Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 16

СКАЧАТЬ nicht wohl gefühlt ...«

      Apotheker Krikor hob mahnend den Zeigefinger:

      »Der Luftdruck! In Beilan ist der Luftdruck immer unter dem Niveau.«

      Gonzague Maris neigte seinen sorgfältig gescheitelten Kopf verbindlich gegen den Apotheker:

      »In Alexandrette hat man mir so viel vom Musa Dagh gesprochen, daß ich neugierig geworden bin. Es war eine große Überraschung für mich, im trostlosen Orient solch eine Schönheit zu finden, so gebildete Menschen und eine so gute Unterkunft wie bei meinem Wirt, Herrn Krikor. Ich liebe alles Unbekannte. Läge der Musa Dagh in Europa, wäre er eine große Berühmtheit. Nun, ich freue mich, daß er Ihnen allein gehört.«

      Der Apotheker verkündete mit dem gleichgültig hohlen Ton, den er bei bedeutsamen Mitteilungen anwandte:

      »Er ist Schriftsteller und wird hier in meinem Haus seinen Studien obliegen.«

      Gonzague schien sich dieser Ankündigung zu schämen:

      »Ich bin kein Schriftsteller. Ich schicke hie und da einer amerikanischen Zeitung kleine Berichte. Das ist alles. Ich bin nicht einmal wirklicher Journalist.«

      Mit einer unbestimmten Geste deutete er an, daß diese Beschäftigung keinem andern Ziel als dem Broterwerb gelte. Krikor aber ließ von seinem Opfer nicht, das ihm zum Stolze dienen mußte:

      »Sie sind doch auch Künstler, Musiker, Virtuose, Sie haben Konzerte gegeben, nicht wahr?«

      Der junge Mann hob abwehrend die Hand:

      »Das ist alles nicht richtig. Ich bin unter anderem auch Klavierbegleiter gewesen. Man muß vieles probieren.«

      Sein Blick suchte bei Juliette um Hilfe. Sie wunderte sich:

      »Die Welt ist klein. Ist es nicht sonderbar, daß sich hier zwei Landsleute begegnen? Zur Hälfte sind Sie ja mein Landsmann.«

      Lehrer Schatakhian aber konnte seine Schwärmerei wieder einmal nicht zügeln:

      »Und ist es nicht sonderbar, daß wir uns in einem so gewählten Kreis befinden dürfen, daß wir armen armenischen Bauern durch die Güte von Madame uns nun einer feinen Geselligkeit erfreuen?«

      Der gereizte Oskanian aber ließ sein Schweigen noch mehr anschwellen und nahm abseits von den anderen mit düsterer Hoheit Platz. Dadurch gab er zu erkennen, daß er es keineswegs für sonderbar halte, daß eine Persönlichkeit wie die seine an dieser Stätte mit gebührender Achtung begrüßt werde. Denn Oskanian war nicht nur ein gesuchter Dichter im Umkreis des Musa Dagh, der seinen Landsleuten für alle Festlichkeiten heiterer und trauriger Natur die bestellten Verse lieferte, er betätigte sich auch für ähnliche Zwecke als Kalligraph und Maler. Apotheker Krikor jedoch erteilte seinem Jünger Schatakhian abermals eine leichte Zurechtweisung:

      »Wir Armenier haben einen verhängnisvollen Fehler, den Kleinmut. Er verleitet uns oft zur Selbsterniedrigung. Wir vergessen, daß wir eines der ältesten Kulturvölker der Erde sind. Madame, als die Gattin unseres Gabriel Bagradian, weiß es ja, daß wir als allererste Nation, lange vor Rom, das Christentum als Staatsreligion angenommen haben. Wir haben ein glänzendes Reich besessen, die Hauptstadt Ani mit ihren tausend Kirchen wie ein anerkanntes Weltwunder. Könige von armenischem Blute regierten Byzanz. Zu einer Zeit, da Frankreich noch in tiefer Barbarei schlief, hatten wir eine klassische Literatur. Ich selbst besitze Auszüge von markigen Autoren wie Lazar von Pharpi und Moses von Chorene. Doch auch heute müssen wir uns nicht verstecken. Selbst in diesem Nest hier, das nicht einmal eine anständige Straße besitzt, ist im Laufe der Zeit eine namhafte Bibliothek angewachsen ... Madame wird uns also gestatten, daß wir uns vor ihr nicht schämen.«

