Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke

Автор: Hans Fallada

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962813598

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СКАЧАТЬ dem Café kommt, ein äl­te­rer Mann, ziem­lich ab­ge­ris­sen, kommt es Enno vor. Die­ser Mann geht zö­gernd auf Enno zu, dann gibt er sich einen Ruck, zieht den Hut und fragt, ob er nicht der Herr sei, der eben im Café nach ei­ner ge­wis­sen Tut­ti ge­fragt hat.

      »Vi­el­leicht«, ant­wor­tet Enno Klu­ge vor­sich­tig. Wa­rum er denn fra­ge?

      »Ach, nur so. Ich kann Ih­nen even­tu­ell sa­gen, wo sie wohnt. Ich kann Sie auch bis an ihre Woh­nung brin­gen, nur müss­ten Sie mir auch einen klei­nen Ge­fal­len tun!«

      »Was denn für einen Ge­fal­len?«, fragt Enno noch vor­sich­ti­ger. »Ich weiß nicht, was für einen Ge­fal­len ich Ih­nen tun kann. Ich kenn Sie ja gar nicht.«

      »Ach, ge­hen wir doch schon ein Ende!«, ruft der ält­li­che Herr. »Nein, es ist kein Um­weg, wenn wir hier lang ge­hen. Die Sa­che ist näm­lich die und der Um­stand der, dass die Tut­ti noch einen Kof­fer mit Sa­chen von mir hat. Vi­el­leicht kön­nen Sie mir den Kof­fer mor­gen früh schnell mal raus­rei­chen, wenn die Tut­ti schläft oder auf Be­sor­gun­gen aus ist?«

      (Der ält­li­che Mann scheint für si­cher an­zu­neh­men, dass Enno bei der Tut­ti über Nacht blei­ben wird.)

      »Nein«, sagt Enno. »Das tu ich nicht. Auf sol­che Sa­chen las­se ich mich nicht ein. Tut mir leid.«

      »Aber ich kann Ih­nen ge­nau sa­gen, was in dem Kof­fer ist. Es ist wirk­lich mein Kof­fer!«

      »Wa­rum fra­gen Sie dann die Tut­ti nicht selbst dar­um?«

      »Na, wenn Sie so re­den«, sagt der ält­li­che Herr ge­kränkt, »dann ken­nen Sie die Tut­ti nicht. Das ist doch ein Weib, das müss­ten Sie doch wis­sen! Die hat Haa­re auf den Zäh­nen, i wo, kei­ne Haa­re, Igel­bors­ten hat sie drauf! Die beißt und spuckt wie ein Pa­vi­an – und dar­um wird sie ja auch so ge­nannt!«

      Und wäh­rend der ält­li­che Herr die­se lie­bens­wür­di­ge Schil­de­rung von Tut­ti ent­wirft, fällt dem Enno Klu­ge mit Schre­cken ein, dass die Tut­ti wirk­lich so ist und dass er das letz­te Mal mit ih­rem Por­te­mon­naie und mit ih­ren Le­bens­mit­tel­kar­ten ver­schwun­den ist. Die beißt und spuckt wirk­lich wie ein Pa­vi­an, wenn sie in Wut ist, und wahr­schein­lich wird sie die­se Wut so­fort an Enno aus­las­sen, wenn er jetzt an­kommt. Al­les, was er sich von ei­nem Nacht­quar­tier bei ihr ein­ge­bil­det hat, ist eben nur Ein­bil­dung …

      Und plötz­lich be­schließt Enno Klu­ge ganz aus dem Hand­ge­lenk her­aus, von die­ser Mi­nu­te an an­ders zu le­ben, kei­ne Wei­ber­ge­schich­ten mehr, kei­ne klei­nen Sti­bit­ze­rei­en mehr, auch kei­ne Renn­wet­ten mehr. Er hat sechs­und­vier­zig Mark in der Ta­sche, da­von kann er bis zum nächs­ten Lohn­tag le­ben. Mor­gen gönnt er sich noch einen Schon­tag, so zer­schla­gen wie er ist, und über­mor­gen fängt er rich­tig wie­der mit der Ar­beit an. Die wer­den schon mer­ken, was sie an ihm ha­ben, die wer­den ihn nicht wie­der an die Front schi­cken. Er kann wirk­lich nicht nach al­le­dem, was er in den letz­ten vier­und­zwan­zig Stun­den er­lebt hat, solch einen Pa­vians­emp­fang bei der Tut­ti ris­kie­ren.

