Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter Benjamin страница 29

СКАЧАТЬ »Bob die Woche; er empfing als Lohn Sonnabends nur fünfzehn seiner Namensvettern, und doch segnete der Geist der diesmaligen Weihnacht seine Hütte, die nur vier Räume enthielt.

      Da erhob sich also Mr. Cratchits Frau vor ihnen in einem ärmlichen, zweimal gewendeten Kleide, aber hübsch aufgeputzt mit Bändern, die billig sind, indessen für sechs Pence nett genug ausschauen. Sie stand im Zimmer und deckte den Tisch und ward dabei unterstützt von Belinda Cratchit, ihrer zweiten Tochter, die ebenso nett mit Bändern geschmückt war. Master Peter Cratchit aber stach und probierte mit der Gabel die Kartoffel in einer Schüssel. Die Spitzen seines ungeheuren Hemdkragens (Bobs Privateigentum, seinem Sohn und Erben zu Ehren des Festes geliehen) drangen ihm dabei in den Mund, und er war voll Stolz, so schön angezogen zu sein, und voll Verlangen, sein weißes Hemd in den vornehmen Parks zur Schau zu tragen. Jetzt kamen die beiden jüngsten Cratchits, ein Mädchen und ein Knabe, hereingesprungen und riefen, sie hätten an des Bäckers Tür den Duft der Gans gerochen und gewußt, daß es ihre eigene sei; und in üppig schwelgenden Gedanken an Salbei und Zwiebeln tanzten sie um den Tisch und erhoben Master Peter Cratchit bis zum Himmel, während er (nicht hochmütig, obgleich der Hemdkragen ihn fast erwürgte) das Feuer anblies, bis die Kartoffeln gegen die Topfdeckel aufwallten, auf daß man sie herausnehmen und schälen solle.

      »Wo bleibt nur euer lieber Vater?« sagte Mrs. Cratchit. »Und dein Bruder Tiny Tim; und Martha war vorige Weihnachten eine halbe Stunde früher da.«

      »Hier ist Martha, Mutter«, riefen die beiden kleinen Cratchits. »Hurra, es gibt soo eine Gans, Martha.«

      »Gott sei Dank, liebes Kind! Wie spät du kommst!« sagte Mrs. Cratchit und küßte sie ein dutzendmal. Dann nahm sie ihr mit geschäftigem Eifer Schal und Hut ab.

      »Wir hatten gestern abend viel fertigzubringen«, antwortete das Mädchen, »und mußten heute alles aufräumen, Mutter.«

      »Nun, es macht nichts, wenn du nur jetzt da bist«, sagte Mrs. Cratchit, »setz dich zum Feuer, mein Kind, und wärme dich.« –

      »Nein, nein, da kommt der Vater«, riefen die beiden kleinen Cratchits, die überall zugleich waren. »Versteck dich, Martha, versteck dich!«

      Martha versteckte sich, und jetzt kam Bob herein, der Vater. Wenigstens drei Fuß, ohne die Fransen, hing der Schal auf seine Brust herab, und der abgetragene Anzug war geflickt und gebürstet, um ihn ansehnlich zu machen. Tiny Tim saß auf seiner Schulter. Der arme Tiny Tim! Er trug eine kleine Krücke und mußte seine Glieder durch eiserne Schienen stützen.

      »Nun, wo ist unsere Martha?« rief Bob Cratchit, sich im Zimmer umblickend.

      »Sie kommt nicht!« sagte Mrs. Cratchit.

      »Sie kommt nicht?« fragte Bob, während seine frohe Stimme beträchtlich sank; denn er war den ganzen Weg von der Kirche Tims Vollblutrenner gewesen und im vollen Galopp nach Haus geeilt. »Sie kommt nicht zum Weihnachtsabend?«

      Martha wollte ihm keinen Kummer bereiten, selbst wenn es nur aus Scherz geschah, und so eilte sie vorzeitig hinter der Kammertür hervor und schlang die Arme um seinen Hals, indessen die beiden kleinen Cratchits sich Tiny Tims bemächtigten und ihn nach dem Waschhause schleppten, damit er den Pudding im Kessel singen höre.

      »Und wie hat sich der kleine Tim benommen?« fragte Mrs. Cratchit, als sie Bob wegen seiner Leichtgläubigkeit geneckt und Bob seine Tochter nach Herzenslust geherzt hatte.

      »So gut wie Gold«, sagte Bob, »und noch besser. Freilich, er wird, weil er immer mit sich allein gelassen ist, ganz grüblerisch und sinnt sich die seltsamsten Dinge aus. So sagte er, als wir nach Hause gingen, er hoffe, die Leute sähen ihn in der Kirche, daß er nämlich ein Krüppel sei, und das wäre vielleicht gut für sie, sich dann am Christtag an den zu erinnern, der Lahme gehend und Blinde sehend machte.«

      Bobs Stimme zitterte, als er dieses erzählte, und zitterte noch mehr, als er hinzufügte, daß Tiny Tim jetzt stärker und gesünder sich entwickele.

