Название: Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte
Автор: Wilhelm Hauff
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027205844
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»Weiß Gott, meine Liebe«, antwortete der Doktor gelassen, »das habe ich häßlich vergessen! doch sieh, einen Fuß hatte ich schon zum Dienste des Herrn gerüstet, als mir ein Gedanke einfiel, der den Doktor Paulus weidlich schlagen muß.«
Ohne darauf zu achten, daß er sich beinahe der letzten Hülle beraube, wollte er eilfertig den Schlafrock herunterreißen, um auch seinen übrigen Kadaver zum Dienst des Herrn zu schmücken; sein Eheweib aber stellte sich mit einer schnellen Wendung vor ihn hin, und zog die weiten Falten ihrer Kleider auseinander, daß vom Professor nichts mehr sichtbar war.
»Sie verzeihen Herr Kandidat«, sprach sie, ihre Wut kaum unterdrückend; »er ist so im Amtseifer, daß Sie ihn entschuldigen werden. Schenken Sie uns ein andermal das Vergnügen. Er muß jetzt in die Kirche.«
Ich ging schweigend nach meinem Hut, und ließ den Ehemann unter den Händen seiner liebenswürdigen Xanthippe. »Ein schöner Anfang in der Theologie!« dachte ich, und die Lust, die übrigen geistlichen Männer zu besuchen, war mir gänzlich vergangen; doch beschloß ich, einige Vorlesungen mit anzuhören, was ich auch den Tag nachher ausführte.
Man denke sich einen weiten, niedrigen Saal, vollgepropft mit jungen Leuten in den abenteuerlichsten Gestalten; Mützen von allen Farben und Formen, lange herabwallende, kurze emporsteigende Haare, Barte, an welchen sich ein Sappeur der alten Garde nicht hätte schämen dürfen, und kleine zierliche Stutzbärtchen, galante Fracks und hohe Krawatten, neben deutschen Röcken und ellenbreiten Hemdkrägen; so saßen die jungen geistlichen Herren im Kollegium; vor sich hatte jeder seine Mappe, einen Stoß Papier, Dinte und Feder, um die Worte der Weisheit gleich ad notam zu nehmen. O Platon und Sokrates, dachte ich, hätten eure Studiosen und Akademiker nachgeschrieben, wie manches Wort tiefer, heiliger Weisheit wäre nicht umsonst verrauscht; wie majestätisch müßten sich die Folianten von Socratis opera in mancher Bibliothek ausnehmen! –
Jetzt wurden alle Häupter entblößt. Eine kurze, dicke Gestalt drängte sich durch die Reihen der jungen Herren dem Katheder zu, es war der Doktor Schnatterer, den ich gestern besucht hatte; mit Wonnegefühl schien er die Versammlung zu überschauen, hustete dann etwas weniges und begann:
»Hochachtbare, hochansehnliche!« (damit meinte er die, welche sechs Taler Honorar zahlten).
»Wertgeschätzte!« (die welche das gewöhnliche Honorar zahlten).
»Meine Herren!« (das waren die, welche nur die Hälfte oder aus Armut gar nichts entrichteten), und nun hob er seinen Sermon an, die Federn rasselten, das Papier knirschte, er aber schaute herab wie der Mond aus Regenwolken.
Ich hätte zu keiner gelegeneren Zeit diese Vorlesungen besuchen können, denn der Doktor behandelte gerade den Abschnitt »De angelis malis«, worin ich vorzüglich traktiert zu werden hoffen durfte. Wahrhaftig, er ließ mich nicht lange warten: »Der Teufel«, sagte er, »überredete die ersten Menschen zur Sünde, und ist noch immer gegen das ganze Menschengeschlecht feindlich gesinnt.« Nach diesem Satz hoffte ich nun eine philosophische Würdigung dieses Teufelsglaubens zu hören; aber weit gefehlt. Er blieb bei dem ersten Wort Teufel stehen, und daß mich die Juden Beelzebub geheißen hätten. Mit einem Aufwand von Gelehrsamkeit, wie ich sie hinter dem armen Schlafrock nicht gesucht hätte, warf er nun das Wort Beelzebub dreiviertel Stunden lang hin und her. Er behauptete, die einen erklären, es bedeute einen »Fliegenmeister«, der die Mücken aus dem Lande treiben solle, andere nehmen das »sephub« nicht von den Mücken, sondern als » Anklage« wie die Chaldäer und Syrier. Andere erklären »sephul« als Grab, sepulcrum; die Federn schwirrten und flogen, so tiefe Gelehrsamkeit hört man nicht alle Tage. Zu jenen paar Erklärungen hatte er aber volle dreiviertel Stunden verwendet, denn die Zitaten aus heiligen und profanen Skribenten nahmen kein Ende. Von Anfang hatte es mir vielen Spaß gemacht, die Dogmatik auf solche Weise getrieben und namentlich den Satan so gründlich anatomiert zu sehen; aber endlich machte es mir doch Langeweile und ich wollte schon meinen Platz verlassen, um dem unendlichen Gewäsch zu entfliehen, da ruhte der Doktor einen Augenblick aus, die Schnupftücher wurden gebraucht, die Füße wurden in eine andere Lage gebracht, die Federn ausgespritzt und neu beschnitten – alles deutete darauf hin, daß jetzt ein Hauptschlag geschehen werde.
