Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig. Franz Werfel
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Название: Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig

Автор: Franz Werfel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066114367

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СКАЧАТЬ fiel dann seine Mütze, dem Offizier sein Tschako, dem Bauer sein Dreispitz in den Nacken.

      Manchmal — und ich erinnere mich oft an diese Puppen — kommt mir der Gedanke: Es sind zwölf Höllensträflinge, von Gott verurteilt, als Holzfiguren ihr grauenhaft irdisches Wahnbild weiter zu bewohnen und hier in den Schulbänken des Budenbesitzers zu einer ewigen Turnstunde verdammt, ihr Leben nachzusitzen.

      Mögen sie erlöst werden!

      Ganz anders aber war die Gesellschaft, die sich im Kreise auf der großen Scheibe drehte, welche die Mitte des Budenhintergrundes einnahm. Es waren wiederum zwölf! Aber zwölf, die eine solche unnachahmlich schäbige Würde auszeichnete, daß sie kaum auseinander zu halten waren. Der Beruf dieser zwölf Holzmenschen war klar. Was denn anders konnten sie sein als Leichenbitter, Wucherer, Zeremonienmeister der Begräbnisse dritter bis siebenter Klasse, Tanzlehrer letzter Sorte, Klavierspieler bei den Unterhaltungen der Armen!

      Alle waren sie in Trauer gekleidet, trugen lange, schwarze, ausgefranste Bratenröcke, hohe, blinde Zylinder, von denen Flöre niederhingen. Sie drehten sich langsam und gemessen im Kreise, so, daß ich weniger ihre toternsten, starren Gesichter sehen konnte, als den Rücken, der das Traurigste von der Welt war.

      In ihrer schleichenden Haltung schienen sie einem unsichtbaren Sarge zu folgen oder verflucht zu sein, dort, fern im Schatten, eine Türe zu sehn, der sie ewig zustreben, die sie doch nie erreichen durften, immerdar an der Möglichkeit des ersehnten Abgangs vorbeigedreht. Die alten traurigen Männer, mehr als die Teufelsbilder rechts und links, waren Zielscheiben der sausenden Steinigung. — Trat eine Pause im Bombardement ein, so erschien hinter einem Vorhang des Hintergrundes ein Junge und setzte den Greisen die Zylinder auf, die ihnen die Bälle vom Kopf geschlagen hatten.

      Er war nicht älter als ich. Vielleicht feierte er heute auch seinen Geburtstag. Sein Antlitz war ebenso mager und blaß wie das meinige; seine schwarzen Augen leuchteten aus tiefen Höhlen.

      Und doch! Wie gut hatte er es —, wie schlecht hatte ich es! Er trug an seinen Gliedern keine vorschriftsmäßige Uniform, er ging wohl in die Bürgerschule, wo die Buben zu spät kommen, ausbleiben und Allotria treiben dürfen, so viel sie nur wollen. Sein Vater lachte während der Arbeit viel und aus Herzensgrund, war beredt, behaglich, und jetzt, — jetzt zündete er sich die Pfeife mit dem Türkenkopf an und begann wohlig keuchend zu paffen.

      Die Bälle schwirrten, die haßerfüllten Fratzen tauchten auf und nieder, die schäbig würdigen Greise wandelten hoffnungslos an der Türe ihrer Erlösung vorbei.

      Auch der kleine Junge hatte mich gleich entdeckt. Wir waren die einzigen Kinder hier. Sofort spann sich eine starke Beziehung von mir zu ihm, — von ihm zu mir.

      Er winkte mir, einen Ball zu werfen, kniff bedeutsam die Augen ein, pfiff mir ein Signal zu, schnitt eine Fratze und winkte mir immer wieder.

      Oft sah ich nichts als seine Hand, die wie ein Gespenst mit Daumen und Fingern hinter dem Vorhang hervorgestikulierte.

      Ich machte schüchtern meinerseits Zeichen, deren Sinn ich selbst nicht verstand.

      Verloren starrte ich diesen hohläugigen Knaben an, der mir glücklich wie die Freiheit selbst erschien!

