Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 87

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ vorgekommen. Er war fast verliebt in sie. » Pallida morte futura!« sagte er sich.

      Nach der Tafel ging er ungewöhnlich lange im Garten spazieren, aber vergebens, denn Fräulein von La Mole erschien nicht. Mit ihr in diesem Zustande sprechen zu können hätte ihm eine Zentnerlast vom Herzen genommen.

      »Ich will offen mit mir sein!« sagte er sich. »Ich habe Angst!« Da er fest entschlossen war, sich nicht zu drücken, überließ er sich dem Furchtgefühl ohne Scham. »Es kommt nur darauf an, im Augenblick der Tat den nötigen Mut zu haben. Was für Gefühle ich jetzt habe, ist gleichgültig.«

      Er begab sich an Ort und Stelle und erkundete den Ort. Dann prüfte er die Leiter.

      »Merkwürdig!« lachte er. »Dies nützliche Instrument scheint ganz besonders meinetwegen erfunden zu sein! In Verrières hat es mir auch dienen müssen.« Er seufzte. »Aber unter welch anderen Umständen! Damals brauchte ich der, für die ich in die Gefahr ging, nicht zu mißtrauen. Und wie ganz anders war auch die Gefahr! Wenn ich im Garten des Herrn von Rênal totgeschossen worden wäre, so hätte das meiner Ehre vor der Welt nichts geschadet. Man hätte meinen Tod leicht irgendwie harmlos erklären können. Hier aber? Was für eine schändliche Geschichte wird man in den Salons und allerorts erzählen. Ich werde der Nachwelt als Ungeheuer erscheinen…«

      Er lachte sich selber aus.

      »Die Nachwelt? Wer denkt in zwei oder drei Jahren noch an mich?«

      Und doch drückte ihn der Gedanke daran tief darnieder. »Wo gibt es für mich eine Rechtfertigung?« fragte er sich. »Selbst wenn Fouqué die Schmähschrift, die ich hinterlasse, drucken läßt, so wird sie nur eine neue Infamie sein. Unerhört! Ich bin hier im Hause aufgenommen worden – und als Dank für die mir gewährte Gastfreundschaft und für all die Güte und Gnade, mit der man mich überhäuft, gebe ich ein Pamphlet in den Druck! Greife die Ehre von Frauen an! Nein! Tausendmal lieber will ich der Genarrte sein!«

      Der Abend war ihm schrecklich.

      46. Kapitel

      Julian war im Begriffe, seinen Brief an Fouqué zu widerrufen, da schlug es elf Uhr. Geräuschvoll schloß er seine Türe, als riegele er sich ein. Dann schlich er wie ein Fuchs hinaus, um zu erkunden, was im Hause vor sich ging, besonders im obersten Stock, wo die Dienstboten wohnten. Er fand nichts von Belang. Eine von Mathildens Jungfern gab eine kleine Gesellschaft. Man saß vergnügt beim Punsch. »Wer so lacht«, dachte Julian bei sich, »ist an keinem Anschlag für diese Nacht beteiligt. Da wäre man ernster!«

      Schließlich begab er sich hinunter in den Garten und verbarg sich in einem dunklen Winkel. »Wenn meine Gegner die Sache vor den Dienstboten geheimhalten, so müssen die Leute, die mich überrumpeln sollen, über die Gartenmauer kommen!« Er lauerte wie eine Vedette auf ihrem Posten. »Meine Ehre steht auf dem Spiele!« sagte er sich. »Wenn ich eine Dummheit mache, so ist es für mich keine Entschuldigung, wenn ich mir sage: Daran hatte ich nicht gedacht!«

      Die Nacht war zum Verzweifeln hell. Gegen elf Uhr war der Mond aufgegangen. Halb eins lag sein Licht voll auf der Gartenfassade des Hauses.

      »Mathilde ist toll!« sagte sich Julian, als es ein Uhr schlug. Norberts Fenster waren noch erleuchtet. In seinem ganzen Leben hatte sich Julian noch nie so gefürchtet. Er sah vor sich alle Gefahren seines Vorhabens, ohne daß er die geringste Begeisterung zur Tat in sich spürte. Er nahm die große Leiter zur Hand und wartete so fünf Minuten, um Mathilden Zeit für einen etwaigen Gegenbefehl zu lassen. Fünf Minuten nach eins legte er die Leiter unter ihrem Fenster an. Leise stieg er hinauf, eine Pistole in der Hand und höchst erstaunt, daß kein Angriff auf ihn erfolgte. Als er oben am Fenster anlangte, öffnete es sich geräuschlos.

