Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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      Ei­nes Mor­gens stand Rosa be­son­ders gut­ge­launt auf. Sie hat­te die Nacht über tief und fest ge­schla­fen und von Am­bro­si­us ge­träumt, aber einen je­ner sel­te­nen Träu­me, die uns einen Men­schen ohne Ver­zer­rung, in ein­fa­cher, le­bens­vol­ler Wahr­heit vor die Sin­ne stel­len. Am­bro­si­us hat­te dort in der Kü­che ge­ses­sen – mit sei­nem fri­schen, lä­cheln­den Ge­sicht, sei­nen schö­nen Klei­dern. – Er lehn­te sich nach­läs­sig in den Stuhl zu­rück – die Hän­de auf den Kni­en – und schau­te Rosa mit sei­nen hel­len, kla­ren Au­gen an. »Wann fah­ren Sie?« frag­te Ag­nes, wor­auf Am­bro­si­us ant­wor­te­te: »Um vier Uhr – den­ke ich.«

      Da er­wach­te Rosa, das Herz noch ganz warm von der Stel­le fri­schen, hof­fen­den Le­bens, die je­nes Traum­wort auf­ge­regt. Das lang­sa­me Sich-Zu­rück­tas­ten aus dem schö­nen Traum in die har­te Wirk­lich­keit war zwar bit­ter, den­noch ließ die Traum­wir­kung nicht ganz nach. Es reg­te sich in Rosa wie­der die Hoff­nung, als müss­te heu­te et­was Er­wünsch­tes ge­sche­hen.

      Als sie in das Wohn­zim­mer trat, fand sie es ver­än­dert. Des Pfar­rers Kas­ta­ni­en­baum, der das Ge­mach mit sei­nen Blät­ter­schat­ten zu er­fül­len und das Licht zu mil­dern pfleg­te, hat­te über Nacht all sein Laub ver­lo­ren. Der kla­re Son­nen­schein drang un­be­hin­dert in das Zim­mer und ließ es grö­ßer, lee­rer er­schei­nen. Rosa blieb auf der Schwel­le ste­hen und kniff die Au­gen zu­sam­men; sie war auf die­se Hel­lig­keit nicht vor­be­rei­tet; doch sie ge­fiel ihr; sie paß­te zu Ro­sas Stim­mung, die nach Ver­än­de­rung, nach ei­nem Er­eig­nis ver­lang­te. Der her­be Glanz der Ok­t­ober­son­ne, der hart­blaue Him­mel zwi­schen den nack­ten Baum­zwei­gen – sie hat­ten et­was Mun­te­res, Un­ter­neh­mungs­lus­ti­ges, Rei­se­fer­ti­ges an sich. – Rosa ging an das Fens­ter, stieß es auf und beug­te sich hin­aus. Ein kal­ter Wind fuhr ihr ent­ge­gen und der der­be Ge­ruch der wel­ken Blät­ter. Auch die Stra­ße sah ver­än­dert aus, der Nacht­frost hat­te ihr ein be­son­ders sau­be­res Aus­se­hen ver­lie­hen, und in der durch­sich­ti­gen Luft nah­men die al­ten Bäu­me eine stei­fe Fei­er­lich­keit an, als wä­ren sie für einen Fest­tag ge­putzt und stramm auf­ge­stellt wor­den.

      Jetzt klap­per­te es auf den Stei­nen. Ida Wulf kam die Stra­ße her­ab. – Un­ter Ro­sas Fens­ter blieb sie ste­hen, blick­te hin­auf und lach­te, ihre wei­ßen Zäh­ne zei­gend. »Gu­ten Mor­gen, Fräu­lein Rosa.«

      »Gu­ten Mor­gen, Ida.«

      »Sind Sie krank ge­we­sen, Fräu­lein Rosa?«

      »Ja.«

      »Sind Sie wie­der ge­sund?«

      »Ja.«

      »Wer­den Sie wie­der spa­zie­ren­ge­hen?«

      »Ja. Wa­rum nicht.«

      Rosa er­rö­te­te bei die­ser Ant­wort.

      »So.«

      Ida klopf­te mit der Fuß­spit­ze auf die Stei­ne, zog ihr Ge­sicht kraus und schau­te die Stra­ße hin­ab.

      »Wie geht es dir, Ida?« frag­te Rosa hin­un­ter.

      »Gut«, mein­te Ida und zuck­te die Ach­seln; dann sag­te sie lei­ser: »Dass Fräu­lein Sal­ly hei­ra­ten will – wis­sen Sie?«

      »Nein. Wen denn?«

      »Den Herrn Tod­dels – von Pal­tow, wis­sen Sie?«

      »Den!«

      Rosa lä­chel­te.

