Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit. Norbert Wolf
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СКАЧАТЬ revolutionärer Weise manifestiert sich dieser Aspekt in Géricaults Chef-d’œuvre, nämlich in dem im Pariser Salon von 1819 präsentierten, ein Jahr zuvor begonnenen Floß der Medusa (Paris, Musée du Louvre). Das kolossale Gemälde löste bei den meisten Besuchern Empörung aus, obwohl die perfekte Figuren-Modellation sowie das ausgeprägte Helldunkel dem Publikum von der klassizistischen Malerei her vertraut gewesen sein müssten. Auch an entsprechende Sensationsdarstellungen von Schiffsuntergängen mit hilflos im Boot treibenden Menschen war man längst gewohnt. Was Zorn erregte, war die Tatsache, dass das Gemälde ein derart gewaltiges Format für sich beanspruchte, ohne – wie es die akademischen Regeln vorsahen – antikisierend, heroisch oder moralisch »erhebend« zu sein. Zudem verblieb das Thema nicht im Unverbindlichen: Katastrophendarstellungen sollten ein überindividuelles, allgemein menschliches Schicksal schildern, sollten dem Zeitgeschmack zufolge nicht konkret und persönlich werden, nicht zu sehr unter die Haut gehen.

      Géricault dagegen wandte sich mit Entsetzen und Scham einem bestimmten Ereignis zu, das mit menschlichem Versagen seitens der französischen Marine verbunden war. Am 2. Juni 1816 war vor der westafrikanischen Küste die Fregatte »Medusa« untergegangen. Die Besatzung überließ 150 Passagiere auf einem Floß ihrem Schicksal. Dreizehn Tage trieben diese auf dem Meer, wobei es zu grauenvollen Szenen von Wahnsinn, Tod, Mord und Menschenfresserei kam. Als das Floß schließlich gesichtet wurde, waren noch fünfzehn Personen übrig, von denen fünf nach der Rettung starben. Von offiziellen Stellen wurde die Affäre unterdrückt. Im Herbst 1817 jedoch erschien ein Bericht von Überlebenden, der eine Welle der Empörung auslöste und sofort beschlagnahmt wurde.

      Mit Verbissenheit stürzte sich Géricault in das Unternehmen, diesen Skandal in eine Komposition umzuwandeln, die weit über eine Reportage hinausging und menschliches Verhalten in einer Extremsituation zu einer existenziellen Parabel zusammenfasste. Er scheute keinen Aufwand, das Leid drastisch vorzuführen. So informierte er sich selbst bei den Überlebenden, ließ ein Floßmodell bauen und fertigte Hunderte von Entwürfen und zahlreiche Studien, auch solche nach Leichenteilen und Köpfen von Hingerichteten, die er mit medizinischer Genauigkeit, zugleich mit malerischer Brillanz festhielt, die an einen Goya erinnert.

      Mit der pyramidalen Aufgipfelung der Schiffbrüchigen im Floß der Medusa, für deren Körperbildung neben eingehendem Naturstudium auch Zeugnisse der Antike sowie solche des als Vorläufer des romantisch-einsamen Künstlergenies verstandenen Michelangelo Pate standen, gewinnt die Figurenanordnung inmitten der chaotischen Meereswogen und des mit düsteren Wolken überzogenen Himmels solide Geschlossenheit. Diagonalen lassen den Tiefenraum anschaulich werden, die Helldunkel-Modellierung trägt wesentlich zur Monumentalisierung des Sujets bei.

      Zwischen 1821 und 1824 entstanden Géricaults fünf Bildnisse von Insassen des Pariser Irrenhauses Salpêtrière.17 Sie berufen sich auf nüchterne, gewissenhafte Beobachtung und suchen nicht den Effekt des Abartigen oder Grotesken, sondern das verborgene Indiz der geistigen Zerrüttung. Dieses sparsame, zurückhaltende Verfahren erhöht die physiognomische Intensität der Köpfe, die keine verzerrte Mimik, keine außergewöhnlichen Attribute und keine aggressive Bedrohung zur Schau tragen. Ihre Krankheit äußert sich im gespannten, wachsamen Gesichtsausdruck, in einer lauschenden Neigung des Schädels, die Misstrauen verrät, sie blitzt aus den Augen auf, die gereizt ein imaginäres Gegenüber fixieren oder blicklos ins Leere starren.

      Der romantische Realismus Géricaults entspricht den psychiatrischen Lehrmeinungen der Zeit, die den Wahnsinnigen größere Intensität im Empfinden von Angst, Schmerz und Freude zubilligte. Diese Gemälde waren der geniale Schlussakkord in einem kurzen, aber radikal intensiven Schaffensprozess, der Géricault zweifellos zu einem der ganz Großen der Kunstgeschichte erhebt.

