nichts. Durch das Gewehrgeknatter halb wahnsinnig geworden, drängte sie vorwärts gegen den Altar. Da aber zugleich die vorderen Reihen zurückfluteten, entstand ein heilloser Strudel von Leibern, Angst- und Wehgekreisch. Schon stießen ein paar der schlimmsten Burschen, die seit Monaten kein Weib berührt hatten, von außen her wie Fischadler in den Tumult und packten mit ihren schmutzigen Fängen eine Frau hier, ein Mädchen dort. An Ort und Stelle versuchten sie den aufgellenden Opfern die Feiertagskleider und den Schmuck vom Leibe zu zerren. Ein andrer Trupp, der größere Nüchternheit bewies, stürmte in die Hüttengassen, um die ärmste Armut zu plündern. All dies war von solch unermeßlicher Greulichkeit, daß die menschliche Seele, um aufatmen zu können, diese Schurkerei lieber für Tollwut ansehn möchte, für die Todeszuckung eines Volkskörpers, dem der Rassenfeind jeden Nerv einzeln durchschnitten hatte. So war's denn noch tröstlich, daß nicht alle von den Spießgesellen sich aktiv beteiligten und eine erhebliche Anzahl nur Zuschauer-, Mitläufer- und Statistendienste leistete.

      Mittlerweile machten sich die ersten Zeichen der Gegenwehr bemerkbar. Einige vom Lagervolk, die noch halbwegs bei Kräften waren, bekamen diesen und jenen Deserteur, der zwischen ihnen festgekeilt stand, zwischen die Fäuste. Die Kunden wurden entwaffnet, niedergeworfen und halb zertreten. Entschlossene drängten vor, um Ter Haigasun zu befreien. Noch ein paar Minuten, und es wäre vielleicht zu einem namenlosen Blutbad durch die von der Oberzahl bedrängten Verbrecher gekommen, die ihre Gewehre schon fertigmachten. Aber das tollgewordene Schicksal übersteigerte sich noch einmal. Wie in den letzten Tagen so oft schon, sprang der Wind um, das heißt, ein jäher Wirbelwind begann um den Platz zu kreisen. Da niemand mehr den Altar bewachte, wurden zwei hölzerne Leuchter und ein Gefäß mit Blumen umgeworfen und rollten vom heiligen Tisch. Ter Haigasun rang noch immer stumm mit den dicken Stricken, die ihn an das Gerüst fesselten. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, um Kraft zu sammeln. Bei jedem neuen Stoß wankte der Bau. Seine blutunterlaufenen Augen suchten die Hilfspriester, die Sänger, Asajan, den Küster. Diese alle aber waren verschwunden oder wagten sich nicht in die Nähe des Gefesselten, der von einem Haufen der Deserteure bewacht wurde, wohl damit die Munitionsräuber in Ruhe entkommen könnten. Bei diesen Deserteuren am Altar stand auch Sarkis Kilikian. Er sah Ter Haigasun und seinen wilden Befreiungsversuchen interessiert zu, so als hätte er an all diesen Vorgängen und Schicksalen nicht den geringsten Anteil und stehe aus purer Neugier hier. Nach einer Weile verließ er schlendernd den Schauplatz. Sein gelangweilter Rücken schien zu sagen: Nun hab ich genug. Es ist auch höchste Zeit. Kaum aber hatte sich Kilikian entfernt, geschah das Ungeheuerliche. Nur weil sein Verschwinden so auffällig damit zusammenfiel, brachte ihn Ter Haigasun später mit der Brandstiftung in Zusammenhang. In Wirklichkeit ging der Russe an den Stufen vorbei und berührte gar nicht die Blätterwand, die sich drei Schritte hinter dem Gerüst erhob. Anfangs knisterte es in dem trockenen Holz- und Blättergeflecht nur recht zahm und harmlos. Die Flamme aber, die dann jählings hochflatterte, hatte mindestens die doppelte Höhe der Flechtwand. Sie wurde vom Meerwind sofort eingeknickt und nach rechts umgelegt. Geflügelte Zungen und freie Fähnchen lösten sich los und besprangen das Dach der nächstliegenden Baracke. Dies war die prächtige Behausung Thomas Kebussjans, die sogar durch die Aufschrift »Gemeindehaus« ausgezeichnet war. Bei dieser ersten Gelegenheit benahm sich das Feuer gleichsam noch verlegen, als habe es Gewissensbisse zu überwinden. Als aber das Reisigdach der Baracke binnen einer Minute mit einem Knall hoch aufflammte, da gab es keinen Halt mehr. Wie auf dem Boulevard einer Großstadt die Lichterreihe aufblitzt, so fuhr der Brand um den Platz, fast gleichzeitig aus jeder Hütte emporschlagend. Vielleicht hatten die Schurken mehrere Brandherde entzündet, um durch ein Riesenfeuer das Volk festzuhalten und eine Verfolgung unmöglich zu machen. Auch die Feuerfahne der Regierungsbaracke stieg jetzt in die Höhe. Sicher war eines nur, daß sich schon hei Beginn des Brandes der böse Besuch aus der Stadtmulde verzogen zu haben schien.