      Ich fuhr zusammen. Denn die kommandierende Stimme meines Vaters schnarrte: „Karl, nun zeig’, ob du eine sichere Hand hast und ob du einmal das Recht haben wirst, des Kaisers Rock zu tragen!“

      Er gab mir einen Ball in die Hand. Was sollte ich damit anfangen? Auf und nieder tauchten die Bösen; die Leichenbitter schlichen an dem Jungen vorbei, der immer wieder den Kopf vorbeugte und mir mit fünf gespreizten Fingern winkte und winkte.

      Alle Puppen hatten ihre Hüte auf — denn kein Mensch warf mehr einen Ball, so scharf war die Stimme meines Vaters gewesen. Die Leute sahen ihn erstaunt und feindlich an. Alle Blicke waren auf uns beide gerichtet. Zitternd hielt ich den Ball in meiner Hand. Alles schwieg und nur der Budenbesitzer sagte: „Nun, junger Mann!?“...

      Mein Vater richtete sich auf. Die Bedrückung, einer nur unter Tausenden zu sein, war von ihm gewichen. Er stemmte die Hand in die Hüfte, wie es der tut, der endlich das Übergewicht über andere gewonnen hat, wie der geblähte Leutnant es macht, der vor seine Rekruten tritt. Das Schweigen um uns tat ihm sichtlich wohl.

      „Wird’s bald!? Wirf!!“ sagte er mit lauter Kasernhofstimme.

      Mein ganzer Körper brannte vor Scham und Angst. Ich hob den Ball und warf ihn kraftlos ins Ungewisse hinein. Er fiel schon in der Mitte der Bude zu Boden. Nichts unterbrach das Schweigen, nichts als die kleine Lache, die der Junge aus seinem Versteck hervor anschlug.

      „Tolpatsch!“ Der Vater reichte mir streng einen zweiten Ball.

      „Wähle dir eine Figur, ziele gut, und dann erst wirf!“

      Alles tanzte vor meinen Augen! Auf und nieder tauchten die Höllensträflinge. Ich nahm alle Kräfte zusammen, meinen Blick zu sammeln. Mir war, als müßte mein Kopf sogleich in Flammen aufgehen. In den Gelenken der Hand, die den Ball hielt, spielte ein süßlich giftiges Gefühl. Immer furchtbarer wurde der Rhythmus des Auf- und Niedertauchens. Da! — Eine Gestalt löste sich aus den andern, wurde deutlicher, die Grimasse fletschte mir eindringlich entgegen, ein ewig verschlossener Mund schien mir zurufen zu wollen: „Ich! Ich!“ Es war der Offizier in Phantasieuniform.

      Ich sah ihn, — ich sah ihn! — Die Pferdezähne meines Vaters waren entblößt, seine Schnurrbartspitzen starrten, an seinen Epauletten blitzten die Messingknöpfe.

      Ich beugte mich weit über das Brett und warf, einen kurzen Schrei ausstoßend, den Ball, — der aber ganz nah von mir in irgend eine sinnlose Ecke fuhr.

      Jetzt lachte der Knabe im Hintergrund laut und höhnisch auf.

      Der Vater trat dicht an mich und zischte mir ins Ohr:

      „Rindvieh! Du blamierst mich! Jetzt wirf und triff, sonst — — — — —!“

      Ich fühlte einen neuen Ball in der Hand.

      Dort! Auf und nieder raste der Legionsoffizier. Von Mal zu Mal immer klarer offenbarte er sich. Wo stand mein Vater? Nicht neben mir!

      Dort stand er! Dort...!

      Er blies Rauch durch die Nase, so wenig ermüdete ihn die furchtbare Bewegung. Ohne Falte blaute sein Waffenrock.

      „Korporal! Korporal!“ rief er —

      Gott! Gott!

      Ich will es tun!

      Er selbst befiehlt es mir ja!

      Er selbst, — er selbst — — — — — —

      Ich spannte alle Muskeln an, und, indem ich wild aufschrie, schleuderte ich den Ball mit solcher Kraft, daß es mich umriß und ich zu Boden stürzte. — — — — —

      Sogleich erwachte ich aus meiner kurzen Bewußtlosigkeit. Menschen standen um mich, die auf mich einredeten.

      Abseits erblickte ich den Vater, ohne Hut, ein blutiges Taschentuch an die Nase pressend.

      In einem entsetzlichen Augenblick erkannte СКАЧАТЬ