Название: MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2)
Автор: Robert Mccammon
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Matthew Corbett
isbn: 9783958352315
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»Euer Vater klingt sehr streng«, sagte Matthew.
»Mein Vater«, gab Bidwell zurück, »hat sich genau wie ich aus dem Straßenschmutz Londons hochgearbeitet. Meine erste Erinnerung an ihn ist der Geruch des Flusses. Und er hat alle Docks und alle Schiffe gekannt. Er hat als Schauermann angefangen, aber er besaß ein Talent für die Holzarbeit und konnte Schiffsrümpfe so gut wie die besten Schiffsbauer flicken. So hat alles angefangen: hier ein Schiff, da ein Schiff. Dann immer mehr, bis er sein eigenes Trockendock besaß. Ja, er ist streng gewesen – aber er war sich selbst gegenüber genauso hart.«
»Dann habt Ihr Euer Unternehmen also von ihm geerbt?«
»Geerbt?« Bidwell warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe von ihm nichts als Elend geerbt! Als mein Vater sich ein Wrack zum Ausschlachten ansah – etwas, das er bestimmt schon ein dutzend Mal getan hatte –, sind ein paar verrottete Bretter unter seinen Füßen weggebrochen und er ist in die Tiefe gestürzt. Das hat ihm die Knie zertrümmert. Dann hat der Wundbrand eingesetzt, und um ihn nicht daran sterben zu lassen, hat der Arzt beide Beine amputiert. Ich war damals neunzehn Jahre alt und auf einmal nicht nur für meinen invaliden Vater verantwortlich, sondern auch für meine Mutter und meine beiden jüngeren Schwestern, von denen eine so kränklich war, dass sie wie ein Skelett aussah. Tja, und dann habe ich schnell gemerkt, dass mein Vater ein sehr schlechter Buchhalter war. Die Unterlagen über das Einkommen und die Schulden waren ein einziges Durcheinander, soweit sie überhaupt zu finden waren. Dann kamen die Gläubiger. Die nahmen an, dass die Werft nun verkauft werden würde, weil mein Vater ja bettlägerig geworden war.«
»Aber Ihr habt sie nicht verkauft?«, fragte Matthew.
»Oh, ich habe sie verkauft. An den Meistbietenden. Mir blieb ja keine Wahl, so wie die Geschäftsunterlagen aussahen. Mein Vater hat wie ein Tiger gewütet. Er hat mich einen Idioten und einen Schwächling genannt, und geschworen, dass er mich bis an sein Lebensende und in den Tod hinein hassen würde, weil ich sein Unternehmen zerstört hatte.« Bidwell verstummte kurz, um einen Schluck zu trinken. »Aber ich habe alle Schulden bezahlt und die Rechnungen beglichen. Ich habe dafür gesorgt, dass wir was zu Essen und meine Schwester Arzneimittel hatte. Und dann habe ich gesehen, dass noch ein bisschen Geld übrig war. Ein kleines Schiffszimmermannunternehmen suchte nach Investoren, um zu expandieren. Ich beschloss, jeden Shilling, den ich besaß, zu investieren, damit ich Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen haben konnte. Unser Name war natürlich schon bekannt. Die größte Schwierigkeit, vor der ich zuerst stand, war, noch mehr Geld aufzutreiben. Das habe ich dann besorgt, indem ich alles Mögliche gearbeitet und auch mal beim Kartenspiel geblufft habe. Als Nächstes musste ich die Geschäftspartner loswerden, die keine Zukunftsvision hatten. Jene, die sich von Vorsicht leiten ließen und nie wagten, zu gewinnen, weil sie Angst vor dem Verlieren hatten.«
Bidwell kaute mit halbgeschlossenen Augen das Knochengelee. »Leider stand der Name einer dieser Männer über der Tür angeschlagen. Er sah immer nur die kleinen Details, während ich ein Bild vom Ganzen hatte. Er dachte an Schiffsschreinerei, während ich Schiffbau vor Augen hatte. Und so wusste ich, dass er zwar noch das Ruder in den Händen hielt, die Zukunft aber mir gehörte. Er war dreißig Jahre älter als ich und hatte das Unternehmen gegründet und aufgebaut. Ich habe mich dann darauf konzentriert, Aufträge einzuholen, von denen ich wusste, dass er sie nicht billigte. Ich habe Gewinn- und Verlustrechnungen aufgestellt, sowie Kostenvoranschläge, in die ich das letzte Brett und den letzten Nagel einkalkuliert hatte. Die habe ich bei einer Versammlung mit unseren Handwerkern vorgelegt. Ich habe die Männer gefragt, ob sie unter meiner Führung den Sprung in eine großartige Zukunft wagen oder sich lieber wie gehabt unter Mr. Kellingworth abmühen wollten. Zwei waren dafür, mich rauszuwerfen. Die andern vier – darunter der Bauzeichner – entschieden sich, die neuen Aufträge anzunehmen.«
