Aus meinem Jugendland. Isolde Kurz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aus meinem Jugendland - Isolde Kurz страница 9

Название: Aus meinem Jugendland

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066112127

isbn:

СКАЧАТЬ vom Nachbar begehrten Grundstücks gesträubt haben sollte, wurde gleich nach der Entdeckung vom Schlage gerührt. Dunkle Vermutungen spannen sich um diese Begebenheiten, ohne Gestalt zu gewinnen, denn das Verbrechen war verjährt, somit wurde ihm nicht weiter nachgeforscht. Aber nun tauchten auf einmal andere unheimliche Geschichten auf, die uns Tante Berta und Josephine an den langen Abenden mit raunender Stimme erzählten. Ich begann in jedem fremdartig oder finster aussehenden Menschen, ob er nun schielte oder sonst fehlgeschaffen war, den geheimen Täter irgendeiner grauenvollen, unaufgedeckten Tat zu ahnen. Die guten Holden zeigten da ihr Doppelgesicht der wohltätigen Fee und der düsteren Schicksalsschwester, indem sie immer mehr Grauen in meine Nächte trugen. Sogar die alte Mär vom Krokodil von Eßlingen erwachte wieder, das sich in einen Keller verirrt hatte und die zum Weinzapfen hinuntergesandten Mägde rumpf und stumpf auffraß, ein leibhaftiger Nachkomme der alten Tatzelwürmer. Vielleicht lag es jetzt eben in dem unsrigen und sperrte den Rachen gegen Josephine auf, denn solche Ungetüme leben bekanntlich ewig. Mit der Vernunft machte ich mich zwar äußerlich über den Aberglauben lustig, aber die Unvernunft glaubte heimlich doch. Meine Schutzherrin Pallas Athene hatte mir leider nur ihre Tapferkeit, aber nichts von ihrer Weisheit einflößen können. Und auch die Tapferkeit verlieh sie mir nur für die kurzen Stunden, wo ich mit ihrem Wahrzeichen, Eulenhelm und Gorgonenschild, bewehrt im Garten tollte. So abgeschlossen hatte man mich gehalten, daß ich nicht einmal ohne Furcht allein durch die Dorfgassen ging. Man konnte da einem langen, strohgelben Idioten begegnen, der zwar niemand ein Leides tat, der aber ein so seltsam leeres Gesicht hatte, daß es war, als ob ein seelenloser Gegenstand auf zwei Beinen daherkäme und einen anschaute gegen alles Naturgesetz. Wenn ein solcher Blick mich traf, begann ich zu zittern und drückte mich scheu an die Wand oder lief wie ein Häslein.

      — — Nun sehe ich mich selbst mit Mutter und Geschwistern zusamt Josephinen (der Vater war vorausgereist) in einen mit Kissen und anderem Bedarf gefüllten, geschlossenen Wagen verpackt über ein flaches, hochgelegenes Wiesenland hinrollen, das sich für meine Augen in eine steppenhafte Unendlichkeit verlor mit einem einsamen Schäfer nebst Herde und rotgestrichenem Pferchkarren als unvergeßlichem Beiwerk. Es war unser Auszug aus dem geliebten Obereßlingen, wo Freund Hopf sein Haus, den Schauplatz unseres Jugendparadieses, verkauft hatte. Wie wir in Kirchheim unter Teck in einer öden Stadtwohnung landeten, wo wir Kinder wie eingesperrte Vögel im Käfig umherflatterten und unser Mütterlein sich für uns und mit uns unglücklich fühlte, weiß ich mehr aus den Berichten anderer. Wohl erinnere ich mich, wie ich in der Dämmerstunde zuweilen ausbrach und zu einem rauschenden Wehr hinrannte, um mich durch überlautes Schreien und Singen in wilden Rhythmen, die niemand hörte, von dem eingeschlossenen Drang zu entlasten. Das altertümliche, damals noch sehr stilvolle Stadtbild verhaftete sich, nicht mit klargesehenen Einzelheiten, aber als Stimmungszauber in meiner Seele und wurde später, als ich in der Fremde lebte, ein lieber Hintergrund meiner Heimatträume, in denen meist die beiden Flüßchen von Kirchheim, die Lauter und die Lindach, plätscherten. Die eine rauschte rasch und trübe daher, die andere aber rechtfertigte ihren Namen, denn sie war lind und rieselnd wie dieser, und in beiden konnte man baden.

