Название: Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit
Автор: Norbert Wolf
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843802390
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1909 hatte der Dichter Filippo Tommaso Marinetti in der Pariser Zeitung »Le Figaro« das »Manifest des Futurismus« veröffentlicht, das unter anderem den Krieg – »diese einzige Hygiene der Welt« – verherrlicht. Die fünf stärksten künstlerischen Talente, die die Position der futuristischen Malerei vertraten, waren Umberto Boccioni, Carlo Carrà, Luigi Russolo, Giacomo Balla und Gino Severini. Formal lehnten sich die Futuristen an die analytische Dingzerlegung des Kubismus an, farblich huldigten sie dem Divisionismus (Pointillismus). Ehe der Futurismus zur Zeit Mussolinis peinlich verödete, hatte er sich, seit 1912, als eine der einflussreichsten Strömungen über ganz Europa verbreitet und zum Beispiel in Russland um 1913 kurzfristig den sogenannten Kubo-Futurismus (Rayonismus) entstehen lassen.
DIE GEOMETRISCHE UND DIE »PHILOSOPHISCHE« ABSTRAKTION
(CA. 1913ff.)
Die frühe Moderne erlebte eine Reihe von sehr unterschiedlich benannten und international verflochtenen Strömungen, die das Kunstwerk nicht mehr länger als individuelle und subjektive Schöpfung behandeln wollten, sondern als Resultat eines kollektiven Werkgedankens in Analogie zur industriellen Produktion. Kreatives Leitbild war nicht der Künstler, sondern der Ingenieur. Die Strategien in den einzelnen Ländern waren unterschiedlich, das ersehnte »konstruktivistische«, abstrakt-geometrische Ziel jedoch relativ identisch. Als 1917 die Revolution den Sieg über den Zarismus davongetragen hatte, beteiligten sich die russischen Avantgardekünstler, wie Wladimir Tatlin, mit Emphase am Aufbau einer neuen Ordnung, und über El Lissitzky beeinflusste der russische den gesamten europäischen Konstruktivismus und nicht zuletzt das deutsche »Bauhaus«.
Ebenfalls in Russland entstand um 1913 auf Initiative Kasimir Malewitschs der »Suprematismus«. Anders als der Konstruktivismus wollte hier das geistige Prinzip der Erfahrung, die geistige Durchdringung der Welt mithilfe der Ästhetik die Oberhand (Suprematie) über ein rein utilitaristisches Gestalten, über industrielle Fertigung und über jeglichen Produktfetischismus triumphieren.
Die 1917 gegründete holländische »Stijl«-Bewegung war nicht weniger philosophisch universalistisch ausgerichtet als Malewitsch und sein Suprematismus. Die führende Gestalt der Gruppierung war der ebenso wie sein russischer Kollege von esoterischen Ideen erfüllte Piet Mondrian, der die Malerei auf eine elementare kosmologische Harmonie zurückführen wollte, indem er nur gerade Linien, die Vertikale und Horizontale, den rechten Winkel, sowie die Primärfarben Blau, Rot und Gelb und die Nichtfarben Schwarz und Weiß gelten ließ. Der Einfluss von Mondrians »Neoplastizismus« und der damit nicht in jedem Punkt konformen »Stijl«-Bewegung (vor allem auch die Auswirkungen der Kunst Theo van Doesburgs) wirkte sich hauptsächlich auf die Architektur der 20er-Jahre aus.
1919 gründete der Architekt Walter Gropius das »Bauhaus« in Weimar (1925 nach Dessau, 1932 nach Berlin verlegt, von den Nazis aufgelöst). Inspiriert vom anonymen Gemeinschaftswerk mittelalterlicher Bauhütten, sollte eine Synthese von Architektur, bildender Kunst und Handwerk vollzogen werden. Hochrangige Künstler unterschiedlichster Sparten wurden deshalb hier als Lehrer zusammengezogen, stilistisch herrschte die geometrische Abstraktion oder eine sich auf diese Richtung hinbewegende, hochgradig stilisierte Figuration vor, wie sie etwa Oskar Schlemmer vertrat.
DADAISMUS UND MARCEL DUCHAMP (1916ff.)
Der Dadaismus, dieser kulturelle Nihilismus, diese provokante Antibewegung gegen alle Versionen einer sich als »ewiges« Kulturgut beweihräuchernden Literatur und bildenden Kunst, dieser Abgesang auf jeden Fortschrittsoptimismus der modernen Gesellschaft ist nur aus der Tatsache heraus zu verstehen, dass er 1916, also mitten im großen Krieg, entstand, und zwar in der neutralen Schweiz, in Zürich, dann wie ein Lauffeuer 1918 aufs besiegte Deutschland übergriff und sich schließlich ins Frankreich der Jahre 1919/20 ausbreitete, als der wie ein Messias erwartete Literat und maßgebliche Wortführer der Bewegung, der Rumäne Tristan Tzara, dorthin übersiedelte.
