Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962812515

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СКАЧАТЬ Ein­rich­tun­gen hat­ten für ihn nur den Sinn, dass er ih­nen zum Spaß Schnipp­chen schla­gen konn­te, wo­bei er, wenn der Streich ent­deckt wur­de, die La­cher auf sei­ne Sei­te zog; mit sol­chen Strei­chen um­kränz­te er sein gan­zes Da­sein wie mit la­chen­den Ara­bes­ken; wenn sie ge­le­gent­lich ins Ge­fähr­li­che gin­gen, nur um so bes­ser. Meist aber blie­ben sie in der Sphä­re des Stu­den­ten­ju­xes. So ging er ei­nes Ta­ges in Beglei­tung sei­nes höchst mar­tia­lisch aus­se­hen­den Die­ners und Fak­to­tums Car­lo über den Lun­gar­no, als sie in einen Auf­lauf ge­rie­ten, in des­sen Mit­te ein Mann un­barm­her­zig auf sei­ne Frau los­drosch, ohne dass die Um­ste­hen­den es wehr­ten. Van­zet­ti trat ohne wei­te­res auf den Roh­ling zu: Im Na­men des Kö­nigs! Ich ver­haf­te Sie. Und zu den An­we­sen­den sag­te er: Ich bin De­le­gier­ter der pu­bli­ca si­cu­rez­za, was schon in An­be­tracht sei­nes Beglei­ters, den alle für einen Po­li­zis­ten in Zi­vil hiel­ten, von nie­mand be­zwei­felt wur­de. Die zwei nah­men den Mis­se­tä­ter in die Mit­te, um ihn, wie der Herr »De­le­ga­to« sag­te, zur Quä­stur zu füh­ren, wäh­rend der Ver­haf­te­te jäm­mer­lich bat, ihn frei­zu­las­sen, un­ter den hei­ligs­ten Ver­spre­chun­gen, dass er sich bes­sern wol­le. Der falsche Be­am­te ließ sich denn auch nach län­ge­rem Marsch er­wei­chen, nahm dem Zer­knirsch­ten noch zum Schein sei­ne Per­so­na­li­en ab und schick­te ihn un­ter strengs­ten Er­mah­nun­gen nach Hau­se. Volks­tri­bun ohne öf­fent­li­chen Auf­trag, sah man ihn stets be­schäf­tigt, die Sa­che der Schwa­chen und Un­ter­drück­ten zu füh­ren, Män­gel der ir­di­schen oder der himm­li­schen Vor­se­hung mit den al­ler­will­kür­lichs­ten Mit­teln zu be­rich­ti­gen.

      Ein­mal – es war in et­was spä­te­rer Zeit – be­glei­te­te er mich auf ei­nem Gang am Af­ri­co, als ein Ge­fährt von hin­ten an uns vor­über­roll­te, des­sen Len­ker sinn­los auf das arme Pferd ein­schlug. Van­zet­ti, der ein großer Tier­freund war, ver­wies ihm die Ro­heit; da ver­dop­pel­te der Un­hold sei­ne Hie­be und rief ein ge­mei­nes Schimpf­wort zu­rück. Nicht lan­ge, so fan­den wir auf sei­nen Spu­ren wei­ter­ge­hend eine schö­ne, na­gel­neue Pfer­de­de­cke mit­ten im Stra­ßen­staub lie­gen. Mein Beglei­ter hob sie auf, schüt­tel­te sie aus und leg­te sie in Er­war­tung des Be­sit­zers zier­lich zu­sam­men­ge­fal­tet auf den Arm, als ob er einen Da­men­schal trü­ge. Rich­tig kam gleich dar­auf der Wa­gen im Ga­lopp zu­rück, der gro­be Fuhr­mann schrie uns an, ob wir kei­ne Pfer­de­de­cke ge­fun­den hät­ten. Ein stum­mes Nein Van­zet­tis und ein miss­traui­scher Blick des Fuhr­manns auf den vor­geb­li­chen Schal, der in der Däm­me­rung nicht mehr recht zu er­ken­nen war, dann saus­te er flu­chend wei­ter. Ich frag­te den un­ehr­li­chen Fin­der, was er denn mit der Die­bes­beu­te zu tun ge­däch­te. Sie dem ers­ten ar­men Teu­fel schen­ken, der mor­gen früh in die Sprech­stun­de kommt. Mei­ne Be­den­ken fand er na­tür­lich phi­lis­ter­haft.

