Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Als der Herr Kommissar Rusch vom Telefonieren auf den Hof zurückkam, hatte sich die Lage dort ein wenig geändert. In den Fenstern des Hinterhauses lagen überall Gesichter, es standen auch ein paar Leute auf dem Hof – aber ferne. Die Leiche war jetzt mit einem Laken zugedeckt, das etwas zu kurz war, die Beine der Frau Rosenthal sahen bis zu den Knien darunter hervor.
Der Herr Barkhausen aber sah etwas gelb im Gesicht aus und trug jetzt Handkettlein. Von der Hofseite her beobachteten ihn schweigend seine Frau und die fünf Kinder.
»Herr Kommissar, ich protestiere dagegen!«, rief Barkhausen jetzt jämmerlich. »Ich habe das Armband bestimmt nicht in die Kellerluke geworfen. Der junge Herr Persicke hat einen Hass auf mich …«
Es stellte sich heraus, dass Friedrich, von der Erledigung seiner Aufträge zurückgekehrt, sofort begonnen hatte, nach dem Armband zu suchen. Frau Rosenthal hatte es in der Küche doch noch in der Hand gehabt – grade um dieses Armbandes willen, das sie durchaus nicht loslassen wollte, war ja ein gewisser Ärger bei Friedrich entstanden. Und in diesem Ärger hatte er nicht wie sonst aufgepasst, und die Frau hatte ihm den Streich mit dem Fenster spielen können. Das Armband musste also hier irgendwo auf dem Hof liegen.
Als der Friedrich so herumzusuchen anfing, hatte Barkhausen an der Hauswand gestanden. Plötzlich hatte Baldur Persicke etwas blitzen gesehen, und darauf hatte es in der Kellerluke geraschelt. Er hatte gleich nachgesehen, und – siehe! – da lag das Armband in der Luke!
»Ich hab’s bestimmt nicht reingeworfen, Herr Kommissar!«, beteuerte Barkhausen angstvoll. »Es muss von der Frau Rosenthal fortgefallen sein in das Kellerloch!«
»So!«, sagte der Kommissar Rusch. »So ein Vogel bist du also! So ein Vogel arbeitet also für meinen Kollegen Escherich! Das wird meinen Kollegen Escherich mächtig freuen, so was zu hören!«
Aber während der Kommissar so ganz friedlich vor sich hin schwätzte, ging sein Blick zwischen dem Barkhausen und dem Baldur Persicke hin und her, hin und her. Dann fuhr Rusch fort: »Na, ich denke, du wirst nichts dagegen haben, uns auf einem kleinen Spaziergang zu begleiten? Oder?«
»Aber nein!«, versicherte Barkhausen, zitterte dabei, und sein Gesicht wurde noch fahler. »Aber gerne komme ich mit! Mir liegt ja am meisten daran, dass alles richtig aufgeklärt wird, Herr Kommissar!«
»Na, dann ist’s ja schön!«, sagte der Kommissar trocken. Und nach einem raschen Blick auf Persicke: »Friedrich, nimm dem Mann die Handfessel ab. Der kommt auch so mit. Oder?«
»Gewiss komme ich mit! Gewiss doch, gerne!«, versicherte Barkhausen eifrig. »Ich lauf nicht weg. Und wenn auch – Sie würden mich ja doch überall einfangen, Herr Kommissar!«
»Richtig!«, sagte der wieder trocken. »So ’n Vogel wie dich fangen wir überall!« Er unterbrach sich. »Da ist ja auch schon der Unfallwagen. Und die Polizei. Da wollen wir mal sehen, dass wir den Kram schnell hinter uns bringen. Ich habe heute früh noch mehr zu tun.«
Später, als sie dann »den Kram schnell hinter sich gebracht« hatten, stiegen der Kommissar Rusch und der junge Persicke noch einmal die Treppen zur Rosenthal’schen Wohnung hinauf. »Bloß, um das Küchenfenster zuzumachen!«, hatte der Kommissar gesagt.
Auf der Treppe blieb der junge Persicke plötzlich stehen. »Ist Ihnen nicht was aufgefallen, Herr Kommissar?«, fragte er flüsternd.
»Mir ist Verschiedenes aufgefallen«, erwiderte Kommissar Rusch. »Aber was ist denn dir zum Bleistift aufgefallen, mein Junge?«
»Fällt Ihnen nicht auf, wie still das Vorderhaus ist? Haben Sie nicht darauf geachtet, dass im Vorderhaus kein Kopf zum Fenster hinausgesehen hat, und im Hinterhaus haben sie doch überall geguckt! Das ist doch verdächtig. Die müssen doch was gemerkt haben, die hier im Vorderhaus. Die wollen nur nichts gemerkt haben. Sie müssten jetzt eigentlich gleich Haussuchungen bei denen machen, Herr Kommissar!«
»Und bei den Persickes würde ich damit anfangen«, antwortete der Kommissar und stieg ruhig weiter treppauf. »Bei denen hat nämlich auch keiner aus dem Fenster gesehen.«
Baldur lachte verlegen auf. »Meine Brüder von der SS«, erklärte er dann, »die haben sich beide gestern Abend so bildschön besoffen …«
»Mein lieber Sohn«, fuhr der Kommissar fort, als hätte er nichts gehört. »Was ich tu, das ist meine Sache, und was du tust, das ist deine Sache. Ratschläge von dir sind unerwünscht. Dafür bist du mir noch zu grün.« Er sah, im Stillen belustigt, über die Schulter in das bekniffene Gesicht des Jungen. »Junge«, sagte er dann, »wenn ich hier keine Haussuchungen mehr mache, so nur darum, weil die viel zu viel Zeit gehabt haben, alles Belastende wegzuschaffen. Und wozu so viel Aufstand um ’ne tote Judenfrau? Ich habe mit den lebendigen genug zu tun.«
Sie waren unterdes vor der Wohnung der Rosenthals angelangt. Baldur schloss auf. In der Küche wurde das Fenster geschlossen und ein Stuhl wieder aufgestellt, der umgefallen war.
»So!«, sagte der Kommissar Rusch und sah sich um. »Alles in bester Butter!«
Er ging voran in die Stube und setzte sich in das Sofa, auf genau die Stelle, wo er eine Stunde zuvor die alte Frau Rosenthal in eine völlige Ohnmacht hineingebeutelt hatte. Er streckte sich behaglich und sagte: »So, mein Sohn, und nun hole uns einmal eine Flasche Kognak und zwei Gläser!«
Baldur ging, kam dann zurück, schenkte ein. Sie prosteten einander zu.
»Schön, mein Sohn«, sagte der Kommissar behaglich und brannte sich eine Zigarette an, »und nun erzähl mir mal, was du und der Barkhausen hier schon in der Wohnung vorgehabt habt!«
Er sagte schneller, als er die empörte Bewegung des jungen Baldur Persicke sah: »Überleg dir’s gut, mein Sohn! Eventuell nehme ich sogar einen HJ-Führer mit in die Prinz-Albrecht-Straße, wenn er mich nämlich gar zu unverschämt ansohlt. Überleg dir’s, ob du nicht die Wahrheit vorziehst. Vielleicht bleibt die Wahrheit ganz unter uns, wollen mal sehen, was du zu erzählen hast.« Und da er Baldur schwanken sah: »Ich hab nämlich auch ein paar Beobachtungen gemacht, Observationen nennen СКАЧАТЬ