      »Ja«, sagt Enno Klu­ge nach­denk­lich zu dem ält­li­chen Herrn. »Das stimmt: so ist die Tut­ti. Und weil sie so ist, habe ich mich eben ent­schlos­sen, nicht zu der Tut­ti zu ge­hen. Ich wer­de drü­ben in dem klei­nen Ho­tel da über­nach­ten. Gute Nacht, Herr … Tut mir leid, aber …«

      Und da­mit geht er vor­sich­tig mit sei­nen zer­schun­de­nen Kno­chen und er­bet­telt sich doch wirk­lich trotz sei­nes zer­schun­de­nen Aus­se­hens und sei­nes völ­li­gen Man­gels an Ge­päck von dem ab­ge­ris­se­nen Haus­die­ner ein Bett zu drei Mark. Er kriecht in dem en­gen, übel­rie­chen­den Loch in das Bett, des­sen Wä­sche schon vie­len vor ihm ge­dient hat; er streckt sich aus, er sagt zu sich: Von jetzt an will ich ganz an­ders le­ben. Ich bin ein ge­mei­nes Aas ge­we­sen, be­son­ders zu Eva, aber von die­ser Mi­nu­te an wer­de ich an­ders. Ich habe die Dre­sche zu Recht be­zo­gen, aber von nun an will ich auch an­ders sein …

      Er liegt ganz still in dem schma­len Bett, die Hän­de ge­wis­ser­ma­ßen an der Ho­sen­naht, und starrt ge­gen die De­cke. Er zit­tert vor Käl­te, vor Er­schöp­fung, vor Schmer­zen. Aber er spürt das gar nicht. Er denkt dar­an, was für ein ge­ach­te­ter und be­lieb­ter Ar­bei­ter er frü­her mal war, und jetzt ist er nur ein schä­bi­ger klei­ner Kerl, vor dem alle aus­spu­cken. Nein, bei ihm ha­ben die Schlä­ge ge­hol­fen, nun wird al­les an­ders. Und wäh­rend er sich die­ses An­ders­s­ein aus­malt, schläft er ein.

      Um die­se Zeit schla­fen auch alle Per­sickes, es schla­fen Frau Gesch und Frau Klu­ge, es schläft das Ehe­paar Bark­hau­sen – er hat der Otti wort­los er­laubt, zu ihm ins Bett zu krie­chen.

      Es schläft ge­ängs­tigt, schwer at­mend, Frau Ro­sen­thal. Auch die klei­ne Tru­del Bau­mann schläft. Sie hat am Nach­mit­tag ei­nem ih­rer Ver­schwo­re­nen zu­flüs­tern kön­nen, dass sie un­be­dingt et­was mit­tei­len müs­se und dass sie sich alle am nächs­ten Abend im Ely­si­um tref­fen müs­sen, mög­lichst un­auf­fäl­lig. Sie hat ein we­nig Angst, weil sie nun ihre Schwatz­haf­tig­keit ge­ste­hen muss, aber jetzt ist sie doch ein­ge­schla­fen.

      Frau Anna Quan­gel liegt im Dun­keln im Bett, wäh­rend ihr Mann wie im­mer um die­se Nacht­zeit in sei­ner Werk­statt steht und auf­merk­sam je­den Ar­beits­gang ver­folgt. Sie ha­ben ihn nicht zur tech­ni­schen Lei­tung we­gen Ver­bes­se­rung der Fa­bri­ka­ti­on ge­ru­fen, auch dort hal­ten sie ihn für einen vollen­de­ten Trot­tel. Umso bes­ser!

      Anna Quan­gel, die im Bett liegt, aber noch nicht schla­fen kann, hält noch im­mer ih­ren Mann für völ­lig kalt und herz­los. Wie er die Nach­richt von Ot­to­chens Tode auf­nahm, wie er die arme Tru­del und die Frau Ro­sen­thal aus der Woh­nung ge­setzt hat: kalt, herz­los, im­mer nur an sich den­kend. Sie wird ihm nie wie­der so gut sein kön­nen wie frü­her, als sie dach­te, er hät­te we­nigs­tens für sie was über. Das hat sie nun ge­se­hen. Nur be­lei­digt über das vor­schnell her­aus­ge­fah­re­ne Wort ›Du und dein Füh­rer‹, nur ge­kränkt. Nun wird sie ihn nicht so leicht noch ein­mal so krän­ken, nicht so leicht wird sie wie­der mit ihm zu re­den an­fan­gen. Heu­te ha­ben sie nicht ein Wort mit­ein­an­der ge­wech­selt, nicht ein­mal gu­ten Tag ha­ben sie sich ge­sagt.

      Der Kam­mer­ge­richts­rat a.D. Fromm wacht noch, wie im­mer ist er in der Nacht wach. Er schreibt mit sei­ner klei­nen ge­sto­che­nen Schrift einen Brief, in dem die An­re­de lau­tet: »Hoch­ver­ehr­ter Herr Reichs­an­walt …«

      Un­ter der Le­se­lam­pe er­war­tet ihn auf­ge­schla­gen sein Plut­arch.

      13. Siegestanz im Elysium