      Bald danach sehe ich uns wieder in einer ländlichen Wohnung vor der Stadt auf dem Wege nach der Teck, die mit ihren Albgeschwistern einladend niedersieht, inmitten eines von der Lauter durchflossenen Gartens mit Laube und Gartenhaus. Die Brüder gehen zur Schule, ich werde allein zu Hause unterrichtet, aber der Lerneifer hat merklich nachgelassen, weil der gewohnte Wettlauf mit Edgar abgestellt ist. Dieser wurde nun schon ein ganz gelehrtes kleines Haus und pflegte mich wegen meiner greulichen Fehler im lateinischen Argument weidlich auszulachen, aber er gab mir von seiner jungen Weisheit nichts ab. Mein gutes Mütterlein studierte seine lateinischen Schulhefte nach, um mir daraus vorwärts zu helfen. Mehr Freude machten mir die lebenden Sprachen, das Französische und das Italienische, das sie mir so nebenher beibrachte, ich weiß selbst nicht wie. Aber ich hatte gar keinen Ehrgeiz mehr und verträumte am liebsten meine Zeit im Garten. Eine zahme Elster war meine Spielkameradin, die mich überall hin begleitete und mir die Haarnadeln vom Kopfe und meine kleinen Schmucksachen vom Halse stahl. Gelesen wurde über die Maßen viel, mit ausgesprochenem Für und Wider, Eindrücke, für die das Kind natürlich keine Erklärung hatte, die sich aber beim späteren Lesen immer wiederholten. So entzückte mich vor allem die Turandot, diese reizende Vereinigung von großem Schillerschem Faltenwurf mit leichtbeweglicher italienischer Grazie. Die Vorstellungswelten, die ich in den Büchern fand, waren mir alle schon geläufig. Unsere Mutter lebte und webte in Hellas und hatte daneben einen starken Zug zur romanischen Kultur. Der Vater wies auf deutsches Volkstum hin und huldigte auf Sparziergängen dem Genius loci, indem er von den Sagen der Schwäbischen Alb erzählte. Da er aber meist ebenso still und wortkarg wie die Mutter lebhaft und mitteilsam war, geriet das Deutschtum zunächst in Nachteil. Nur mit den altgermanischen Göttern waren wir von klein auf vertraut und sie bildeten bei ihrer nahen Verwandtschaft mit den griechischen eine tiefsinnige Ergänzung zu diesen.

      Die Kirchheimer Zeit ist für meine Eltern wohl die schwerste ihrer Ehe gewesen; die Lebensaussicht war eine Zeitlang nach allen Seiten verbaut. Meine Mutter fühlte sich dort tödlich vereinsamt; sie vermißte nun auch die treue Hopfsche Familie, bei der sie doch immer die ihr so nötige Ansprache gefunden hatte. Sie arbeitete sich ab, um neben den häuslichen Geschäften die Höschen und Jäckchen ihrer vier Buben aus alten Männerkleidern zurechtzuschneidern, eine Kunst, für die das Freifräulein von Brunnow nicht erzogen war. Für mich sorgten zarte Feenhände, daß ich fast immer niedlich gekleidet ging und ihr auch von dieser Seite keine Mühe machte. Des Abends las sie uns den Herodot vor; ihre ungeheure Spannkraft schnellte gleich wieder auf, wenn sie bei ihren Griechen war. Nebenher erschwang sie noch die Zeit, sich mitten im Kinderlärm schriftstellerisch zu betätigen; sie hatte keine Spur von literarischem Ehrgeiz und wollte nur zum Erwerb ein kleines Scherflein beitragen. So entstand ein Band Märchen, teils in Prosa, teils in Versen, der einige Jahre später bei Schober in Stuttgart erschien. Sie seien um einen Ton zu hoch gegriffen, sagte mein Vater, der übrigens seinen Segen dazu gab, nachdem sie die Scheu, ihm ihre Sachen zu zeigen, überwunden hatte. Die Erzählungen in Versen gelangen ihr besser, weil ihr die metrische Sprache natürlicher und einfacher lag als der Prosaton. Da wir wie Geschwister zusammenlebten, ließ sie mich Neunjährige in eine auf Island spielende Geschichte auch ein paar gereimte Zeilen hineinpfuschen. Als das fertige Gedicht, das am Ende eine gewisse Hast verriet, meinem Vater vorgelegt wurde, schrieb er neckend im gleichen Versmaß darunter:

      Und zappelnd und verzweifelnd eilen

      Zum letzten Zug die letzten Zeilen.

      So etwas kränkte sie nicht nur nicht, sondern sie freute sich, dem ernsten, stillen Mann, neben dem sie immer wie ein überlebendiges Kind erschien, einen Strahl seines alten Humors entlockt zu haben. Auch eine Erzählung aus dem Dreißigjährigen Krieg hatte sie damals unter der Feder, die später gleichfalls gedruckt wurde. Da die Verfasserin Menschen und Dinge wenig kannte und mehr in der Idee als in der Anschauung lebte, blieben ihre Gestalten etwas abstrakt und farblos. Sie war sich darüber vollständig klar, ja sie unterschätzte ihre Begabung weit, da sie auch ihre Verse, zu denen ein inneres Bedürfnis sie von klein auf trieb, nicht als wirkliche poetische Erzeugnisse, sondern nur als unentbehrliche innere Entlastung gelten ließ. Mein Vater äußerte sich damals in seiner bildlichen Redeweise zu mir über ihre dichterischen Versuche:

      Ihre Muse ist ein ganz hübsches Kind, aber sie hat zerrissene Strümpfe an.

      Als ich dieses Urteil einmal ganz spät am Ende ihrer Tage der inzwischen achtzigjährig Gewordenen erzählte, antwortete sie lächelnd: Ich habe sie seitdem geflickt. Es hatte seine Richtigkeit. Ihre Gabe, sich poetisch auszudrücken, entwickelte sich mit den Jahren immer mehr, wie überhaupt ihre ganze Persönlichkeit bestimmt war, erst im höchsten Greisenalter, das bei ihr noch immer quellende Jugend war, eine süße duftende Reife zu erlangen wie eine alleredelste Weinsorte. Damals war sie noch brausender Most und gärte mit ihren Kindern um die Wette.