Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 56

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ strafen. Sie nützen in unritterlicher Weise eine Zuneigung aus, die ich einmal für Sie gehegt habe, aber nicht mehr hege. Verstehen Sie mich, Herr Julian?«

      Behutsam, um keinen Lärm zu verursachen, zog er die Leiter ins Zimmer.

      »Dein Mann ist in der Stadt?« fragte er, nicht um sie zu höhnen, sondern ganz wie ehedem.

      »Ich bitte Sie inständig, sprechen Sie nicht so zu mir. Oder ich rufe meinen Mann. Ich bin schon schuldig genug, daß ich Sie nicht sogleich weggewiesen habe, gleichgültig, was geschehen wäre.«

      Mit den letzten Worten wollte sie seinen Stolz verletzen, dessen Empfindsamkeit sie so gut kannte.

      Die Verweigerung des Du, dieses unbarmherzige Zerreißen eines zärtlichen Bandes steigerte seiner Liebe Überschwang zur Raserei.

      »So! Also lieben Sie mich nicht mehr!« klagte er in rührendem Herzeleid.

      Frau von Rênal blieb stumm.

      Er weinte bitterlich. Tatsächlich hatte er nicht mehr die Kraft, zu reden.

      Nach einer Weile sagte er: »So bin ich also ganz vergessen von dem einzigen Wesen, das mich jemals geliebt hat! Wozu weiterleben?«

      All sein Mut war von ihm gewichen, seitdem er die Gefahr der Begegnung mit einem Manne nicht mehr zu fürchten hatte. Nichts war in seinem Herzen, nur noch die Liebe.

      Lange weinte er vor sich hin. Er nahm ihre Hand. Sie wollte sie ihm entziehen, aber nach ein paar krampfhaften Versuchen ließ sie sie ihm. Es war stockfinster. Sie hatten sich unwillkürlich nebeneinander auf Frau von Rênals Bett gesetzt.

      »Wie anders war es vor vierzehn Monaten!« dachte Julian, und seine Tränen flössen noch stärker. »So vernichtet das Fernsein erbarmungslos jedes Gefühl im Menschen!«

      »Seien Sie so gütig und erzählen Sie mir, wie es Ihnen ergangen ist!« bat er schließlich mit tränenerstickter Stimme, als ihn sein Schweigen zu quälen begann.

      Frau von Rênal erwiderte in einem Tone, dessen harter Klang Julian lieblos und vorwurfsvoll berührte. »Als Sie fortgingen von Verrières, war meine Verfehlung stadtbekannt. Ihr Verhalten war ja vielfach unvorsichtig gewesen. Bald darauf, als ich nahe daran war, völlig zu verzweifeln, suchte mich der ehrwürdige Pfarrer Chélan auf. Lange Zeit bemühte er sich vergeblich, mich zum Geständnis zu bringen. Eines Tages kam er auf den Gedanken, mich in die Kirche von Dijon zu führen, wo ich eingesegnet worden bin. Dort fand ich den Mut, ihm zum ersten Male …«

      Frau von Rênal vermochte vor Tränen nicht weiterzureden.

      »Ach, welch eine Stunde der Schmach! Ich habe ihm alles gestanden. Der Gute schmetterte mich nicht mit seiner Verachtung zu Boden. Er war mild. Er teilte meinen Schmerz. Bis dahin hatte ich Ihnen Tag für Tag einen Brief geschrieben, aber niemals abzuschicken gewagt. Ich hatte diese Briefe sorgsam aufbewahrt. Und wenn ich ganz unglücklich war, schloß ich mich in mein Zimmer und las in meinen eigenen Briefen … Der Pfarrer Chélan setzte es durch, daß ich ihm die Blätter einhändigte. Etliche, die vorsichtigeren, die hatte ich Ihnen geschickt. Aber Sie haben nie geantwortet…«

      »Nie«, unterbrach Julian sie, »das schwöre ich dir, nie habe ich im Seminar einen Brief von dir erhalten!«

      »Großer Gott! Wer mag sie aufgefangen haben?«

      »Stelle dir mein Leid vor! Bis zu dem Tage, da ich dich in der Kathedrale sah, wußte ich nicht, ob du noch lebtest!«

      »Gott war gnädig und ließ mich erkennen, wie sehr ich mich an Ihm versündigt hatte, an Ihm, an meinen Kindern und an meinem Gatten. Er hat mich niemals so geliebt, wie ich damals von Ihnen geliebt zu werden glaubte …«

