Название: Sophienlust 144 – Familienroman
Автор: Aliza Korten
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Sophienlust
isbn: 9783740918415
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Pünktchen, mit vollem Namen Angelina Dommin genannt, war Nicks besondere Freundin. Sie hatte lustige Sommersprossen auf dem kecken Näschen und wurde deshalb von jedermann Pünktchen genannt.
»Alle Kinder sind im Park, Nick«, entgegnete Schwester Regine. »Es ist eine tote Amsel gefunden worden. Die soll eingegraben werden.«
»Da müssen wir uns drum kümmern«, erklärte Henrik wichtigtuerisch. Schon waren die beiden Brüder verschwunden.
»Vergesst das Frühstück nicht«, rief die Mutter hinter ihnen her, ehe sie sich Schwester Regine zuwandte. »Sonst alles in Ordnung, Schwester Regine?«, fragte sie warm.
»Ja, Frau von Schoenecker. Wir wollen später im See baden, falls das Wetter sich hält. Oder haben Sie etwas dagegen?«
»Nein, warum denn? Die Ferientage müssen genutzt werden. Haben Sie die Post schon durchgesehen?«
»Nein. Sie ist gerade erst gekommen, Frau von Schoenecker.«
»Nun, dann weiß ich gleich, was ich zu tun habe.«
Denise betrat die Halle des Herrenhauses. Es war nicht sonderlich schwierig gewesen, dieses Gebäude für den neuen Zweck umzugestalten. Nur ein einziges war von allen Neuerungen unberührt geblieben. Das war das Biedermeierzimmer, das einst Sophie von Wellentin bewohnt hatte. Dort grüßte das lebendig gemalte Ölbildnis der alten Dame von der Wand, dort stand noch ihr Sekretär aus Kirschbaumholz, dort wehte auch heute noch ihr Geist. Denise zog sich gern in diesen Raum zurück und empfing dort auch Gäste. Oftmals hatte sie sich in Zweifelsfragen in stummer Zwiesprache mit dem Gemälde der alten Dame Rat geholt.
Auch heute nahm Denise die Post aus dem kleinen Büro mit ins Biedermeierzimmer, um ungestört arbeiten zu können. Sie fand Rechnungen, Anfragen, einen Bericht vom Jugendamt und einen Brief von Eugen Luchs. Diesen Brief öffnete sie zuerst.
»Da hätte er wirklich nicht zu fragen brauchen«, sagte sie nach dem Lesen halblaut vor sich hin. »Ich muss gleich mit Schwester Regine sprechen.«
Denise fand die Kinderschwester damit beschäftigt, das Badezeug der Kleinen zusammenzupacken. Die größeren Kinder konnten das schon selbst tun.
»Herr Luchs bringt uns ein Kind mit, Schwester Regine. Der Brief ist eine gute Woche unterwegs gewesen. Ich nehme an, dass Herr Luchs morgen oder übermorgen eintreffen wird. Vielleicht sogar noch heute.«
»Platz haben wir ja, Frau von Schoenecker. Ist es ein Waisenkind?«
»Das steht noch nicht fest. Herr Luchs hat die kleine Gudrun beim Hochwasser aus dem Fluss gerettet. Obwohl sofort eingehende Nachforschungen angestellt wurden, ließ sich nicht herausfinden, wem das Kind gehört. Es scheint nicht einmal seinen Familiennamen zu kennen. Wie es Herr Luchs fertiggebracht hat, die österreichischen Behörden davon zu überzeugen, dass es für Gudrun das Beste ist, nach Sophienlust gebracht zu werden, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er die Genehmigung erwirkt und bringt das Kind mit. Es soll bei uns bleiben, bis seine Herkunft geklärt ist.«
»Wo wäre ein solches Kind besser aufgehoben als hier bei uns?«, fragte Schwester Regine lächelnd. »Herr Luchs hat bestimmt richtig gehandelt.«
»Es bleibt immerhin zu hoffen, dass die Eltern sich finden. Das kleine Mädchen wird jedoch nirgends vermisst. Auch erinnert sich in den flussaufwärts gelegenen Ortschaften niemand daran, das Kind gesehen zu haben. Eine höchst mysteriöse Geschichte.«
»Ein armes kleines Ding.«
»Ja, das ist auch meine Meinung. Zuerst hatte Gudrun einen Schock. Peggy hat dann nach und nach wenigstens ihren Vornamen aus ihr herausgefragt.«
Schwester Regine lachte. »Peggy ist ein Tausendsassa. Wie alt ist Gudrun?«
»Drei bis vier Jahre.«
»Dann werde ich sie zu Heide Holsten ins Zimmer legen. Sicher ist es gut für die Kleine, wenn sie nicht allein schlafen muss.«
»Das ist ein guter Vorschlag. Nun will ich Sie nicht aufhalten, denn Sie möchten zum See. Viel Spaß.«
»Darf ich den Kindern schon etwas von Gudrun verraten?«
»Natürlich. Das ist kein Geheimnis. Möglicherweise steht Herr Luchs mit Peggy und Gudrun schon in ein paar Stunden hier vor der Tür.«
Denise kehrte ins Biedermeierzimmer zurück und konzentrierte sich auf die übrige Post, während Schwester Regine sich mit den Kindern auf den Weg zum See machte.