      16 Eine gute neuere Monografie in deutscher Sprache fehlt, deshalb sei verwiesen auf: Régis, Michel: Géricault. Paris 1996

      17 Wedekind, Gregor: Le portrait mis à nu. Théodore Géricault und die Monomanen. München 2007

      JEAN-BAPTISTE CAMILLE COROT

      (* PARIS 16. 7. 1796, † EBENDA 22. 2. 1875)

      Obwohl dieser französische Maler und Grafiker vor allem in den 1860er-Jahren auch wunderbare, von poetischem Zauber überglänzte weibliche Porträts und Aktbilder schuf, ist er doch in erster Linie als einer der überragenden Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts bekannt geworden, oberflächlich assoziiert mit der auf dieses Genre spezialisierten »Schule von Barbizon«.

      In gewissem Maße war diese künstlerische Gruppierung weiterhin einer romantischen Natursicht verpflichtet, die sie mit elaborierten naturalistischen Gestaltungsmitteln inszenierte. Zu diesem Kreis junger Maler, die die Schönheit der unberührten Landschaft, die ländliche Idylle, die die undramatische und dennoch beseelte »Paysage intime« seit den 30er und 40er-Jahren im Wald von Fontainebleau suchten und sich schließlich im Dorf Barbizon niederließen, gehörten unter anderem Charles-François Daubigny, Théodore Rousseau (der sich 1836 als Erster in Barbizon niedergelassen hatte) und – als der mit Abstand bedeutendste Künstler, wenn auch nur lose dieser an sich schon lockeren Gruppierung verbunden – eben Camille Corot.18

      Seine Arbeiten verkörpern den Inbegriff einer lyrischen Landschaftsmalerei mit duftig gestalteten, oft unscheinbar wirkenden Szenarien, in denen nur noch vereinzelt mythologische Staffage begegnet, die letztlich von seinem Rom- beziehungsweise Campania-Aufenthalt 1826–1828 inspiriert ist. Exemplarisch stehen dafür eines der meisterlichsten Ölgemälde Corots und die zeitgenössische Reaktion auf diese mittelgroße Leinwand. Das 1850 vollendete Werk trägt den Titel Ein Morgen, Tanz der Nymphen (Paris, Musée d’Orsay).

      Besagtes, schon ein Jahr nach seiner Fertigstellung vom französischen Staat aufgekaufte Gemälde ist das einzige Stück, das noch zu Corots Lebzeiten offiziell ausgestellt wurde, nämlich 1854. Und es ist Corots früheste Darstellung tanzender Nymphen in einer – hier bewaldeten und in den Randzonen verschatteten – Landschaft, in der im Hintergrund links der antike Naturgott des Weines und der orgiastischen Ausgelassenheit, Bacchus, erscheint. Als Vorbild stand hinter der Komposition Claude Lorrains berühmtes Gemälde der Landschaft mit ländlichem Tanz (im Louvre) aus dem 17. Jahrhundert. Die Tanzszene spiegelt zugleich Corots Liebe zu Theater, Oper, Ballett und Musik wieder.

      Eine unendlich subtil spürbare Musikalität durchdringt auch das Spiel von Licht und Schatten, den silbrig-grünen Farbton, der sich über alles legt. Die in bildparallelen Zonen aufgebaute Landschaft wird zum Ort eines zeittypischen synästhetischen Empfindens, wobei die mythischen Gestalten als Verkörperungen solcher in die Natur gelegten Sehnsüchte und Träumereien fungieren. Der Schriftsteller und Kunstkritiker Émile Zola merkte jedoch anlässlich seiner Besprechung des Pariser »Salons« von 1866 gerade zu solchen mythologischen Staffagen respektlos an, Corot solle doch endlich bereit sein, ein für alle Mal die Nymphen »umzubringen«, mit denen er seine Wälder bevölkert, und sie durch Bäuerinnen zu ersetzen. Dann würde er den Künstler maßlos, wie er sagt, lieben. Freilich, er wisse, dass zu diesem zarten Laub, zu dieser Ton in Ton gemalten, Feuchtigkeit atmenden Morgenröte ätherische Geschöpfe, in Dunst gehüllte Träume passen. Deshalb sei er manchmal versucht, sich vom Meister eine menschlichere, eine rauere Natur zu erhoffen, die nicht länger jene überlebten mythologischen Reminiszenzen zulasse.19

      Trotz dieser Kritik aus »säkularisierter« Sicht an einer vom Künstler für notwendig erachteten mythologischen Staffage zeigt sich in dem Bild jenseits aller ikonografisch-symbolischen Implikate eine bewundernswerte malerische Qualität, deren Ausführung nun zunehmend lockerer und transparenter gerät. Der helle Himmel mit seinen duftigen Wolkenstreifen geht über in die sich im Licht auflösenden Äste und Blätter der Bäume. Die Raumillusion beschränkt sich mehr und mehr auf eine Vordergrundbühne. Das Kolorit durchsetzt sich auf feinste Weise mit silbrigen Tönen, deutlich bekundet sich eine Abkehr von der realistischen СКАЧАТЬ