Название: Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte
Автор: Kurt Tucholsky
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783954185214
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Wenn Karlchen »Gnädigste« sagte, woran er selber nicht glaubte, dann machte er sich ganz steif und beugte den Oberkörper fein nach vorn; dazu hatte er eine bezaubernde Bewegung, den Unterarm mit einem Ruck zu strecken und ihn dann mit spitzem Ellenbogen wieder einzuziehen, wie wenn er nach seinen Manschetten sehen wollte …
Wie es der Gnädigsten gefiele? »Wenn der hier nicht dabei wäre«, sagte die Gnädigste, »dann würde ich mich sehr gut erholen. Aber Sie kennen ihn ja – er schwabbelt soviel und läßt einen nicht in Ruhe …« – »Ja, das hat er immer getan.«
»Wie schön«, sagte er plötzlich, »daß ich meinen Schirm in der Bahn habe stehnlassen.« Und wir gingen zurück und holten ihn. In Schweden kommt nichts fort. Die beiden waren sich sofort und sogleich einig – merkwürdig, wie bei Menschen oft die ersten Minuten über ihre gesamten spätern Beziehungen entscheiden. Hier war augenblicklich zu spüren, daß sich beide auf Anhieb verstanden:
Das Ganze wurde nicht recht ernst genommen. Und ich schon gar nicht.
Karlchen war noch genauso wie vor einem Jahr, wie vor zwei Jahren, wie vor drei Jahren: so wie er immer gewesen war. Er hob grade den Kopf und schnupperte leicht mißtrauisch in der Luft umher. »Hier ist … irgendwas … Irgendwas ist hier … wie?« Das sagte er so hin, sprach dabei die Konsonanten scharf aus und trübte auch wohl manchmal das a, wie sie es im Hannöverschen zu tun pflegen. Genauso waren wir damals im Krieg am Ufer der Donau entlangspaziert und hatten gefunden, daß da irgend etwas sein müsse … Es war aber nichts.
Ich hoppelte neben den beiden her, die in ein angeregtes Gespräch über Schweden und über die Landschaft, über die Fliegerei und über Stockholm vertieft waren, die Prinzessin hatten wir in die Mitte genommen, manchmal sprachen wir über sie hinweg, und ich badete in einer tiefen Badewanne von Freundschaft.
Sich auf jemand verlassen können! Einmal mit jemand zusammensein, der einen nicht mißtrauisch von der Seite ansieht, wenn irgendein Wort fällt, das vielleicht die als Berufsinteressen verkleidete Eitelkeit verletzen könnte, einer, der nicht jede Minute bereit ist, das Visier herunterzulassen und anzutreten auf Tod und Leben … ach, darauf treten die Leute gar nicht an – sie zanken sich schon um eine Mark fünfzig … um einen alten Hut … um Klatsch … Zwei Männer kenne ich auf der Welt; wenn ich bei denen nachts anklopfte und sagte: Herrschaften, so und so … ich muß nach Amerika – was nun? Sie würden mir helfen. Zwei – einer davon war Karlchen. Freundschaft, das ist wie Heimat. Darüber wurde nie gesprochen, und leichte Anwandlungen von Gefühl wurden, wenn nicht ernste Nachtgespräche stattfanden, in einem kalten Guß bunter Schimpfwörter erstickt. Es war sehr schön.
Wir hatten ihn im Hotel untergebracht, weil es in diesen Tagen bei uns keinen Platz mehr gab. Er sah sein Zimmer an, behauptete, es röche darin wie im Schlafzimmer Ludwigs des Anrüchigen, es wäre überhaupt »etwas dünn« … das sagte er von allem, und ich hatte es schon von ihm angenommen; dann mußte er sich waschen, und dann saßen wir unter den Bäumen und tranken Kaffee.
»Na, Fritzchen …?« sagte er zu mir. Niemand wird je ergründen können, warum er mich Fritzchen nannte. »Kann man denn bei euch baden? Wie ist der See?« – »Es sind gewöhnlich sechzehn Grad Celsius oder zwanzig Remius«, sagte ich. »Das macht die Valuta.« Das sah er ein. »Und was tun wir heute abend?« – »Ja …«, sagte die Prinzessin, »heute wollen wir einen ganz stillen Abend abziehen …« – »Kann man hier Rotwein bekommen?« – Ich berichtete die betrübliche Tatsache mit dem Rotwein und erzählte davon, daß in der »Sprit-Zentrale« ein junger Mann Chablis unter den Rotweinen gesucht habe. Karlchen schloß wehmütig die Augen. »Aber du darfst den Wein bezahlen, Karlchen – das ist der sogenannte Einstand, den die Fremden hier geben.« Das hörte er leider nicht. Ein Mädchen ging vorüber – nicht einmal ein besonders hübsches. »Na …?« sagte Karlchen, »was …?« Und sprach weiter, als ob gar nichts gewesen wäre. Es war auch nichts. Aber er mußte das sagen – sonst wäre er wohl geplatzt. Und nun fingen wir langsam an, uns wie vernünftige Menschen zu gebärden.
