Название: G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr
Автор: Гилберт Кит Честертон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027207428
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Die sechs Abenteurer hatten sich (so denke wohl nicht nur ich) durch genug Abenteuer schon durchgeschlagen … aber keins von allen hatte ihnen so jeden Boden unter den Füßen weggerissen als wie dies letzte, das aus lauter Luxus zusammengesetzt schien. Sie waren gegen die gröbsten Grob-und Roheiten abgehärtet worden; aber wie sie nun auf einmal mit Glacéhandschuhen angefaßt wurden, wars aus und vorbei mit aller Haltung. Sie konnten sich kaum noch darüber Rechenschaft geben, was die Equipagen sein sollten; es war ihnen genug, zu wissen, daß die Equipagen – Equipagen waren, und zwar Equipagen mit Polsterkissen. Sie konnten sich nicht denken, wer der alte Mann war, der sie angeführt hatte; und es war ihnen genug, zu wissen, daß er sie zu Equipagen angeführt hatte … Syme fuhr unter wogenden Baumschatten hin – in äußerster Selbstvergessenheit. Es war typisch für ihn: solange es etwas für ihn zu tun gegeben hatte, war sein bärtiges Kinn wild vorwärts gerichtet gewesen; sowie nun aber die Leitung des Geschäfts – sozusagen – in andere Hände übergegangen war, lag er – zusammengebrochen – in den Polstern.
Sehr allmählich und sehr vage konstatierte er, welche prächtigen Wege seine Karosse ihn karossierte. Erst gings durch ein steinern Tor … und da war wohl irgendwo ein Park … dann gings bequemlich einen Hügel hinan … und obwohl der rechts wie links bewaldet war, war alles doch methodischer bewaldet als ein Wald … Dann wuchs aus ihm, so wie ein Mensch sacht aus heilsamem Schlaf zu neuem Leben und Tagwerk erwächst, ein Vergnügen an jedem Ding. Er fühlte, daß die Hecken waren, was Hecken nun einmal sein sollen: lebendige Wälle … daß eine Hecke wie eine Armee Männer ist, diszipliniert, aber um viel mehr lebensvoller. Er unterschied hohe Ulmen hinter den Hecken … und stellte sich undeutlich vor, wie lustige Jungens dran hinaufklettern würden. Dann gings mit einemmal um eine Ecke … und er erschaute zufrieden – wie eine lange, niedrige Wolke bei Sonnenuntergang – ein langes, niedriges Haus, mild im milden Licht des Abends. All die sechs Freunde tauschten Vermutungen, Wahrnehmungen und Vergleiche untereinander aus – und es waren oft gerade einander entgegengesetzte Vermutungen, Wahrnehmungen und Vergleiche; aber in dem einen Punkt stimmten sie seltsamlich überein: ein jeder fühlte sich durch den Ort auf irgendeine unsagbare Weise an seine eigene Knabenzeit erinnert. Und es war weder gerade diese Ulmenspitze noch jene Wegbiegung, weder gerade dieser Obstgartenausschnitt, noch jene Fensterform … und doch erklärte ein jeder von ihnen, sich an diesen Platz erinnern zu können aus einer Zeit noch, aus der er sich nicht einmal seiner Mutter erinnern konnte …
Wie die Wagen schließlich zu einem breiten, niedrigen, höhligen Torweg hineinrollten, trat ein anderer Mann in ganz derselbigen Uniform – nur mit einem Silberstern auf der graublau-violetten Rockbrust – an sie heran. Und diese eindrucksvolle Persönlichkeit sprach zu dem verwirrten Syme:
»Erquickungen warten auf Sie auf Ihrem Zimmer.«
Syme – immer noch wie in mesmerischem Schlaf vor nichts als Verwunderung – stieg die breiten eichenen Stiegen hinter dem sehr ergebensten Bedienten hinan und gelangte in eine glänzende Flucht von Appartements, die alle speziell für ihn bestimmt schienen. Mit dem gewöhnlichen Instinkt seiner Menschenklasse, seine Krawatte zurecht zu richten und das Haar zu glätten, trat er vor einen hohen Spiegel hin; und da sah er erst, wie entsetzlich er aussah: – Blut rann ihm übers Gesicht, wo ihn der Ast getroffen hatte, sein Haar stand auf wie gelbe Enden verdorrten Grases, seine Kleider hingen in langen, wehenden Fetzen vom Leibe. Mit einemmal kam ihm das ganze Rätsel wieder zu Bewußtsein, woher er bloß das alles hätte und wie er aus all dem wieder hinauskäme. Aber da trat auch schon ein Mensch in Blau ein, der gewißlich sein Kammerdiener sein wollte, und sagte höchst feierlich:
»Ich habe Ihnen Ihre Kleider herausgelegt, mein Herr.«
»Kleider, Kleider, Kleider!« meinte Syme mit bitterm Grinsen, »ich hab doch keine Kleider außer diesen!« und er hob zwei lange schmale Streifen seines einstigen Gehrocks als wie entzückende Girlanden hoch und machte eine Bewegung, als ob er im nächsten Augenblick wie eine Balleteuse herumwirbeln wollte.