*
Nick hatte dem Bericht der Kinderschwester aufmerksam zugehört. Er fühlte sich für das Geschehen in Sophienlust schon durchaus verantwortlich.
»Ich bin froh, dass Herr Luchs das Kind einfach mitbringt«, meinte er und streckte die langen Glieder in der warmen Sonne am Seeufer aus. »Wer weiß, wie die kleine Gudrun überhaupt in den Fluss gekommen ist? Bei uns ist das Kind jedenfalls sicher.«
Schwester Regine warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Wie meinst du das?«
»Na ja. Das Kind trieb hilflos im Wasser. Kein Mensch will es je gesehen haben. Da liegt doch der Gedanke an etwas Schlimmes ziemlich nahe.«
»Deine Phantasie reicht weit, Nick«, rief die Kinderschwester aus. »Du denkst doch nicht etwa an ein Verbrechen?«
Nick hob die Schultern. »Völlig ausschließen lässt es sich nicht, Schwester Regine.«
»Was für ein Verbrechen, Nick?«, fragte Irmela atemlos. Sie war eben mit Pünktchen und ein paar anderen Kindern um die Wette geschwommen und schüttelte nun das lange nasse Blondhaar aus.
»Sagen wir einmal, die Eltern hätten das Kind auf dem Brett ausgesetzt«, erklärte Nick zögernd.
»Blödsinn. So etwas tut doch keiner. Es war bestimmt gefährlich im Katastrophengebiet. Du hast doch die Aufnahmen von der Überschwemmung im Fernsehen gesehen. Außerdem hat uns Herr Luchs sogar ein Telegramm geschickt, dass ihm und Peggy nichts passiert ist. Also muss es ziemlich arg gewesen sein. Da setzt doch kein normaler Mensch ein kleines Mädchen auf einem Brett ins Wasser.«
»Stimmt – wenigstens theoretisch«, meinte Pünktchen, die meist dieselbe Ansicht vertrat wie Nick. »Aber praktisch bleibt die Tatsache bestehen, dass das Kind aus dem Wasser gefischt wurde und dass es niemand kennt. Das ist verdächtig.«
»Können es nicht Touristen gewesen sein? Vielleicht sind die Eltern umgekommen bei dem Hochwasser«, schaltete Irmela sich ein.
»Mir kommt die Geschichte nicht geheuer vor«, beharrte Nick auf seiner düsteren Behauptung. »Aber wir werden ja noch sehen, was herauskommt.«
»Sie ist noch nicht einmal vier«, stellte Fabian etwas verächtlich fest. »Mit so einem kleinen Mädchen kann man nicht richtig spielen.«
»Ich schon«, piepste Heidi Holsten. »Und sie wird auch in meinem Zimmer schlafen. Damit du es weißt, Fabian.«
»Bin gar nicht neidisch«, erwiderte der Bub patzig.
Schwester Regine griff ein. »Zankt euch nicht, Kinder. Wir freuen uns, dass ein kleines СКАЧАТЬ