      Seine kleine, behend gehandhabte Krücke ward auf dem Hausflur vernehmlich, und ehe ein Wort weiter gesprochen worden, kam Tim zurück und wurde von seinem Bruder und seiner Schwester nach seinem Stuhl am Kamin geführt. – Während jetzt Bob, seine Rockaufschläge aufschlagend – als ob es möglich wäre, sie noch mehr abzutragen –, in einer Bowle eine heiße Mischung aus Kognak und Zitrone zubereitete, sie umrührte und wieder ans Feuer stellte, damit sie warm bliebe, gingen Master Peter und die zwei überall dabei seienden kleinen Cratchits, um die Gans zu holen, mit der sie bald in majestätischer Prozession zurückkehrten. –

      Ein solcher Freudenlärm erhob sich jetzt, als sei eine Gans der seltenste aller Vögel, ein gefiedertes Wunder, neben dem ein schwarzer Schwan etwas ganz Gewöhnliches ist; und wirklich war sie es auch in diesem Hause. Mrs. Cratchit wärmte die Bratensoße (sie war in einem Pfännchen vorbereitet) wieder auf; Master Peter schmorte die Kartoffeln mit unglaublichem Eifer; Miß Belinda süßte das Apfelmus; Martha wischte die gewärmten Teller ab; Bob aber trug Tiny Tim neben sich an eine gemütliche Ecke des Tisches. Die beiden kleinen Cratchits rückten die Stühle zurecht, wobei sie sich nicht vergaßen, und nahmen ihren Posten ein, den Löffel in den Mund steckend, damit sie nicht nach der Gans schrien, ehe die Reihe an sie kam. Endlich wurden die Gerichte aufgetragen und das Tischgebet gesprochen. Nun folgte eine atemlose Pause, als Mrs. Cratchit das Tranchiermesser gemächlich von der Spitze bis zum Heft prüfte und sich anschickte, es in die Brust des Gänsebratens zu stoßen; aber als sie es tat und die langersehnte Füllung hervorquoll, ertönte ein Murmeln des Entzückens um den ganzen Tisch, und selbst Tiny Tim, durch die beiden kleinen Cratchits mitgerissen, schlug mit dem Heft seines Messers auf den Tisch und rief mit dünner Stimme Hurra. –

      Solch eine Gans hatte es noch nie gegeben. – Bob sagte, er könne nicht glauben, daß jemals eine solche Gans gebraten worden wäre. Ihre Zartheit und Leckerkeit, ihre Größe und ihre Billigkeit waren der Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Mit Hilfe des Apfelmuses und der geschmorten Kartoffeln bildete sie ein hinreichendes Mahl für die ganze Familie; und als Mrs. Cratchit noch einen einzigen kleinen Knochen auf der Schüssel liegen sah, erklärte sie mit großer Freude, sie hätten noch nicht einmal alles aufgegessen. Aber jeder hatte genug, und die kleinen Cratchits waren bis zu den Augenbrauen voller Salbei und Zwiebeln. Jetzt wurden die Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ das Zimmer allein – denn sie war zu aufgeregt, um dabei Zeugen dulden zu können –, um den Pudding umzustürzen und zu servieren. –

      Man denke sich bloß einmal, er wäre nicht recht durchgebacken! Man denke sich, er zerfiele beim Herausnehmen in Stücke! Man denke, jemand wäre über die Mauer des Hinterhauses geklettert und hätte ihn gestohlen, während sie sich an der Gans gütlich taten – ein Gedanke, bei dem die beiden kleinen Cratchits bleich vor Schrecken geworden wären. Alle möglichen schrecklichen Dinge malten sie sich aus.

      Hallo, eine große Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel genommen. Ein Geruch wie an einem Waschtag! Das war die Serviette. Ein Geruch wie in einem Gasthof mit einem Pastetenbäcker als Nachbarn zur Linken und einer Waschfrau als Nachbarin zur Rechten. Das war der Pudding. Nach einer halben Minute trat Mrs. Cratchit herein außer Atem, aber erhaben lächelnd, und vor sich den Pudding, steif und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel, in einem Viertelliter Rum flammend und in der Mitte mit der festlichen Stechpalme geschmückt. –

      Oh, ein wundervoller Pudding! Bob Cratchit erklärte mit dem Brustton der Überzeugung, er halte dieses für das größte Kochkunststück, das Mrs. Cratchit seit ihrer Heirat vollbracht habe. Mrs. Cratchit sagte, jetzt, da die Last von ihrem Herzen sei, wolle sie nur gestehen, daß sie sehr in Zweifel gewesen sei, wieviel Mehl eigentlich dazu gehöre. Jeder hatte etwas darüber zu bemerken, aber keinem fiel der Gedanke ein, daß es überhaupt ein kleiner Pudding für eine so große Familie gewesen sei. Das wäre СКАЧАТЬ