      Diese würdige Rede brachte der Apotheker mit seiner ungerührten Mandarinenruhe vor. Dabei sah er Juliette nicht an. Als echt sokratischer Weiser war Krikor gegen Frauen sehr züchtig und zurückhaltend. Dafür aber versammelte er um sein Licht die männliche Jugend, soweit sie nicht geistig stumpf war. Als Beweis für diese seine Anziehungskraft kann es vielleicht auch gelten, daß der junge Gonzague Maris bei ihm Quartier bezogen hatte, obgleich ihm auch ein schönes Zimmer im Hause des Muchtars angeboten worden war. Die selbstberauschte Juliette aber fing auf die Worte Krikors hin armenisch zu radebrechen an. Sie machte es reizend:

      »Was wollen Sie denn? ... Ich bin doch selbst Armenierin, weil ich einen Armenier geheiratet habe ... Nach dem Gesetz ... Oder vielleicht Türkin ... Oh, ich kenne mich gar nicht aus ...«

      Entzückter Beifall ringsum dankte diesem Sprachversuch. Gabriel hatte in seinem ganzen Leben nur sehr wenige armenische Worte aus dem Munde seiner Frau gehört. Er hätte über diesen neuen Fortschritt erstaunt und beglückt sein müssen. Leider war es ihm entgangen, denn er bestarrte, ohne der andern zu achten, einen Mithraskopf aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, der aus den Ruinen von Seleucia bei Suedja stammte. Doch seine Gedanken schienen sich mit dem Kopf nicht im geringsten beschäftigt zu haben. Keiner der Anwesenden verstand den Sinn dessen, was er mit zornigem Ton plötzlich sagte:

      »Wenn ein Tier nicht mehr daran glaubt, daß es sich wehren kann, geht es zugrunde. So ist es in der Natur und in der Geschichte.«

      Und er rückte ohne ersichtlichen Grund das Postament mit dem Mithraskopf ein wenig von seiner alten Stelle nach links.

      Dank Juliettens Heiterkeit wurde es ein sehr gelungener Abend, gar nicht zu vergleichen mit den früheren Versammlungen in der Villa Bagradian. Die meisten Armenier führten hierzulande ein rein orientalisches Leben, das heißt, sie sahen einander nur in der Kirche und auf der Straße. Man besuchte sich bloß bei feierlichen Anlässen. Kaffeehäuser, wie sie sich in den kleinsten türkischen Dörfern finden, gab es nicht. In dieser häuslichen Abgeschiedenheit hatte das befangene Wesen der Frauen seine Ursache. Doch nun verlor es sich nach und nach. Die Pastorin vergaß, ihren Gatten, dessen Leben sie energisch zu verlängern gedachte und der deshalb in seinem Schlaf nicht verkürzt werden sollte, zum Aufbruch zu mahnen. Die Muchtarsfrau hatte sich Juliette genähert, um den Seidenstoff ihrer Robe zwischen den kostenden Fingern zu begutachten. Mairik Antaram aber war plötzlich verschwunden. Ihr Mann hatte sie durch einen kleinen Jungen abberufen lassen, damit sie ihm bei der schwierigen Entbindung Hilfe leiste und die alten Hexen verjage, die in solchen Fällen immer das Haus der Gebärenden belagern, um ihr mit Zaubermitteln beizustehn. Madame Altouni war im Laufe der Jahrzehnte eine vollwertige Gehilfin des Arztes geworden, dem sie einen großen Teil seiner Praxis abnahm. Sie taugt mehr als ich, pflegte er zu behaupten.

      Nun sang man das Lob Mütterchen Antarams. Es habe mit ihr eine eigene Bewandtnis. Sie opfere sich auf. Allen Frauen in ihren Nöten, jungen und alten, stehe sie bei mit mütterlichem oder schwesterlichem Rat. Sie empfange sogar Briefe von auswärts. Das komme daher, weil sie Askanuwer Hajuhiaz Engerutiun, der Allgemeine Armenische Frauenverein, zu seiner Vertreterin in dem ganzen Bezirk gemacht habe. Nur Frau Kebussjan gab eine kritische Begründung für Antarams Seelengüte:

      »Sie ist ja kinderlos.«

      Der Muchtar aber lauschte mit seinem Schwerhörigenkopf und dem leicht schielenden Blick einem Vortrag des Apothekers, der die Vorzüge der chinesischen Seidenverarbeitung mit den genauesten Einzelheiten dem heimischen Gewerbe entgegenstellte. Kebussjan schlug sich aufs Knie:

      »Unser Krikor, was!? Da geht man jahrzehntelang in seine Apotheke und kauft Petroleum und Magenpulver und weiß nicht, was das für ein Mann ist!«

      Am längsten brauchte der Hausherr, um aufzutauen. Dies geschah aber von einem Augenblick zum andern. Unzufrieden musterte er den großen Tisch, auf dem Backwerkschüsseln, Tee-, Kaffeeschalen und zwei Karaffen mit Raki standen. СКАЧАТЬ