Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 14

СКАЧАТЬ zwei bemalte Wachsstöcke wie in der Kirche. Ob das nicht zu weit ging!?

      Dieselbe Frage stellte sich die Pastorin, deren Selbstbewußtsein sehr gedrückt war. Doch muß zu ihrer Ehre gesagt werden, daß sich in ihre Gefühle kein Neid und keine Scheelsucht mischten. Die Hände der Frau lagen mit deutlichem Gewissenskummer im Schoß, weil sie zu Ehren dieses Abends ihre Handarbeit zu Hause gelassen hatte, die sie sonst nie beiseite legte. Die Pastors- und die Muchtarsfrau blickten nach ihren Männern hin und verwunderten sich über diese Alten.

      Und tatsächlich, sowohl der zarte Pastor als auch der massive Muchtar waren in ihrem Wesen ganz verwandelt. Sie bildeten einen Bestandteil der Männergruppe, die sich um Juliette scharte. (Sie erklärte der Gesellschaft gerade einige der Antiken, die Gabriel entdeckt und in diesem Raum zur Schau gestellt hatte.) Die beiden gesetzten Herren drehten ihren Ehefrauen den Rücken, das heißt die Kehrseite ihrer altertümlichen Schlußröcke zu, die sich dienstfertig spannten. Insbesondere Pastor Nokhudian schien immerfort auf dem Sprunge zu sein, einen Befehl Juliettens, der aber nicht erfolgte, unerbittlich auszuführen. Er stand freilich in gemessener Entfernung von ihr, da ihn die jungen Leute abgedrängt hatten. Unter diesen fielen zwei Lehrer auf. Hapeth Schatakhian war der eine, der einst mehrere Wochen in Lausanne verbracht hatte und sich seither einer hervorragenden Aussprache des Französischen bewußt war. Er versäumte auch die herrliche Gelegenheit nicht, von seiner Kunst begeistert Zeugnis abzulegen. Der andere Lehrer hieß Hrand Oskanian. Ein Knirps, dem das Schwarzhaar tief in die Stirn wuchs. Er setzte der verschwenderischen Virtuosität seines Gefährten Schatakhian ein durchdringendes Schweigen entgegen. Dieses Schweigen war aufgebläht bis zum Platzen. Unausgesetzt schien es darauf hinzuweisen, wo die dreiste Oberflächlichkeit und wo der wahre Wert zu finden sei. Diesmal hatte Oskanians hochgradiges Schweigen seine verwirrende Macht über Schatakhian eingebüßt. Als Gabriel in den Raum trat, hörte er das lautschallende Französisch des akzentstolzen Lehrers:

      »Oh, Madame, wie müssen wir Ihnen dankbar sein, daß Sie einen Strahl der Kultur in unsere Wüste gebracht haben!«

      Juliette hatte heute einen kleinen inneren Kampf auszufechten gehabt. Es handelte sich dabei um das Kleid, das sie zum Empfang ihrer neuen Landsleute anzulegen gedachte. Bisher hatte sie sich zu dieser Gelegenheit stets besonders einfach gekleidet, denn es war ihr unwürdig oder überflüssig erschienen, diese »ahnungslosen Halbwilden« zu blenden. Doch schon das letztemal hatte sie bemerkt, daß der Zauber, den sie auf ihre Gäste ausübte, auf sie selbst zurückschlug. So widerstand sie denn der Versuchung nicht und zog ihr größtes Abendkleid hervor. (Ach, es ist vom vorigen Frühjahr, dachte sie bei der Musterung, und zu Hause dürfte ich es nicht wagen, mich darin zu zeigen.) Nach kurzem Zögern legte sie, was ja bei einer glänzenden Gewandung unerläßlich ist, auch noch ihren Schmuck an. Die Wirkung ihres absichtsvollen Entschlusses, dessen sie sich anfangs ein wenig geschämt hatte, überraschte sie selbst. Eine schöne Frau unter schönen Frauen zu sein, dies ist wohl ein hochgemutes Gefühl, doch es befriedigt nicht gar zu lange. Man ist ja nur eine unter vielen, man spielt auf den Promenaden, in den Theatersälen und Restaurants jener fernen westlichen Welt doch nur die Rolle einer hübschen Statistin in einem riesigen Chor. Aber hier, ein unerreichtes Gnadenbild zu sein unter fremdartigen Gläubigen, ein berückendes Palladium für diese schüchtern-großäugigen Armenier, die Einzigartige, die Goldblonde, die Herrin, das ist kein alltägliches Schicksal, das ist ein Erlebnis, das die Wangen jugendlich rötet, die Lippen glühen macht und die Pupillen erglänzen.