Die Dadaisten waren die ersten Künstler des 20. Jahrhunderts, die bewusst Anti-Kunst betreiben wollten. In diesem Sinne hatten sich etliche Emigranten 1916 im »Cabaret Voltaire« in Zürich zusammengefunden. Dada war die anarchistische Empörung über das Völkermorden des Ersten Weltkriegs sowie über jene »Zivilisation, die das hervorgebracht hatte« (Max Ernst). Der Dadaismus hielt es mit dem Absurden, der Verfremdung, er veranstaltete chaotische und das Spießbürgertum schockierende Happenings, verwendete Flugblätter, Plakate und Reklamezettel, vor allem auch das Medium der Collage und der Fotomontage.
In Berlin trat Dada ab 1918 in Erscheinung, und zwar politisch aggressiver als anderswo, man denke an George Grosz und John Heartfield. In Hannover erhielt er durch Kurt Schwitters ein ganz eigenes Gesicht. Keiner aber hat die Skepsis gegenüber der herkömmlichen Kunst so weit getrieben (nicht zu vergessen ist freilich Francis Picabia) wie der Franzose Marcel Duchamp, der Begründer der Objektkunst, der »Readymades«: das Fahrrad-Rad, das er 1913 auf einen Hocker montierte, der Flaschentrockner von 1914, die Fontäne – ein Pissoirbecken, das er 1917 für eine Ausstellung einreichte, schockierten das Publikum. Mit Duchamp beginnt die Frage, die die Kunst ab jetzt nie mehr loslassen wird: Was ist denn eigentlich noch Kunst? Welche Aufgaben kann sie in der Neuzeit überhaupt noch wahrnehmen? Ist sie gar an ihrem Ende angelangt?
PITTURA METAFISICA UND SURREALISMUS (1911ff.)
Ab etwa 1911 entstanden die Bilder des Italieners Giorgio de Chirico, die unter dem Sammelbegriff »Pittura metafisica« bekannt wurden: Formal sind sie der Renaissance verpflichtet, inhaltlich jedoch jenen poetisch-beklemmenden Traumsituationen und rätselhaften irrealen Welten, die durch die Psychoanalyse erschlossen wurden und zum Surrealismus hinführten.
1924 fand in aller Form die Gründung der surrealistischen Gruppe in Paris statt, womit eine Übergangszeit von drei, vier Jahren, von Louis Aragon als »Mouvement flou« eingestuft, ihren Fokus fand. Einen Namen für die Bewegung hatte man ja schon, seit Guillaume Apollinaire 1917 revolutionären dichterischen Tendenzen statt des philosophisch vorbelasteten »Surnaturalismus« die Bezeichnung »Surrealismus« verlieh.
In eben jenem Jahr 1924 wurde das erste Manifest des Surrealismus veröffentlicht, in dem Sigmund Freuds Theorien vom Unbewussten, die Rolle sexueller Fantasien, alle potentiell kreativen Triebkräfte als Mittel und Ziel der Kunst proklamiert wurden. Der Surrealismus, der mit dem spanischen Filmregisseur Luis Buñuel und mit Malern wie Salvador Dalí, Max Ernst, Joan Miró, René Magritte, Yves Tanguy und vielen anderen wahre Kultfiguren des 20. Jahrhunderts hervorbrachte, ist der, was weltweite Verbreitung und Lebensdauer betrifft, sicherlich erfolgreichste Stil der Moderne geworden.
Zwar entstand er in Paris aus dem Zusammenschluss von nur zehn Leuten, indes blieb er nicht auf eine Pariser Clique oder auf Frankreich beschränkt, sondern wuchs unaufhörlich und gewann bald in England, Belgien, Spanien, der Schweiz, Deutschland, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, in Afrika, Asien (Japan), Amerika (Mexiko, Brasilien, USA) zahlreiche Anhänger. Im Januar und Februar 1938 nahmen schon Künstler aus vierzehn Ländern an der internationalen Surrealisten-Ausstellung in Paris teil. Keine Künstlergruppe zuvor war derart international.
Der Surrealismus schob in radikalster Weise die ästhetischen Grenzen von Literatur, Malerei, Bildhauerei, Film und Fotografie in Neuland vor. Unter der Prämisse, alles könne zum legitimen Stoff des kreativen Schaffensprozesses werden, verwandelte sich – in einer an die Romantik, insbesondere an die deutsche Romantik um 1800 erinnernden Konsequenz – das Banale ins Wunderbare, das Harmlose ins Fantastische.
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