      »Da sind Sie ja, Herr Sorel!« flüsterte Mathilde, von der Seltsamkeit des Augenblicks ergriffen. »Seit einer Stunde beobachte ich Ihre Bewegungen.«

      Julian war sehr verlegen. Er wußte nicht, wie er sich benehmen sollte. Er fühlte sich nicht im mindesten verliebt. In seiner Befangenheit glaubte er, dreist sein zu müssen, und so machte er den Versuch, Mathilde zu küssen.

      »Pfui!« rief sie und stieß ihn zurück.

      Höchlichst zufrieden, eine Abweisung bekommen zu haben, hielt er Umschau. Der Mond schien so grell, daß die Schatten in Mathildens Zimmer tiefschwarz aussahen. »Es kann da sehr wohl jemand versteckt sein, ohne daß ich es sehe!« dachte er.

      »Was haben Sie da in Ihrer Rocktasche?« fragte Mathilde, froh, einen Gesprächsstoff gefunden zu haben. Es war ihr sonderbar bang zumute. Die in einem jungen Mädchen aus guter Familie starken Gefühle der Zurückhaltung und Zaghaftigkeit hatten sie wieder gepackt und bereiteten ihr Qual und Pein.

      »Ich habe einen Dolch und ein paar Pistolen mitgebracht«, erwiderte Julian, nicht minder zufrieden, etwas sagen zu können.

      »Die Leiter muß weg!« erklärte Mathilde.

      »Sie ist riesig groß. Daß sie nur nicht die Fenster unten im Salon oder im Zwischenstock einschlägt!«

      »Das läßt sich verhindern«, meinte Mathilde, die sich vergeblich Mühe gab, den gewöhnlichen Plauderton zu treffen. »Sie lassen die Leiter am besten hinunter, wenn Sie um die oberste Sprosse einen langen Strick legen. Ich habe immer derlei da.«

      »Das will ein verliebtes Weib sein!« dachte Julian. »Sie wagt von Liebe zu reden, während mir ihre Kaltblütigkeit und ihre klugen Vorsichtsmaßregeln deutlich beweisen, daß ich über Croisenois nicht so triumphiere, wie ich Narr mir einbildete! Ich werde ganz einfach sein Nachfolger sein. Aber schließlich, was ficht mich das an? Liebe ich sie denn? Ich schlage den Marquis in einer Weise aus dem Felde, daß er sich wütend ärgern wird, von einem andern verdrängt und gerade von mir verdrängt worden zu sein. Wie hochmütig hat er mich gestern im Café Tortoni angeschaut, sich stellend, als erkenne er mich nicht. Und wie boshaft hat er mich schließlich gegrüßt, als er sich dazu genötigt sah!«

      Julian hatte den Strick um die oberste Sprosse gewickelt und ließ die Leiter behutsam zur Erde nieder. Er lehnte sich dabei weit über das Fenstergeländer hinaus. »Wenn in Mathildens Zimmer jemand verborgen wäre, so hätte er jetzt die schönste Gelegenheit, mich hinunterzustürzen!« Aber alles ringsum verharrte im tiefsten Schweigen.

      Die Leiter kam zur Erde nieder, und Julian gelang es, sie in ein Beet mit fremdländischen Blumen zu legen, das sich an der Mauer hinzog.

      »Meine Mutter wird außer sich sein, wenn sie sieht, daß ihre schönen Blumen niedergetreten sind«, sagte Mathilde, und kaltblütig fügte sie hinzu: »Werfen Sie den Strick nach! Wenn man ihn vom Fenstergeländer herabhängen sieht, wäre das ein rätselhaft Ding!«

      »Wie soll ich dann aber wieder hinunterkommen?« fragte Julian in scherzendem Tone, indem er die Sprechweise eines der Dienstmädchen des Hauses nachäffte, einer Kreolin aus Sankt Domingo.

      »Durch die Türe!« entgegnete sie belustigt. Insgeheim dachte sie: »Dieser Mann ist meiner ganzen Liebe würdig!«

      Julian warf den Strick hinab in den Garten. Da faßte ihn Mathilde am Arm. Er wähnte, es packe ihn ein Feind. Er wandte sich jäh und griff nach seinem Dolche. Mathilde hatte das Geräusch eines sich öffnenden Fensters zu hören vermeint. Unbeweglich, ohne zu atmen, horchten sie beide. Der Mondenschein lag voll auf ihnen. Alles blieb still. Die Besorgnis verflog.

      Von neuem verfielen beide in Verlegenheit. Julian vergewisserte sich, daß die Tür ordentlich verriegelt war. Am liebsten hätte er unter das Bett gesehen. Er wagte es nicht. Ob da nicht ein paar Lakaien darunter steckten? Schließlich aber sah er aus Furcht, er könne sich später Selbstvorwürfe hierüber СКАЧАТЬ