Und es war so; der große Theologe, nachdem er die Meinungen anderer aufgeführt und gehörig gewürdigt hatte, begann jetzt mit Salbung und Würde seine eigene Meinung zu entwickeln.
Er sagte, daß alle diese Erklärungen nichts taugen, indem sie keinen passenden Sinn geben; er wisse eine ganz andere, und glaube sich in diesem Stück noch über Michaelis und Döderlein stellen zu dürfen. Er lese nämlich saephael und das bedeute Kot, Mist und dergleichen. Der Teufel oder Beelzebub würde also hier der » Herr im Dreck«, » der Unreinliche«, Ôï ðíåõìá áêáèáñôïí, » der Stinker« genannt, wie denn auch im Volksglauben mit den Erscheinungen des Satans ein gewisser unanständiger Geruch verbunden sei.
Ich traute meinen Ohren kaum; eine solche Sottise war mir noch nie vorgekommen; ich war im Begriff, den orthodoxen Exegeten mit dem nämlichen Mittel zu bedienen, das einst Doktor Luther, welcher gar keinen Spaß verstand, an mir probierte, ihm nämlich das nächste beste Dintenfaß an den Kopf zu werfen; aber es fiel mir bei, wie ich mich noch besser an ihm rächen könnte, ich bezähmte meinen Zorn und schob meine Rache auf.
Der Doktor aber schlug im Bewußtsein seiner Würde das Heft zu, stand auf, bückte sich nach allen Seiten und schritt nach der Türe; die tiefe Stille, welche im Saal geherrscht hatte, löste sich in ein dumpfes Gemurmel des Beifalls auf.
»Welch ein gelehrter Mann, welch tiefer Denker, welche Fülle der tiefsten Gelehrsamkeit!« murmelten die Schüler des großen Exegeten. Emsig verglichen sie untereinander ihre Hefte, ob ihnen auch kein Wörtchen von seinen schlagenden Beweisen, von seinen kühnen Behauptungen entgangen sei; und wie glücklich waren sie, wenn auch kein Jota fehlte, wenn sie hoffen durften, ein dickes, reinliches, vollständiges Heft zu bekommen.
Sobald sie aber die teuren Blätter in den Mappen hatten, waren sie die alten wieder; man stopfte sich die ellenlangen Pfeifen, man setzte die Mütze kühn auf das Ohr, zog singend oder den großen Hunden pfeifend ab, und wer hätte den Jünglingen, die im Sturmschritt dem nächsten Bierhaus zuzogen, angesehen, daß sie die Stammhalter der Orthodoxie seien, und recta via von der kühnsten Konjektur des großen Dogmatikers herkommen?
So schloß sich mein erster theologischer Unterricht, ich war, wenn nicht an Weisheit und Einsicht, doch um einen Begriff meiner selbst, an den ich nie gedacht hätte, reicher geworden.
Ich schwor mir selbst mit den heiligsten Schwüren, keinen Theologen dieser finstern Schule mehr zu hören. Denn, wenn der oberste unter ihnen solche grasse Begriffe zu Markt brachte, was durfte ich von den übrigen hoffen? Aber der orthodoxen saephael oder Dr–ck-Seele hatte ich Rache geschworen, und ich war Manns genug dazu, sie auszuführen.
Achtes Kapitel
Der Satan bekömmt Händel und schlägt sich; Folgen davon
Indessen ereignete sich etwas anderes, das ich hier nicht übergehen darf, weil es als ein Kommentar zu den Sitten des wunderlichen Volkes, unter welchem ich lebte, dienen kann. Ich hatte schon seit einiger Zeit fleißig die Anatomie besucht, um auch die Ärzte kennenzulernen, da geschah es eines Tages, daß ich mit mehreren Freunden um einen Kadaver beschäftigt war, indem ich ihnen durch Zergliederung der Organe des Hirns, des Herzens etc. die Nichtigkeit des Glaubens an Unsterblichkeit darzutun suchte.
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