»Jetzt, solange die Wölfe nicht heulen, wird es ruhig werden,« dachte Zbyszko. Er bedauerte gleichwohl, daß er die Armbrust nicht mitgebracht hatte, denn er hätte vielleicht mit Leichtigkeit einen Wolf oder ein Elentier erlegen können. Inzwischen drang von den Sümpfen her noch einige Zeit hindurch immer wieder ein dumpfer Ton, der wie schweres Stöhnen und Seufzen lautete. Mit einem gewissen Mißbehagen schaute Zbyszko nach dieser Richtung hin, war es doch auch ihm bekannt, daß der Bauer Radzik, welcher dort irgendwo in einer Lehmhütte gewohnt hatte, plötzlich mit seiner ganzen Familie verschwunden war, als ob ihn die Erde verschlungen hätte. Etliche Leute behaupteten, er sei von Räubern überfallen worden, andere dagegen wollten in der Nähe des Häuschens seltsame Spuren gesehen haben, die weder von Menschen noch von Tieren herrühren konnten, und diese Leute schüttelten den Kopf, ja, sie überlegten, ob es nicht wohl ratsam sei, den Geistlichen aus Krzesnia zu berufen, damit er die Hütte weihe. Dazu kam es freilich nicht, denn es fand sich niemand, der hier wohnen wollte, und das Häuschen, oder vielmehr der Lehm, mit dem die Reisigwände beworfen waren, wurde nach und nach von dem Regen ausgewaschen, von da an stand aber die Gegend in üblem Rufe. Der Zeidler Wawrek, der während des Sommers hier in einer kleinen Hütte nächtigte, kümmerte sich zwar nichts darum, allein gerade deshalb wurde auch viel über ihn gesprochen. Zbyszko, mit einer Heugabel und einem Beil bewaffnet, fürchtete sich zwar nicht vor wilden Tieren, allein es erfaßte ihn sofort ein gewisses Unbehagen bei dem Gedanken an unsichtbare Gewalten, und er war sehr froh darüber, als schließlich jene Töne verstummten.
Immer dunkler ward die Nacht. Kein Luftzug regte sich mehr, sogar das gewöhnliche Rauschen in den Wipfeln der Föhren ließ sich nicht mehr vernehmen. Eine solche Ruhe herrschte, daß wenn von Zeit zu Zeit da und dort ein Tannenzapfen zur Erde fiel, der Klang weithin tönte, eine so lautlose Stille umgab Zbyszko, daß er seinen eigenen Atem hören konnte.
Lange Zeit saß der junge Ritter unbeweglich auf seinem Platze und wartete auf den Bären. Nach und nach aber schweiften seine Gedanken ab; er gedachte Danusias, die mit Anna Danuta in ferne Gegenden fuhr. Lebhaft sah er sie vor sich, wie er sie in die Arme genommen hatte, als er sich von ihr und von der Fürstin verabschiedete, er erinnerte sich, wie ihr die Thränen über das Antlitz rannen, er erinnerte sich ihrer zarten Gesichtsfarbe, ihres goldhaarigen Köpfchens, ihres Kränzleins aus Kornblumen, ihres Gesanges, ihrer roten spitzen Schuhe, die er beim Abschied geküßt hatte. An seinem geistigen Auge zog all das vorüber, was sich seit der Zeit ereignet hatte, seit er und Danusa sich näher getreten waren, und ein solcher Schmerz über die Trennung, ein solches Sehnen nach dem geliebten Mädchen ergriff ihn, daß diese Gefühle alles andere aus seinem Gedächtnis verdrängten. Er vergaß, wo er war, er vergaß des Bären und sagte sich immer und immer wieder: »Ich werde zu Dir wandern, denn ohne Dich hat das Leben für mich keinen Wert!«
Ja, das wollte er thun, er mußte nach Masovien reisen, in Bogdaniec würde er zu Grunde gehen, das fühlte er. Und Jurand kam ihm in den Sinn und dessen auffälliger Widerstand, und er sagte sich, er müsse sich auch zu diesem begeben, um die geheimnisvollen Gründe zu erforschen, die sich seinem Werben hindernd entgegen stellten, die aber vielleicht durch eine Forderung zum Kampfe auf Leben und Tod beseitigt werden konnten. So lebhaft stürmten diese Gedanken auf ihn ein, daß ihm war, als ob Danusia ihm die Hände entgegenstrecke und rufe: »Zbyszko, komm, komm!« Weshalb sollte er diesem Rufe nicht Folge leisten? Nein, er schlummerte nicht, und doch sah er die Geliebte so deutlich vor sich, wie es nur im Traume möglich war. Wie wenn es Wirklichkeit wäre! Ja, da fährt Danusia jetzt neben der Fürstin dahin und läßt ihre Finger über die Laute gleiten und singt! Doch sie denkt an ihn. Sie weiß, daß sie ihn bald wiedersehen wird, und vielleicht blickt sie umher, ob er nicht hinter ihnen im Galopp daherreite. Aber es ist nicht so – er befindet sich im finsteren Walde.
