Название: DER ZAR
Автор: Ted Bell
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783958351318
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Insgesamt besaßen die beiden Hauptstreitmächte mehr als fünfzehntausend Atomsprengköpfe, die sie gegeneinander richteten. An den Grenzen Westeuropas standen neunzig einsatzbereite sowjetische Militärdivisionen. Amerikas Army, Navy und Bombergeschwader befanden sich zum ersten Mal in der Geschichte im Verteidigungsbereitschaftszustand DEFCON 2, also kurz vor einem Krieg, und das schon seit acht Tagen.
Zwei hilflose Riesen, von denen sich keiner traute, Luft zu holen.
Bis jetzt.
An diesem regnerischen Nachmittag im Oktober 1962 wusste Jack Kennedy sehr genau, dass die Zerstörung der Welt durch Kernwaffen nicht mehr nur als Stoff für Albträume herhielt, denn lediglich ein kleiner Schritt fehlte dazu.
Die Bedrohung war näher als Weihnachten.
Im Auge des Sturms stand das umkämpfte Weiße Haus. Jeder, der in der Pennsylvania Avenue 1600 arbeitete, tat sich angesichts des dräuenden Verhängnisses schwer damit, eine weitere Stunde, einen weiteren Tag durchzuhalten. Die Gesichter geliebter Kinder, Haustiere und Ehepartner – viele in bunten Bilderrahmen aus Speiseeisholzstielen – erinnerten sie ununterbrochen daran, was sie jeden Augenblick für immer verlieren mochten.
Die Reaktionszeit der USA auf eine von Kuba abgefeuerte Sowjetrakete betrug nur 35 Minuten. Dadurch wurde wenigen Angestellten des Weißen Hauses und hochrangigen Generälen das Glück zuteil, innerhalb von sieben Minuten in Hubschrauber zu springen, die zum »Rock« fliegen sollten, einem streng geheimen, unterirdischen Bunker, den man einem Berg in Maryland abgetrotzt hatte.
Diejenigen, die zurückblieben, konnten sich lediglich an ihren Fotos festhalten, die Augen schließen und unter ihre Schreibtische kriechen wie die Grundschüler in den jämmerlichen Fernsehwerbespots des Zivilschutzes. Holz gegen die Atombombe – was für ein kranker Witz.
Jack Kennedy zog sich in einen abdunkelten Alkoven im Westflügel zurück und schluckte zwei Kopfschmerztabletten. Die Nebennierenrinden-Insuffizienz setzte ihm zu. Er war nervlich am Ende. Sein Rücken tat furchtbar weh. Leider wartete sein Bruder Bobby in seinem letzten Refugium auf ihn, dem Oval Office, also machte er sich auf den Weg zur Treppe.
Kennedy war gerade nach einer weiteren äußerst hitzigen Besprechung mit seinen Stabschefs aus dem Lagezentrum gekommen. Die hohe Riege des Pentagons, die nie lange fackelte, drängte auf den nuklearen Erstschlag mitten ins Herz Russlands. Kennedy ließ sich jedoch nicht beirren. Er bestand darauf, dass seine Seeblockade Kubas die größte Hoffnung Amerikas sei, Chruschtschows Bluff aufzudecken und den nächsten Weltkrieg zu verhindern.
Während Jack Kennedy hinter den verschlossenen Türen des Oval Office vorm knisternden Feuer im Kamin auf und ab ging, trug er nicht jene Maske, die er für die Öffentlichkeit aufsetzte, sondern verzog sein wahres Gesicht vor Sorge und Schmerz.
»Hast du von dieser Redstick-Sache gehört, Jack?«, fragte Bobby den Älteren.
