Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Baldurs Augen leuchteten auf. Eben noch war er völlig entmutigt gewesen, aber nun sah er wieder Licht.
»Den Radioapparat mit dem Plattenspieler und den Platten, Herr Kommissar!«, flüsterte er gierig.
»Na schön!«, sagte der Kommissar gnädig. »Ich habe dir ja gesagt, vor sechse komme ich nicht wieder hierher. Sonst noch was?«
»Vielleicht ein oder zwei Handkoffer mit Wäsche!«, bat Baldur. »Meine Mutter ist mächtig knapp mit Wäsche!«
»Gott, wie rührend!«, spottete der Kommissar. »Was für ’n rührender Sohn! So ’n richtiges ergreifendes Muttersöhnchen! Na, meinethalben! Damit ist dann aber auch Schluss! Für alles andere bist du mir verantwortlich! Und ich habe ein verdammt gutes Gedächtnis dafür, wie was steht und liegt, mich legst du so leicht nicht rein! Und wie schon bemerkt, in jedem Zweifelsfall Haussuchung bei den Persickes. In jedem Fall gefunden: ein Radioapparat mit Plattenspieler, zwei Handkoffer mit Wäsche. Aber keine Angst, Sohn, solange du reell bist, bin ich’s auch.«
Er ging zur Tür. Er sagte noch, über die Schulter weg: »Übrigens, wenn dieser Barkhausen hier wieder auftauchen sollte, es gibt keine Stänkereien mit ihm. Ich mag so was nicht, verstanden?«
»Jawohl, Herr Kommissar«, antwortete Baldur Persicke gehorsam, und damit trennten sich die beiden Herren – nach einem so erfolgreich verbrachten Morgen.
1 Sitz der Gestapo-Zentrale in Berlin <<<
17. Auch Anna Quangel macht sich frei
Für die Quangels verlief dieser Sonntag nicht so erfolgreich, wenigstens kam es nicht zu der von Frau Anna gewünschten Aussprache.
»Nee«, sagte Quangel auf ihr Drängen. »Nee, Mutter, heute nicht. Der Tag hat falsch angefangen, an solchem Tag kann ich nicht tun, was ich eigentlich wollte. Und wenn ich’s nicht tun kann, will ich auch nicht davon sprechen. Vielleicht anderen Sonntag. Horchst du? Ja, da schleicht wohl schon wieder einer von den Persickes über die Treppe – na, lass sie! Wenn sie uns nur in Frieden lassen!«
Aber Otto Quangel war ungewöhnlich weich an diesem Sonntag. Anna durfte so viel von dem gefallenen Sohn reden, wie sie wollte, er verbot ihr nicht den Mund. Er sah sogar mit ihr die wenigen Fotos durch, die sie von dem Sohne besaß, und als sie dabei wieder zu weinen anfing, legte er ihr die Hand auf die Schulter und sagte: »Lass, Mutter, lass. Wer weiß, wozu’s gut ist, was ihm alles erspart bleibt.«
Also: dieser Sonntag war auch ohne Aussprache gut. Lange hatte Anna Quangel den Mann nicht so milde gesehen, es war, als schiene die Sonne noch einmal, ein letztes Mal über das Land, ehe der Winter kam, der alles Leben unter seiner Eis- und Schneedecke verbarg. In den nächsten Monaten, die Quangel immer kälter und wortkarger machten, musste sie oft an diesen Sonntag zurückdenken, er war ihr Trost und Aufmunterung zugleich.
Dann fing die Arbeitswoche wieder an, eine dieser immer gleichen Arbeitswochen, die eine der anderen ähnelten, ob nun Blumen blühten oder Schnee draußen trieb. Die Arbeit war immer die gleiche, und die Menschen blieben auch, wie sie gewesen waren.
Nur ein kleines Erlebnis, ein ganz kleines, hatte Otto Quangel in dieser Arbeitswoche. Als er zur Fabrik ging, kam ihm in der Jablonskistraße der Kammergerichtsrat a.D. Fromm entgegen. Quangel hätte ihn schon gegrüßt, aber er scheute die Augen der Persickes. Er wollte auch nicht, dass Barkhausen, von dem Anna ihm erzählt hatte, die Gestapo habe ihn mitgenommen, etwas sähe. Der Barkhausen war nämlich wieder da, wenn er überhaupt je fortgewesen war, und hatte sich vor dem Hause herumgedrückt.
So ging denn Quangel stur, ohne ihn zu sehen, an dem Kammergerichtsrat vorbei. Der hatte wohl nicht so viele Bedenken, jedenfalls lüftete er leicht seinen Hut vor dem Mitbewohner des Hauses, lächelte mit den Augen und ging ins Haus.
Grade recht!, dachte Quangel. Wer’s gesehen hat, denkt: der Quangel bleibt immer der gleiche rohe Klotz, und der Kammergerichtsrat ist ein feiner Mann. Aber dass die beiden was miteinander zu tun hatten, das denkt er nicht!
Anna Quangel aber hatte in dieser Woche noch eine schwierige Arbeit zu erledigen. Beim Einschlafen am Sonntag hatte ihr der Mann noch gesagt: »Sieh, dass du aus der Frauenschaft rauskommst. Aber so, dass es keinem auffällt. Ich bin auch meinen Posten bei der Arbeitsfront los.«
»Oh Gott!«, rief sie. »Wie hast du das denn gemacht, Otto? Wieso haben die dich gehen lassen?«
»Wegen angeborener Körperdoofheit«, hatte Quangel ungewöhnlich aufgeräumt geantwortet und damit diese Unterhaltung beendet.
Sie aber hatte ihre Aufgabe nun vor sich. Wegen Doofheit würden die sie nie laufenlassen, dafür kannten sie die Quangel zu gut, ihr musste schon etwas anderes einfallen. Den Montag und Dienstag grübelte Anna Quangel darüber, am Mittwoch glaubte sie es schließlich zu haben. Wenn Doofheit bei ihr nicht verfing, dann vielleicht Überklugheit. Überklugheit, zu viel wissen, zu schlau sein, das war denen noch lästiger als ein bisschen Doofheit. Und Überklugheit, gepaart mit Übereifer, ja, so musste es gehen.
Und kurz entschlossen machte sich Anna Quangel auf den Weg. Sie wollte diese Sache möglichst schnell hinter sich bringen, sie wollte, wenn es irgend ging, heute Nacht noch Otto melden, dass sie es wie er geschafft hatte, das heißt, ohne parteipolitisch missliebig aufgefallen zu sein. Sie musste es denen für immer vergällen, sich mit ihr zu beschäftigen. Schon wenn denen die Quangel einfiel, sollten sie nur denken: ›Ach, die kommt für so was nicht in Frage!‹, was dieses Sowas auch sein mochte!
Zu Anna Quangels Hauptaufgaben gehörte es in diesen Tagen, da der Zwangsarbeiter-Import noch nicht recht in Gang gekommen war und noch kein Sonderbeauftragter des Führers mit Ministerrang für diese Sklavengeschäfte ernannt worden war – zu ihren Hauptaufgaben also gehörte es, unter ihren deutschen Volksgenossinnen solche zu ermitteln, die sich vor der Arbeit in den Rüstungswerken drückten, die damit, wie es in der üblichen Parteiterminologie hieß, zu Verrätern СКАЧАТЬ