»Mein gnädiger Herr bittet mich, Ihnen zu sagen«, sprach der Aufwärter, »daß ein Phantasiekostümball zur Nacht sein soll, und daß er möchte, daß Sie das Kostüm dazu anlegen, das ich Ihnen herausgelegt habe. Mittlerweile, mein Herr, ist da eine Flasche Burgunder und etwas kalter Fasan, von dem mein gnädiger Herr hofft, daß Sie es nicht refüsieren werden, da doch noch ein paar Stunden bis zum Abendessen sind.«
»Kalter Fasan ist was Gutes«, meinte Syme nachdenklich, »und Burgunder ist ein schnell allewerdendes Gutes. Aber offen und ehrlich gestanden verlangt michs nach keinem von beiden so sehr als wie danach, endlich zu erfahren, was all dies zum Teufel bedeuten soll und was für ein Kostüm Sie für mich herausgelegt haben. Wo ist es, – wo ist es?«
Der Bediente holte von etwas wie einer Ottomane einen langen pfauenblauen Faltenwurf herbei, eine Art Domino, dessen Vorderseite eine große goldene Sonne verherrlichte und der reichlich mit flammenden Sternen und allerhand unterschiedlichen Mondsicheln verziert war.
»Sie sollen als Donnerstag angezogen sein, mein Herr«, meinte der Kammerdiener irgendwie ausgesprochen höflich.
»Als Donnerstag angezogen!« meinte Syme unter tiefem Nachdenken. »Für das Kostüm kann ich mich nicht so recht erwärmen – –«
»O doch, mein Herr, o doch!« erwärmte sich der andere: »das Donnerstag-Kostüm wird Ihnen im Gegenteil fast heiß machen! Es geht Ihnen bis zum Kinn!«
»Ja, bis zum Hals heraus – eh – herauf, wollte ich sagen …« Und Syme seufzte. »Ich verstehe nichts von allem … Gestatten Sie mir wenigstens die eine Frage noch: wieso ich als Donnerstag ausgerechnet in einem grünen Nachthemd mit Sonne, Mond und Sternen herumspazieren soll. Solche Dinge scheinen an ändern Tagen auch. Ich erinnere mich jetzt genau, daß ich den Mond am letzten Dienstag sah.«
»Bitt um Verzeihung«, hauchte der Kammerdiener, »aber so stehts in der Bibel!« Und mit einem ergebensten, strammstehenden Finger deutete er auf eine Stelle im ersten Kapitel der Genesis … Syme las mit Verwunderung … Da stand, daß am vierten Tag Gott machte zwei große Lichter, ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch Sterne usw. usw … (selbstverständlich alles vom christlichen Sonntag aus gerechnet) …
»Das wird immer wunderlicher und absunderlicher«, sprach Syme, und ließ sich in einen Stuhl fallen. »Wer sind denn nun eigentlich die Leute, die einen mit kaltem Fasan, Burgunder, grünen Nachthemden und Bibelzitaten verproviantieren? Verproviantieren die einen mit allem und jedem? Hä?«
»Mit allem und jedem … gewiß, mein Herr!« sprach der Aufwärter allen Ernstes. »Darf ich Ihnen Ihr Kostüm anziehen helfen?«
»Ach ja, hüpfen wir in die Balltoilette hinein! Und Sie machen die Sache dann hinter mir zu – wie?«
Aber obgleich er sich bemühte, diese Mummerei recht schlecht zu machen, fühlte er mit einemmal eine seltsame Leichtigkeit und Natürlichkeit in all seinen Bewegungen, sowie die blau und goldene Gewandung an ihm herabfloß. Und als er gar erfuhr, daß er ein Schwert zu tragen hatte, erlebte er all seine Knabenträume neu. Wie er aus dem Gemach heraustrat, warf er mit einer großen Gebärde ein Faltenende über seine Schulter … und sein Schwert, das stand ihm treu zur Seite … und überhaupt schnitt er auf wie ein Troubadour. Denn solche Vermummungen vermummen nicht, sondern enthüllen …
Das fünfzehnte Kapitel.
Der Anklagende