»Wie sollte ich nicht davon gehört haben? Man spricht dort unten von nichts anderem mehr. Jetzt haben sie endlich etwas, womit sie auf mich einprügeln können, und werden sich nicht davon abbringen lassen, es zu versuchen.«
»Erklär's mir genau, Jack.«
»Berechnungen des Pentagons zufolge werden die sowjetischen Schiffe unsere äußere Verteidigungslinie in 72 Stunden erreichen, doch anhand der Fülle von neuen Informationen, die wir vom britischen Marinegeheimdienst erhalten, könnte Russland, was seine Jagd-U-Boote angeht, einen gefährlichen Vorteil gewonnen haben.«
»Wie das?«
»Sie verfügen über irgendeine neue Unterwasserakustiktechnologie mit dem Kürzel SOFAR: eine Sonarboje fortgeschrittenen Types. Ihr Codename lautet Redstick. Wie es aussieht, kann sie ein U-Boot aus einer Entfernung von tausend Meilen an den Eigenschaften seines Antriebs erkennen. Mein Gott, falls das stimmt, Bobby, bedeutet es, dass unsere Blockade riesige Lücken aufweist. Sie wäre wertlos, wie mir die Militärchefs schon seit Tagen vorbeten.«
Bobby, der die Hände tief in seine Hosentaschen gesteckt hatte, stand mit vor Müdigkeit herabhängenden Schultern am Fenster und schaute hinaus in den aufgeweichten Rosengarten. Er konnte nicht absehen, wie viele schlechte Neuigkeiten sein Bruder noch ertragen würde. Indem er ein Lächeln aufsetzte, drehte er sich zu Jack um. »Die Briten kümmern sich ja schon darum. Alles, was wir momentan unternehmen können, wird auch getan.«
»Haben sie sich mittlerweile gemeldet? Wir warten immerhin schon seit heute Morgen auf eine Nachricht dieses U-Boots. Eher noch sieht man Pferde vor Apotheken kotzen, als beizeiten etwas von diesem Verein zu hören.«
»Der Marinegeheimdienst aus London hat vor zehn Minuten im Verteidigungsministerium angerufen. Deren U-Boot Dreadnought ist mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs, um einen ihrer Topagenten in Schottland abzuholen. Der Mann heißt Hawke. Sie kommen voraussichtlich um null-sechshundert auf Scarp Island in den Hebriden an. Sechs Stunden später soll Hawke in den Redstick-Stützpunkt der Sowjets in der Arktis eingeschleust werden. Falls er lebendig rein und auch wieder raus kommt, erfahren wir etwas Konkretes über die Reichweite, akustische Empfindlichkeit, Kommunikationsfähigkeiten und …«
»Scheiß auf akustische Empfindlichkeit! Ich will hören, wie viele von diesen verfluchten Sonaren sie haben und wo in drei Teufels Namen sie sind! Sollten sie sich im näheren Umkreis unseres Einsatzgebietes befinden, muss ich wissen, wie schnell wir sie unschädlich machen können.«
»Die Briten versprechen, uns diese Informationen in den nächsten zwölf Stunden zu liefern.«
»Zwölf? Verdammt, Bobby, ich brauche sie sofort. Falls sie diese Redstick-Dinger im Südatlantik verteilt haben, steht jede einzelne Verteidigungsoperation auf der Kippe, die Admiral Dennisons U-Boot-Einheiten dort durchführt.«
»Anscheinend ist dieser Hawke der Beste, den sie haben, Jack. Egal worum es geht, er kriegt's angeblich hin.«
»Na ja, dann hoffe ich inständig, dass das wahr ist«, erwiderte Jack und ließ sich in seinen Lieblingsschaukelstuhl fallen, der aus Rohrholz bestand und dessen Rückenlehne mit gelbem Tuchleinen bespannt war.
Während er vor und zurück wippte, starrte er ins Feuer und bemühte sich vergeblich, die Tatsache hinzunehmen, dass das Schicksal der – jawohl – gesamten Menschheit plötzlich in den Händen irgendeines dahergelaufenen Briten liegen sollte, von dem er noch nie gehört hatte.
»Hawke?«, fragte Jack, wobei er seine geröteten Augen rieb, ehe er zu Bobby aufschaute. »Wer um alles in der Welt ist er?«
An seinem Rücken hing ein Gewehr, und in einer seiner Taschen steckte eine einzelne Kugel, die abzufeuern er kaum erwarten konnte.
Sein Name war Hawke.
Er war ein kaltblütiger Krieger in diesem Kalten Krieg, der sich auf einmal als brandheiß herausstellte. Um die Zeit bis zu seinem nächsten Auftrag totzuschlagen, ging er gerade bei Regen im Sumpfgebiet von Scarp Island zur Jagd und war einem gewaltigen Rothirsch auf der Spur. Der sogenannte Monarch von Shalloch entwischte ihm seit Jahren immer wieder, doch Hawkes Finger am Abzug kribbelte dermaßen, dass er glaubte, dies sei der Tag, an dem es zur endgültigen Abrechnung zwischen Mensch und Tier kommen könnte.
Wie er erhobenen Hauptes an den Klippen über dem Meer entlangging, sah er selbst wie ein Hirsch in höchster Alarmbereitschaft aus. Es war 1962, und er im Alter von 27 bereits ein alter Hase im Marinegeheimdienst. Im Laufe vieler langer Monate auf Patrouillenfahrt in СКАЧАТЬ