      Es be­greift sich, dass die­ser ir­ren­de Rit­ter der Ge­rech­tig­keit mit sei­ner aus­la­den­den Sil­hou­et­te sich bei den nie­de­ren Schich­ten ei­ner glü­hen­den Be­liebt­heit er­freu­te. Es wäre ihm ein Leich­tes ge­we­sen, sich aus sei­ner An­hän­ger­schaft eine Stu­fe zu äu­ße­ren Ehren und Äm­tern zu bau­en, aber nichts lag ihm fer­ner; er war au­ßer­stan­de, einen Plan auf­zu­stel­len und mit Be­stimmt­heit zu ver­fol­gen, al­les war Re­gung des Au­gen­blicks, ohne Fort­gang und Ste­tig­keit. Ich ver­sprach ihm ein­mal in spä­te­ren Jah­ren, wenn er mir flei­ßig sei­ne Aben­teu­er beich­ten wol­le, so wür­de ich sei­ne Le­bens­ge­schich­te schrei­ben. Aber ob­gleich die Be­kennt­nis­se nichts zu wün­schen üb­rig lie­ßen, sah ich doch bald, dass sie nur als Ran­ken­werk ver­wert­bar wa­ren, ohne einen Le­bens­lauf zu er­ge­ben, weil nur aus Epi­so­den, An­ek­do­ten be­ste­hend. Da­ge­gen lie­fer­te er mir le­ben­di­ge Ein­zel­zü­ge für Ge­stal­ten mei­ner spä­te­ren No­vel­lis­tik, wie den fre­chen, aber nicht un­ed­len Roc­co Fon­ta­na in »Un­se­re Car­lot­ta« und den lie­bens­wür­di­gen Mi­li­tär­arzt, an den die arme klei­ne Pen­sa ihr Herz­chen so tra­gisch ver­liert.

      Wir wer­den sei­ner Ge­stalt noch oft auf die­sen Blät­tern be­geg­nen, denn er ver­wuchs im­mer fes­ter mit der Fa­mi­lie sei­nes Freun­des und über­trug die Treue für ihn auf alle Glie­der des Hau­ses. Als Nor­di­ta­lie­ner hat­te er für deut­sches We­sen viel Ver­ständ­nis und bil­de­te so die na­tür­li­che Brücke zu dem um­ge­ben­den ita­lie­ni­schen Ele­ment. Nicht min­der stand er als Ver­mitt­ler zwi­schen den Ge­schwis­tern selbst: wenn die er­reg­ba­ren Geis­ter auf­ein­an­der­prall­ten, stell­te er sich brü­der­lich als Puf­fer da­zwi­schen, lenk­te ab, ver­glich, und in­dem er je­dem ein­zel­nen recht zu ge­ben schi­en, be­frie­dig­te er alle und be­schwich­tig­te das ängst­li­che Mut­ter­herz. Für sol­chen Eier­tanz wa­ren die leich­ten ita­lie­ni­schen Füße wie ge­schaf­fen. An al­len un­se­ren Schick­sals­ta­gen war er hel­fend und teil­neh­mend oder mit­trau­ernd zu­ge­gen, und man kann wohl sa­gen, dass ohne ihn dem Fa­mi­li­en­le­ben ge­ra­de­zu ein Rad ge­fehlt hät­te.

      Dies war un­ser stän­di­ger Men­schen­kreis in der Via del­le Por­te nuo­ve. Spä­ter­hin trat noch ein an­de­rer Nor­di­ta­lie­ner, Freund Car­lo Fa­so­la, der Pro­fes­sor für deut­sche Spra­che und Li­te­ra­tur an der flo­ren­ti­ni­schen Hoch­schu­le, mit sei­ner streb­sa­men, aus Mün­chen ge­hol­ten Gat­tin hin­zu. Mir als Sprach­for­scher ein be­son­ders will­kom­me­ner Zu­wachs, weil er einen Be­reich mit mir ge­mein hat­te, auf den seit den Tü­bin­ger Ta­gen mei­nes Ernst Mohl nie­mand mehr ein­ge­gan­gen war. Aber glück­li­cher­wei­se war auch er kein Buch­ge­lehr­ter, son­dern ein großer Na­tur­freund, er brauch­te die Nähe der Schol­le und den Um­gang mit Tie­ren um sich wohl zu füh­len und leb­te dar­um im­mer au­ßer­halb der Stadt. Wenn er auf sei­nem lus­ti­gen Esels­wä­gel­chen an­ge­fah­ren kam, so brach­te er in sei­ner großen Ur­sprüng­lich­keit und stu­den­ti­schen Un­be­küm­mert­heit eine Wel­le von Land­luft mit, die er­qui­ckend war.