      Als die Zweigichtwand hinter dem Altar urplötzlich aufflammte, barst die Menge wie eine Granate. Niemand kümmerte sich mehr um die Verbrecher, niemand mehr um den Altar, den gefesselten Priester und den vermeintlichen Toten. Mit einem fremdartigen, fast wiehernden Jammerlaut stürzten sich die Menschen in die Hüttengassen. Alles verloren! Kein Löschgerät. Wer konnte den Brand beschwören? Nur retten, was zu retten ist! Die Matten, die Decken, die Betten! Das Lebensnotwendigste. Vielleicht auch das Handwerkszeug, ein Angedenken, alles, alles was man aus der Talheimat mitgeschleppt hatte, daß es einen bis zum Tod begleite. So verwachsen war selbst in diesem Augenblick noch der Eigentums- mit dem Lebenstrieb, daß es in dem ganzen Volke nicht einen einzigen gab, der dem Bergungsdrang nicht erlegen wäre. Keiner schien auf den einfachsten Gedanken zu kommen: Wozu die Mühe? Was hilft es mir noch, ob ich das Lumpenzeug habe oder nicht? Besser stillsitzen und dem Feuer zusehn! – Die Muchtars und Dorfreichen aber, jene schlotternden Alten, die der Schreck so festgenagelt hatte, daß sie Ter Haigasun nicht beistehn konnten, nun bekamen sie plötzlich Beine. Ihr Geld verbrannte. Die schön geglätteten Pfundnoten, die, in den Winkeln der Hütten, unter dem Bettzeug wohlvergraben, hilflos des Retters harrten. Geld war Geld, bitter erworben, heilig gehalten, wenn's auch für dieses Leben keinen ersichtlichen Zweck mehr haben konnte. In großen Sprüngen jagten die Alten mit ihren Weibern und Töchtern heimwärts. Kebussjan und die Seinen belagerten längst schon mutig die Brandstätte des »Gemeindehauses«. Und Ter Haigasun? Ach, irgend jemand hat ihn gewiß schon befreit.

      Noch ein rasender Versuch, dann ergab sich Ter Haigasun. Die groben Hanfstricke hatten ihm durch die starre Seide des Meßgewandes hindurch Arme und Brust aufgeschürft. Schweiß rann ihm eiskalt den Rücken herab. Immer wieder fielen die Brandkränze der lohenden Wand auf das Altargerüst, das stellenweise schon zu brennen begann. Hie und da traf eine dieser Fackeln auch den Gefesselten. Haar und Bart waren ihm schon versengt. Der schwere Altarvorhang hatte Feuer gefangen, doch war die Schnur, an der er lief, sogleich gerissen, und er loderte nun als mächtiger Flammenhaufen auf den Stufen. Mochte es sein! Der Platz war leer. Nur schreiende Familien umsprangen die brennenden Hütten. Nicht um Hilfe rufen! Ein Priester, der, an den Altar gefesselt, den Martertod stirbt, hat drüben die Sündenvergebung gesichert. Wieder fuhr ein flammender Peitschenhieb dicht an Ter Haigasun vorbei. Wenn doch nur die Türken seine Mörder wären! Aber Armeniersöhne, sein eigenes Volk!? Die Hunde, diese wilden Hunde! Hunde! Und mit diesem Wort brach ein Wutgeheul aus ihm, das seinen Kopf zu sprengen drohte. Er spreizte die Beine, so weit es ging, und legte sich brüllend in die Fesseln, wie ein Zugtier vor einem hochaufgetürmten Lastwagen sich ins Geschirr legt. Vor den Hütten keiften die Stimmen der Verzweifelten. Doch als Ter Haigasuns rasendes »Hunde, Hunde« über den Platz heulte, da erschraken die Eigensüchtig-Betäubten, und alle rannten zum Altar, um den Wartabed zu erlösen. Bevor aber noch der erste ihn erreichte, hatte der schon gelockerte Pfosten nachgegeben, das Gerüst knickte zusammen, die Bretter loderten empor, der Priester stürzte. Die Leute fingen ihn auf. Rasch wurden die Stricke durchgeschnitten. Ter Haigasun machte ein paar Schritte, mußte sich aber sogleich hinlegen.

      Bedros Hekim kam gerade zurecht, als sich ein paar alte Männer und Frauen des besinnungslosen Bagradian erbarmen wollten. СКАЧАТЬ