      »La­chen Sie nicht, Fräu­lein Rosa; es ist wahr«, be­teu­er­te Ida. »Sie sind schon ges­tern Arm in Arm spa­zie­ren­ge­gan­gen.«

      Als Rosa schwieg, füg­te Ida mit ver­stän­di­gem Kopf­ni­cken hin­zu: »Wa­rum auch nicht? Recht hat sie.«

      »Ge­wiss!« er­wi­der­te Rosa has­tig.

      »Und von dem jun­gen Herrn ha­ben Sie kei­nen Brief?« frag­te Ida plötz­lich.

      »Nein. Weißt du et­was?«

      »Ich weiß gar nichts«, ant­wor­te­te Ida, sich zum Wei­ter­ge­hen an­schi­ckend, »ich glaub­te nur, er hat Ih­nen einen Brief ge­schrie­ben. Gu­ten Mor­gen, Fräu­lein Rosa. Der Pe­ter hat mich zum Brücken­krug hin­ab­be­stellt.«

      »Wozu denn?«

      Ida zuck­te die Ach­sel. »Wie­der sei­ne Dumm­heit«, da­mit ging sie – klapp, klapp – wei­ter, den dür­ren Kör­per nach­läs­sig hin und her wer­fend.

      Mit ge­röte­ten Wan­gen und auf­ge­regt glän­zen­den Au­gen blieb Rosa im Fens­ter lie­gen. Plötz­lich trat ihr frü­he­res Le­ben wie­der an sie her­an, als wäre es nie ge­stört wor­den. Sal­ly und Tod­dels, Ida und Pe­ter, die am Brücken­kopf noch im­mer ihr ver­steck­tes We­sen trie­ben, end­lich Am­bro­si­us. Es war ihr, als müss­te er jetzt dort un­ten vor­über­schlen­dern. Ge­wiss. Ida hat­te recht, er konn­te ihr schrei­ben, nichts wäre na­tür­li­cher. Sie be­griff nicht, wie sie hat­te al­les auf­ge­ben kön­nen. Sie hol­te wie­der ihre Lie­be zu Am­bro­si­us her­vor. Kam es nicht täg­lich vor, dass ein jun­ger Mensch ei­nem Mäd­chen treu blieb und es ge­gen den Wil­len der El­tern hei­ra­te­te? Kaum be­gann die See­le des Mäd­chens zu ge­ne­sen, als sich auch die frü­he­ren Mäd­chen­träu­me wie­der ein­stell­ten, die vor dem wah­ren Schmerz zer­sto­ben wa­ren.

      Von jetzt ab er­war­te­te Rosa Am­bro­si­us’ Brief, er­war­te­te ihn mit je­nem un­ver­dros­se­nen, nie ras­ten­den Ei­fer, der das Ohr für den ge­rings­ten Laut schärft. Dazu ge­sell­te sich noch der gan­ze wun­der­li­che Aber­glau­be der Hoff­nung. Um die Zeit, da der Brief­trä­ger die Brie­fe aus­zu­tra­gen pfleg­te, stand Rosa am Fens­ter auf der Lau­er und ver­such­te aus al­ler­hand mys­ti­schen Zei­chen zu ent­neh­men, ob sich der er­sehn­te Brief in der schwar­zen Ta­sche be­fand oder nicht. »Geht der Brief­trä­ger«, sag­te sie sich, »auf die an­de­re Sei­te der Stra­ße hin­über oder – muss er an je­ner Türe zwei­mal schel­len, dann ist der Brief da.« Zu­wei­len ging der Brief­trä­ger auf die an­de­re Sei­te der Stra­ße hin­über oder schell­te zwei­mal an der be­tref­fen­den Türe, aber der Brief kam doch nicht.

      Die­se neue Be­schäf­ti­gung mach­te Rosa un­ru­hig, und am Nach­mit­tage, als die Däm­me­rung ihr be­hag­li­ches Licht über die Stra­ßen brei­te­te, wäh­rend ein glanz­lo­ser wei­ßer Mond am Him­mel hing – da hielt sie es nicht län­ger im Zim­mer aus. Sie leg­te ih­ren ver­tra­ge­nen Win­ter­man­tel an, drück­te sich den rup­pi­gen Filz­hut tief in die Stirn und ging hin­aus.

      Es tat wohl, wie­der in frei­er Luft auf der Stra­ße zu ste­hen, den Wind sich in die Haa­re fah­ren zu las­sen und mit den Ab­sät­zen auf die Stei­ne zu trom­meln. Rosa emp­fand wie­der et­was von der un­ge­bun­de­nen Aus­ge­las­sen­heit, die sonst in sol­chen Däm­mer­stun­den СКАЧАТЬ