Wir waren ein ganzes Stück Zeit miteinander gefahren und sprachen unter uns einen Cable-Code, der vieles abkürzte. Die Prinzessin fand sich überraschend schnell darein – es war ja auch nichts Geheimnisvolles, es war eben nur die Übereinstimmung in den Grundfragen des Daseins. Wir wußten beide, daß es »alles nicht so doll« sei … und wir hatten uns aus Skepsis, Einsicht, Unvermögen und gut angelegter Kraft eine Haltung zusammengekocht, die uns in vielem schweigen ließ, wo andre wild umhersurrten. Die größten Vorzüge dieses Mannes lagen, neben seiner Zuverlässigkeit, im Negativen: was er alles nicht sagte, was er nicht tat, nicht anstellte … Da gab es keine fein gebildeten Verdauungsgespräche, in denen die Herren dem »Geist ihrer Zeit« einen scheußlichen Tribut darbringen, ohne übrigens ihr Leben auch nur um einen Deut zu ändern. Da wurde nicht literarische Bildung verzapft, und es gab keine Wiener Aphorismen über Tod, Liebe, Leben und Musik wie bei den Journalisten aus Österreich und den ihnen Anverwandten … es wird einem himmelangst, wenn man das hört, und beim ersten Male glaubt man das druckfertige Gerede auch, und es ist alles, alles nicht wahr. Was Karlchen anging, so war das ein Stiller. Er rauchte die Welt an, wunderte sich über gar nichts mehr, war ein braver Arbeiter im Aktengarten des Herrn und zog zu Hause zwei Kinder auf, ohne dabei ein Trockenmieter seiner selbst zu werden. Hier und da fiel er in Liebe und Sünde, und wenn man ihn fragte, was er nun wieder angestellt hätte, dann fletschte er die Zähne und sagte: »Sie hat mich über die Schwelle der Jugend geführt!« und dann ging es wieder eine Weile. Jetzt saß er da und rauchte und dachte nach.
»Wir müssen an Jakopp schreiben«, sagte er. Jakopp war der andre – wir waren drei. Mit der Prinzessin vier. »Was wollen wir ihm denn schreiben?« fragte ich. »Hast du ihn gesehn? Du bist doch über Hamburg gefahren?« Ja, Karlchen war über Hamburg gefahren, und er hatte ihn gesehn. Jakopp war der Verschrullteste von uns, am Hamburger Wasserwerk sich betätigend, ein Ordentlicher, der deshalb auch die Georginen über alles liebte – »Georgine, die ordentliche Blume«, sagte er – ein Kerl von bunter Verspieltheit und mit vierhundertundvierundvierzig fixen Ideen im Kopf. Wir paßten gut zueinander.
»Wo ist denn auf einmal die Prinzessin?« fragte Karlchen. Die Prinzessin war ins Städtchen gegangen, »Knöpfchen kaufen«. Wir kauften nie zusammen Knöpfchen, womit jede Art Einkauf gemeint war – wenn wir es aber doch taten, dann zankten wir uns dabei. Nun war sie fort. Wir schwiegen eine Weile.
»Na, und sonst, Karlchen?« – »Sonst hat sich Jakopp Pastillen gekauft, weil er doch so viel raucht. Und wenn er raucht, dann hustet er doch so. Du kennst das ja – es ist ein ziemlich scheußlicher Anblick. Und jetzt hat er sich gegen das Rauchen ein Mittel besorgt: Fumasolan heißen die Dinger. Hm –« – »Na und? Helfen sie?« – »Nein, natürlich nicht. Aber er sagt: seit er das nimmt, verspürt er eine merkwürdige Steigerung seiner Manneskräfte. Das stört ihn sehr. Ob sie ihm die falschen Pastillen eingepackt haben?« – So ging alles in Jakopps Leben zu, und wir hatten viel Freude daran.
»Gib mal eine Karte. Was wollen wir ihm denn …?« Endlich hatte ich es heraus. Wir wollten ihm eine Telegrammkarte schicken, weil das tägliche Telegramm, das ihn gestört und herrlich aufgebracht hätte, zu teuer gewesen wäre. Wir telegraphierten also fortab auf Karten entsetzlich eilige Sachen – heute diese:
hergeflogenes karlchen soeben fast zur gänze
eingetroffen drahtet sofort, ob sofort drahten
wollt stop großmutti leider aus schaukel gefallen
großvati
Diese schwere Arbeit hatten wir hinter uns … nun ruhten wir aus und sagten erst mal gar nichts. Da kam die Prinzessin.
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