Hier fuhr Zbyszko aus seinem Sinnen empor, aber nicht deshalb, weil er sich plötzlich erinnerte, wo er sich befand, sondern hauptsächlich darum, weil er ein Geräusch zu vernehmen glaubte. Er faßte die Heugabel fest in die Hand, neigte das Haupt vor und lauschte gespannt.
Das Geräusch dauerte an, und während einiger Zeit war es ganz deutlich zu vernehmen. Die dürren Aeste krachten wie unter äußerst vorsichtigen Schritten, die gefallenen Blätter und Sträuche knisterten … Irgend etwas Lebendiges näherte sich.
Zeitweise ließ indes das Geräusch nach, gerade als ob ein Tier durch die Bäume zurückgehalten werde, um gleich darauf so sachte und behutsam wieder anzuheben, daß Zbyszko es nur durch angestrengtes Horchen vernehmen konnte. Stets aufs neue aber ließen sich Schritte unterscheiden und immer wieder fragte sich Zbyszko vor Staunen, was das wohl sein könne, das so leise durch den Wald schleiche. Vielleicht fürchtet sich »der Alte« vor den Hunden, welche in der hier gestandenen Hütte gehalten wurden, sagte er sich nach kurzem Ueberlegen, oder vielleicht mag es auch ein Wolf sein, der mich wittert.
Mittlerweile hörten die Schritte auf. Zbyszko vernahm deutlich, daß irgend ein Wesen zwanzig oder dreißig Schritte vor ihm Halt machte – gerade als ob es sich niederkauere. Immer wieder strengte er seine Sehkraft an – allein, wenn er auch die Baumstämme trotz der Dunkelheit zu unterscheiden vermochte, er konnte nichts Auffälliges entdecken. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als geduldig zu warten.
Und er mußte so lange warten, daß er abermals von Staunen ergriffen ward.
Der Bär wird doch kaum zu den Bienenstöcken kommen, um zu schlafen, sagte er sich, ein Wolf aber würde mich längst gewittert haben und mich nicht bis früh morgens unbehelligt lassen.
Mit einem Male lief ihm ein Frösteln über den ganzen Körper.
Wie, so dachte er, wenn irgend ein Gespenst aus den Sümpfen emporgestiegen wäre, um sich ihm von hinten zu nähern? Oder was sollte er thun, wenn ihn die feuchtkalten Hände eines Ertrunkenen packen würden, wenn ihn ein Vampyr mit seinen grünen Augen zu durchbohren suchte, was sollte er beginnen, wenn plötzlich ein lautes Lachen hinter ihm ertönte, oder wenn ein Kopf auf Spinnenfüßen mit einem geisterhaften Antlitz hinter einer Tanne hervortreten würde? Er fühlte, wie sich ihm unter seiner Mütze von Eisendraht die Haare sträubten – da plötzlich ertönte das Geräusch vor ihm lauter und deutlicher als zuvor. Der junge Kämpe atmete erleichtert auf. Ohne Zweifel hatte ihn das Ungeheuer im Kreise umgangen, um sich ihm nun von vorn zu nähern. Das war ihm sehr erwünscht. Von neuem faßte er die Heugabel fest in die Hand, erhob sich leise und wartete gespannt.
Mit einem Male fuhr ein Rauschen durch die Wipfel der Föhren, von den Sümpfen her wehte ein leichter Luftzug, ein übler Geruch zog in die Nase des Harrenden.
Jetzt konnte kein Zweifel mehr herrschen, Meister Petz rückte heran.
Alle Furcht war von Zbyszko gewichen. Den Kopf vorbeugend, strengte er Augen und Ohren übermenschlich an. Schwere Tritte wurden deutlich vernehmbar, der üble Geruch verstärkte sich, und nach wenigen Sekunden ertönte ein lautes Schnauben und Brummen.
Wenn es nur nicht zwei sind! dachte Zbyszko.
Aber in diesem Augenblick gewahrte er den unförmigen Körper eines großen dunkeln Tieres, das von den Sümpfen kommend, ihn noch nicht gewittert haben mochte, weil es durch den Geruch des auf die Stämme gestrichenen Honigs angezogen wurde.
»Willkommen, Großväterchen!« rief Zbyszko, unter den Tannen hervortretend.
Der Bär stieß ein kurzes Gebrüll aus; zweifellos erschreckte ihn die unerwartete Erscheinung, allein er war schon zu nahe gekommen, um sich durch die Flucht zu retten. Ohne weiteres erhob er sich auf den Hinterfüßen und streckte die Vordertatzen wie zu einer Umarmung aus. Darauf hatte Zbyszko gewartet; er nahm einen Anlauf, sprang wie der Blitz vor, um dann mit aller Gewalt seiner kräftigen Arme dem Tiere die Heugabel in die Brust zu stoßen.
Ein schaudererregendes Gebrüll erfüllte jetzt СКАЧАТЬ