      Julian umarmte sie, ohne jedwede Absicht, willenlos. Aber Frau von Rênal stieß ihn zurück und immer noch leidlich fest fuhr sie fort: »Mein ehrwürdiger Freund Chélan hat es mir begreiflich gemacht, daß ich mich Herrn von Rênal, seit ich seine Ehefrau geworden, mit Leib und Seele verschrieben habe, bis in die höchsten Gefühle, die mir unbekannt waren, ehe ich sie in meiner sündigen Liebe erlebte … Seit der schmerzlichen Hingabe der mir so teuren Briefe ist mein Dasein, wenn auch nicht glücklich, so doch einigermaßen ruhig. Stören Sie meinen Frieden nicht! Seien Sie mein Freund … mein bester Freund!«

      Julian bedeckte ihre Hände mit Küssen. Da merkte sie, daß er noch immer weinte.

      »Weinen Sie nicht!« bat sie. »Machen Sie es mir nicht so schwer! Erzählen Sie mir nun auch, wie es Ihnen ergangen ist.«

      Julian vermochte nicht zu sprechen.

      »Ich möchte wissen«, begann sie von neuem, »wie Sie im Seminar gelebt haben. Dann aber müssen Sie gehen.«

      Ohne daß sich Julian klar ward, was er sagte, erzählte er von den zahllosen Ränken und Eifersüchteleien, deren Opfer er zunächst gewesen, und von seinem ruhigeren Dasein, als er dann Repetitor geworden war.

      »Gerade um diese Zeit«, berichtete er, »brachen Sie Ihr langes Schweigen, das mir wohl begreiflich machen sollte, was ich heute nur zu gut erkenne: daß Sie mich nicht mehr lieben, daß ich Ihnen gleichgültig geworden bin …«

      Frau von Rênal drückte ihm die Hände.

      »Damals erhielt ich von Ihnen die fünfhundert Franken …«

      »Von mir? Niemals!« beteuerte Frau von Rênal.

      »In einem Briefe mit dem Poststempel Paris, unterzeichnet ›Paul Sorel ‹, offenbar um jeden Verdacht abzulenken.«

      Es entstand eine kleine Erörterung, wer den Brief wohl abgesandt habe. Dadurch änderte sich die ganze Stimmung. Unbewußt gaben Frau von Rênal sowohl wie Julian das Pathetische auf. Sie fanden sich beide in die Art und Weise ihrer alten zärtlichen Freundschaft zurück. Sie sahen einander nicht, so dicht war die Dunkelheit, aber der Klang ihrer Stimmen sagte alles. Julian legte den Arm um seine Freundin. Sie fühlte, wie gefährlich dies war, und so versuchte sie, sich wieder frei zu machen. Aber durch eine spannende Einzelheit seiner Erzählung gewann Julian recht geschickt gerade jetzt ihre volle Aufmerksamkeit, so daß die Abwehr des Armes wie aus Vergeßlichkeit unterblieb.

      Nach langem Hin-und Herraten über den Ursprung des Briefes und der fünfhundert Franken setzte Julian seinen Lebensbericht fort. Dabei wurde er mehr und mehr wieder Herr seiner selbst. Die Vergangenheit, von der er sprach, bewegte ihn angesichts dessen, was er eben erlebte, nur wenig. Der Strom seiner Gedanken richtete sich einmütig auf den Ausgang seines nächtlichen Besuches. Von Zeit zu Zeit wurde ihm kurzerhand wiederholt: »Sie müssen gehen!«

      »Was für eine Schande wäre es für mich, wenn ich mich hinauskomplimentieren ließe!« sagte er sich. »Die Reue darüber würde mir mein ganzes Leben vergiften. Sie wird mir nie schreiben, und Gott weiß, wann ich je wieder in diese Gegend komme!«

      Von diesem Augenblick an war alles Hohe und Hehre aus seinem Herzen gewichen. Ein angebetetes Weib dicht neben sich, saß er in demselben Gemache, in dem er einst so glücklich war, in tiefdunkler stiller Nacht; er wußte, daß sie seit einer Weile weinte; er fühlte am Wogen ihres Busens, daß sie krampfhaft schluchzte, und doch wurde er mit einemmal ein kalter, herzloser, lauernder Beobachter, kaum anders als im Seminarhofe unter den schlechten Witzen seiner ihm körperlich überlegenen Kameraden.

      Er zog seine Erzählung in die Länge und schilderte das unselige Leben, das er seit seinem Scheiden aus Verrières geführt hatte.

      Frau von Rênal dachte sich: »Also hat er СКАЧАТЬ