      Gabriel sah seine Frau von demütig Geblendeten umschart, die gewiß keinen Wunsch zu ihr empor wagten. Er sah, daß ihre Wangen rot waren und daß ihre Lippen glühten wie die einer kaum Zwanzigjährigen. Wenn sich Juliette bewegte, erkannte er wieder ihren »funkelnden Schritt«, wie er ihn einst genannt hatte. Juliette schien hier in Yoghonoluk einen Weg zu seinen einfachen Volksgenossen gefunden zu haben, sie, die sich in Europa so oft gegen den Verkehr mit den gebildetsten und besten Armeniern gesträubt hatte. Und das Merkwürdigste: In Beirut von den Weltereignissen überfallen, ohne Möglichkeit zu einer Rückkehr, hatte Gabriel die Furcht gehegt, Juliette werde sich in Heimweh verzehren. Frankreich kämpfte den schwersten Krieg seiner Geschichte. Europäische Zeitungen verirrten sich in diesen Winkel nicht. Man wußte gar nichts. Man war gänzlich abgeschnitten. Auf langen Umwegen war bisher ein einziger Brief erst eingetroffen, der das Datum des Novembers trug. Von Juliettens Mutter. Es war noch ein Glück, daß sie keine Brüder besaß, um die sie hätte Sorge haben müssen. Mit ihren beiden Schwestern stand sie nur in sehr loser Beziehung. Die Ehe mit dem Fremden hatte sie von ihrer Familie entfernt. Wie dem auch sei, ihre Ruhe, ja ihr Leichtsinn kam für Gabriel ganz unerwartet. Sie lebte im Augenblick. Nur selten machte sie sich über ihre Heimat Gedanken. Im vierzehnten Jahr ihrer Ehe schien das Unerhoffte gelungen zu sein. Hier in dem Haus von Yoghonoluk. Juliette war in Gabriels Welt eingegangen. Hatte sich die alte Spannung, die sie beide verband und trennte, an diesem Abend gelöst?

      Und wirklich, es war etwas Neues in ihrem Wesen, als sie ihn umarmte:

      »Endlich, mein Freund, ich war schon sehr unruhig.«

      Sie sorgte sogleich in beinahe überschwenglicher Weise für seinen Hunger und Durst. Gabriel aber fand keine Zeit zum Essen. Alles umdrängte ihn, damit er über seine Erfahrungen in Antakje berichte. Der Muchtar Kebussjan neigte den Kopf weit vor, um kein Wort zu verlieren. Dadurch, daß er ein wenig schielte, wurde der mißtrauisch furchtsame Zug seines Bauerngesichtes noch verstärkt. Man darf natürlich nicht glauben, daß die behördliche Maßnahme des heutigen Morgens spurlos an den Gemütern vorübergegangen war. Schon die Tatsache, daß die türkische Obrigkeit dafür den Sonntag, und zwar die Stunde vor dem Hochamt, gewählt hatte, konnte als vertrackte Absicht und feindliches Zeichen aufgefaßt werden. Wohl war die Siedlung am Musa Dagh von den blutigen Ereignissen der Jahre 1896 und 1909 nahezu verschont geblieben. Doch Männer wie Kebussjan und der kleine Pastor von Bitias waren hellhörig genug, um bei jedem verdächtigen Laut die Ohren zu spitzen. Sie hatten den Tag nicht ganz ohne Sorgen verbracht. Erst der Abend und die strahlende Gegenwart Juliettens wußte die Trübung ihrer Ruhe zu zerstreuen. Als aber Bagradian, seines Versprechens eingedenk, die Angaben des Müdirs wiederholte, es handle sich nur um eine allgemeine, dem Kriegszustand entspringende Verfügung – da hatten alle, Nokhudian, Kebussjan, die Lehrer, des Rätsels Lösung längst gekannt und vorhergesagt. Ein heller Optimismus breitete sich nunmehr aus. Sein überzeugtester Vertreter war Lehrer Schatakhian. Er reckte sich hoch. Das Mittelalter sei vorüber, meinte er, sein glühendes Wort an Madame Bagradian richtend. Die Sonne der Zivilisation werde nun auch über der Türkei aufgehen. Der Krieg sei nur ihre blutige Morgenröte. Jedenfalls aber hätten Unterdrückung, Greuel, Massaker für alle Zeiten ein Ende gefunden. Die fortgeschrittene Welt würde dergleichen nicht mehr dulden. Und die türkische Regierung stehe unter der Aufsicht ihrer Verbündeten. Schatakhian sah Juliette erwartungsvoll an. Hatte er nicht in tadellosem Französisch dem Fortschritte gehuldigt? Die Anwesenden schienen, soweit sie ihn verstanden hatten, seine Ansichten zu billigen. Nur Lehrer Oskanian, der Schweiger, grunzte verächtlich. Jedoch dies tat er immer, wenn sich Freund Schatakhian von seiner Beredsamkeit hinreißen ließ. Da ertönte eine neue Stimme:

      »Laßt die Türken! Reden wir von wichtigeren Dingen!«

      Diese Worte hatte Apotheker Krikor gesprochen, die denkwürdigste Erscheinung in dieser Gesellschaft.

      Daß er eine unverwechselbare Persönlichkeit sei, bewies Apotheker Krikor schon durch seinen Anzug. Während alle Männer, auch der Muchtar, europäisch gekleidet waren (in Yoghonoluk lebte ein aus London rückgewanderter Schneider), trug Krikor eine Art russischer Bluse, jedoch von feinster hellgelber Rohseide. Das trotz seiner sechzig Jahre gänzlich faltenlose Gesicht mit dem weißen Bocksbärtchen und den etwas schiefliegenden Augen hatte die Farbe tief vergilbten Papiers und hätte weit eher einem weisen Mandarin angehören können als einem Armenier. Er sprach mit einer hohen, dabei sonderbar hohlen Stimme, die durch allzu großes Wissen erschöpft schien. Und wirklich, der Apotheker von Yoghonoluk besaß nicht nur eine Bibliothek, dergleichen es in Syrien gewiß keine zweite gab – Krikor war selbst eine Bibliothek in Person, ein Mann der Allwissenheit in einem der unbekanntesten СКАЧАТЬ