Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter Benjamin страница 26

СКАЧАТЬ haben würde, so habe ich keine Ursache zu klagen.«

      »Welches Götzenbild hätte dich verdrängt?« fragte er.

      »Ein goldenes.«

      »Das ist die Gerechtigkeit der Welt!« sagte er. »Gegen nichts ist sie so feindlich, wie gegen die Armut; und dennoch verdammt sie nichts mit größerer Strenge, als das Streben nach Reichtum.«

      »Du fürchtest das Urteil der Welt zu sehr«, antwortete sie freundlich. »Alle deine andern Hoffnungen sind in der einen verschluckt von dem hoffenden Bemühen der Welt, äußerlich keinen Anlaß zum Tadel zu geben. Ich habe deine edleren Regungen eine nach der anderen verschwinden sehen, bis die eine Leidenschaft nach Gold dich ganz erfüllte. Ist es nicht so?«

      »Und was weiter«, antwortete er. »Selbst wenn ich soviel klüger geworden bin, was weiter? Gegen dich bin ich doch unverändert.«

      Sie schüttelte ihr Haupt.

      »Bin ich anders?«

      »Unser Verlöbnis ist von ehedem. Es wurde geschlossen, als wir beide arm und bei alledem zufrieden waren, bis wir unser Los durch beharrlichen Fleiß verbessern könnten. Du bist ein anderer geworden. Als wir uns verlobten, warst du ein anderer Mensch.«

      »Ich war ein Knabe«, sagte er ungeduldig.

      »Dein eigenes Gefühl sagt dir, daß du nicht so warst, wie du jetzt bist«, antwortete sie. »Ich bin noch immer die gleiche. Das, was uns das Glück versprach, als wir noch eins im Herzen waren, bedeutet uns Kummer und Unglück jetzt, wo wir im Geiste nicht mehr eins sind. Wie oft und wie bitter ich das gefühlt habe, will ich nicht sagen; es ist genug, daß ich es gefühlt habe, und daß ich dich deiner Verpflichtung entbinden kann.«

      »Habe ich meiner Verpflichtung untreu zu werden versucht?«

      »In Worten? Nein. Niemals!«

      »Worin dann?«

      »Durch ein verändertes Wesen, durch eine andere Gesinnung, durch andere Lebenskreise, an die du dich anschlossest, und durch eine andere Hoffnung als auf sein großes menschlich-göttliches Ziel. In allem, was meiner Liebe in deinen Augen einigen Wert gab. Wenn alles Frühere zwischen uns nicht gewesen wäre«, sagte das Mädchen, ihn mit sanftem, aber sicherm Blick ansehend, »sage mir, würdest du mich jetzt aufsuchen und um mich werben? Ach, nein!«

      Er schien die Wahrheit dieser Voraussetzung wider Willen zuzugeben. Aber er versetzte mit Starrsinn: »Du glaubst es also nicht?«

      »Ich wäre glücklich, wenn ich könnte«, sagte sie. »Der Himmel weiß es! Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt habe, weiß ich, wie stark und unwiderstehlich sie sein muß. Aber wenn du heute oder morgen oder gestern frei wärest, soll ich glauben, daß du ein armes Mädchen wählen würdest, du, der selbst in den vertrautesten Stunden alles nach dem Gewinn taxierst? Oder soll ich mich betören, daß selbst, wenn du für einen Augenblick deinem einzigen leitenden Grundtrieb untreu werden könntest, du sicher einst Enttäuschung und bitteres Bedauern fühlen würdest? Nein; und deswegen gebe ich dir dein Wort zurück. Aus vollem Herzen, um der Liebe willen zu dem, der du einst warst.«

      Es drängte ihn zu sprechen, aber mit abgewandtem Gesicht fuhr sie fort: »Vielleicht – der Gedanke an die Vergangenheit läßt es mich fast hoffen – wird es dich schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit, und du wirst dann die Erinnerung daran auslöschen, freudig wie die Gedanken eines unrentablen Traums, von dem zu erwachen es dich beglückte. Mögest du auf dem von dir gewählten Lebensweg glücklich werden!«

      Sie verließ ihn, und so trennten sich ihre Wege.

      »Geist«, sagte Scrooge, »zeige mir nichts mehr, führe mich nach Hause. Warum erfreust du dich daran, mich zu quälen?«

      »Noch ein Schatten«, rief der Geist aus.

      »Nein«, bat Scrooge. »Nein! Ich möchte keinen mehr sehen. Zeige mir keinen mehr.«

      Aber der unnachsichtige Geist hielt ihn mit beiden Händen fest und zwang ihn zu betrachten, was jetzt erfolgte.