»Und Mr. Kellingworth?«, fragte Matthew mit hochgezogenen Augenbrauen. »Der hatte doch sicher auch etwas dazu zu sagen?«
»Der war zuerst so wütend, dass er kein Wort herausbrachte. Und dann … ich glaube, dass er erleichtert war, weil er die Verantwortung nicht tragen wollte. Er sehnte sich nach einem ruhigen Leben, in dem er sich keine Sorgen um geschäftliches Versagen machen musste.« Bidwell nickte. »Ja, ich glaube, dass er schon lange nach einem Ausweg aus dem Unternehmen gesucht hatte und nur auf einen Schubs wartete. Den habe ich ihm gegeben – und dazu eine sehr anständige Abfindung und prozentuale Beteiligung an späteren Gewinnen, die sich natürlich im Laufe der Zeit senkte. Aber jetzt stand mein Name über der Tür – mein Name und sonst keiner. Damit hat für mich alles angefangen.«
»Ich nehme an, dass Euer Vater stolz auf Euch war.«
Bidwell sagte eine Weile nichts, sondern starrte verbissen ins Leere. »Eines der ersten Dinge, die ich von meinen Gewinnen kaufte, waren zwei Prothesen«, sagte er. »Die besten Holzbeine, die es in England zu kaufen gab. Ich hab sie ihm gebracht. Er hat sie sich angeschaut. Ich habe ihm gesagt, dass er damit wieder laufen lernen konnte. Ich habe gesagt, dass ich jemanden einstellen würde, der es ihm beibringt.« Langsam leckte sich Bidwell über die Oberlippe. »Er hat gesagt … dass er sie sich nicht anschnallen würde, selbst wenn es ein Paar echte Beine wäre, die wieder anwachsen würden. Er hat gesagt, dass ich damit zur Hölle gehen sollte, denn dort werden alle Verräter eines Tages brennen.« Bidwell atmete tief ein und langsam wieder aus. »Das waren die letzten Worte, die er zu mir gesagt hat.«
Obwohl Matthew Bidwell nicht sonderlich mochte, fühlte er doch etwas mit ihm. »Das tut mir leid.«
»Leid?«, fuhr Bidwell ihn an. »Warum?« Er reckte sein mit Essen bekleckertes Kinn. »Es tut Euch leid, dass ich es zu etwas gebracht habe? Dass ich etwas aus mir gemacht habe? Leid, dass ich reich bin und dieses Haus und diese Stadt gebaut habe, und dass noch mehr gebaut werden wird? Dass Fount Royal ein Handelszentrum werden wird? Oder tut es Euch leid, dass endlich das Wetter umgeschlagen ist und dass sich meine Bürger entsprechend besser fühlen werden?« Er stach auf eine weitere Kartoffel ein und schob sie sich in den Mund. »Ich glaube«, sagte er mit vollem Mund, »dass die bevorstehende Verbrennung dieser verdammten Hexe das Einzige ist, was Euch leidtut – weil Ihr ihr nicht unter den Rock kommt!« Ihm kam ein böser Gedanke, der seine Augen glitzern ließ. »Aha! Vielleicht habt Ihr dort die Nacht verbracht! Wart Ihr bei ihr im Gefängnis? Ich würde das sofort glauben! Der Wanderprediger Jerusalem hat mir erzählt, wie Ihr ihn gestern geschlagen habt!« Er grinste finster. »Habt Ihr Euch mit der Backpfeife für den Prediger ein Schäferstündchen mit der Hexe verdient?«
Langsam legte Matthew sein Messer und seinen Löffel nieder. Ihm brannten die Wangen, aber er erwiderte kalt: »Der Prediger Jerusalem hat seine eigenen Interessen, was Rachel angeht. Glaubt, was Ihr wollt, aber vergesst bitte nicht, dass er Euch an der Nase herumführen kann.«
»Aber natürlich! Und sie kann Euch wohl nicht an der Nase herumführen? Hat sie Euch vielleicht als Siegel ihrer Zustimmung einen Kuss auf Eure Eier gedrückt? Ich kann sie mir gut vorstellen, wie sie vor den Stäben ihrer Zelle dicht vor Euch kniet! Was für ein Anblick!«
»Ich habe letzte Nacht einen herrlichen Anblick gesehen!«, sagte Matthew, der nun doch die Kontrolle verlor. »Als ich in den …« Er konnte sich die Worte gerade noch verbeißen. Fast hätte er Bidwell von den Eskapaden seines Stadtverwalters und den Eimern mit dem Griechischen Feuer erzählt, aber er wollte seine Entdeckung nicht unüberlegt verraten. Er senkte den Blick auf seinen Teller. Ein Muskel zuckte an seinem Kinn.
»Ich habe noch nie einen jungen Mann so voller Feuer und mit so viel Schwachsinn im Kopf kennengelernt wie Euch«, fuhr Bidwell fort. Er sprach nun in ruhigerem Ton, schien aber nicht zu ahnen, was Matthew fast gesagt hätte. »Wenn es nach Euch ginge, wäre meine Stadt ein wahrer Zufluchtsort für Hexen, nicht wahr? Ihr würdet sogar gegen die Wünsche Eures eigenen armen, kranken Herrn handeln, um СКАЧАТЬ