      Sie waren nun an einem andern Ort, in einem Zimmer, das war nicht sehr groß oder schön, aber recht behaglich. Neben dem Kamin saß ein schönes junges Mädchen, so ähnlich jener, die Scrooge zuletzt gesehen hatte, daß er glaubte, es sei dieselbe, bis er sie, jetzt eine freundliche Dame, der Tochter gegenübersitzen sah. Der Lärm in dem Raum war wahrhaft tumultuarisch; denn es waren mehr Kinder darin, als Scrooge in seiner Aufregung zählen konnte; und hier führten sich nicht vierzig Kinder wie eins auf, sondern jedes Kind wie vierzig. Die Folge davon war ein unbeschreiblicher Lärm. Aber niemand schien sich darum zu kümmern; im Gegenteil, Mutter und Tochter lachten herzlich und freuten sich darüber. Die letztere, die sich bald in die Spiele mischte, wurde von den kleinen Schelmen gar arg umwirtschaftet. Was hätte ich darum gegeben, eines dieser Kinder zu sein, obwohl ich niemals so unartig gewesen wäre. Nein, nein! Ich hätte um alle Schätze der Welt diese Locken nicht zerdrückt und zerwühlt; und hätte es gegolten, mein Leben damit zu retten, so hätte ich diese lieben, kleinen Schuhe nicht abgezogen. Im Spiel ihre Taille zu messen, wie das verwegene junge Gemüse es tat, hätte ich nicht gewagt. Ich hätte geglaubt, mein Arm würde zur Strafe krumm und nie wieder gerade werden. Und doch, wie gern, ich gestehe es, hätte ich ihre Lippen berührt; wie gern hätte ich sie gefragt, damit sie sich geöffnet hätten. Wie gern hätte ich die Wimpern dieser gesenkten Augen betrachtet, ohne ein Erröten hervorzulocken; wie gern hätte ich dieses wallende Haar gelöst, von dem ein Zoll ein unbezahlbarer Schatz gewesen wäre. Kurz, wie gern hätte ich das kleinste Vorrecht eines Kindes gehabt, dabei aber Mann genug sein mögen, um dessen Wert zu erkennen.

      Aber jetzt wurde ein Klopfen an der Tür vernehmlich, das einen so allgemeinen Sturm auf sie hin veranlaßte, daß das Mädchen mit lachendem Gesicht und verwirrter Kleidung in der Mitte eines frohen, lärmenden Haufens nach der Tür gedrängt wurde, dem Vater entgegen, der nach Hause kam, begleitet von einem Mann, der mit Weihnachtsgeschenken bepackt war. Aber nun das Gejubel und das Gedränge und der Sturm auf den wehrlosen Träger! Wie sie auf Stühlen an ihm emporkletterten, in seine Taschen lugten, die Papierpaketchen raubten, an seiner Halsbinde zupften, ihm auf den Rücken trommelten und an die Beine stießen – alles in unbändiger Freude! Dann diese Ausrufe der Bewunderung und des Vergnügens, mit denen der Inhalt jedes Päckchens begrüßt wurde! Der Schrecken bei der Überraschung dabei, daß das Wickelkind die Bratpfanne der Puppe in den Mund steckte, oder wohl gar das hölzerne Huhn samt der Schüssel verschluckt habe! Die große Befriedigung, wenn sie feststellten, daß es eine unbegründete Sorge gewesen! Welche Freude und welche Dankbarkeit und welches Beglücktsein! Das alles war über alle Begriffe. Es muß genügen, zu wissen, daß die Kinder samt ihrem Jubel endlich aus dem Zimmer kamen und zusammen eine Treppe hinaufgingen, wo sie zu Bett gebracht wurden.

      Und als jetzt Scrooge aufmerksamer als früher sah, wie der Herr des Hauses, die Tochter liebkosend ihm zur Seite, sich mit ihr und ihrer Mutter an seinem eigenen Kamin niedersetzte; und wie er sich ausmalte, daß ein ebenso liebliches und vielversprechendes Wesen ihn hätte Vater nennen und gleichsam zu einem Frühling in dem öden Winter seines Lebens hätte werden können, da wurden seine Augen recht trübe.

      »Bella«, sagte der Mann, sich lächelnd zu seiner Frau wendend, »ich sah heute nachmittag einen alten Freund von dir.«

      »Wen denn?«

      »Rate.«

      »Wie kann ich das? Doch, jetzt weiß ich«, fügte sie sogleich hinzu, lachend, wie er lachte. »Mr. Scrooge.«

      »Ja, Mr. Scrooge. Ich ging СКАЧАТЬ