Grenzgängerin. Evelyne Binsack
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Название: Grenzgängerin

Автор: Evelyne Binsack

Издательство: Bookwire

Жанр: Путеводители

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isbn: 9783037637395

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      Von Geissholz bis ans Nordkap mit dem Fahrrad

      21. Mai bis 2. Juli 2016

      Am 21. Mai steige ich endlich daheim auf mein Fahrrad. Insgesamt habe ich 35 Kilogramm Gepäck auf vier Satteltaschen und einen Rucksack verteilt: Mein Zelt samt Schlafsack und Liegematte, meine kleine mobile Küche, meinen Computer, leichtere Sachen wie Ersatzwäsche, Stirnlampe, Taschenlampe und Sackmesser, Essen für die ersten zwei, drei Tage und – nicht zu vergessen – meine Fotoausrüstung. Im Gegensatz zu den intensiven Vorbereitungen in der jüngsten Vergangenheit wird meine nahe Zukunft wunderbar simpel sein: Mein Ausgangspunkt heißt Geissholz, mein erstes Etappenziel Nordkap. Dazwischen liegen rund 5000 Kilometer, in denen ich in die Pedale treten werde. Das ist alles. Keine Termine. Keine Verpflichtungen. Nur Fahrrad fahren, essen, schlafen. Doch zuerst gilt es, jenen Kloß in meinem Hals loszuwerden, der mich heute, wie bei all meinen Abschieden, begleitet. Er wird sich, das weiß ich aus Erfahrung, erst langsam aufzulösen beginnen, wenn meine Freunde, die mir zum Abschied winken, aus meinem Blickfeld verschwunden sind.

      Ich verlasse die Schweiz östlich von Basel und folge dem Rhein nordwärts. Bald werde ich bei schlechtem Wetter fahren müssen, denn ich durchquere Deutschland genau während der Zeit der vielen Überschwemmungen, die unseren nördlichen Nachbarn im Jahr 2016 heimgesucht haben. Im Grunde bin ich von Anfang an auf der Flucht Richtung Norden, wo das Wetter besser zu werden verspricht. Die Landschaften in Deutschland präsentieren sich schöner als erwartet, die ersten 1300 Kilometer aber härter. Zwar habe ich auf die Unwetter meistens einen Vorsprung von ein, zwei Tagen, es fühlt sich aber trotzdem an, als hätten sie sich an mein Hinterrad geheftet. So flüchte ich vor den immensen Regengüssen, werde von ihnen eingeholt, flüchte erneut und werde Zeugin der immer höher anschwellenden Flüsse, die über die Ufer treten, Dörfer verwüsten und sogar Menschen töten. So muss sich ein verfolgtes Tier auf der Treibjagd fühlen.

      Als Alpinistin und Berufsbergführerin bin ich sommers wie winters mit drastischen Wetterwechseln konfrontiert, sei es auf Gletschertouren, im Eis oder an Felswänden. Die Natur in den Bergen ist gefährlich und bedrohlich, ja. Aber die Gefahren sind Teil des Alltags, keine Überraschungen. Mein Feingespür und meine langjährige Erfahrung sind darauf ausgerichtet, im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dass ich schon zu Beginn meiner ersten und einfachsten Etappe mit derart garstigem Wetter zu kämpfen habe, damit habe ich allerdings nicht gerechnet.

      Durch die Klimaveränderung wird der Jetstream abgebremst. Wenn der Jetstream verlangsamt wird, wird das Wetter gestaut, so wie Autos auf der Autobahn vor einer Baustelle. Wenn das Wetter staut, bleibt es länger dort sitzen, wo es gerade ist. Dadurch gibt es zwar längere Schönwetterphasen, aber eben auch längere Schlechtwetterphasen. Das bedeutet lang anhaltende, verheerende Dürren in den einen Teilen und lang anhaltende, verheerende Niederschläge in anderen Teilen unserer Welt. Aber nicht nur der Wind, auch das Wasser spielt verrückt. Die große Umwälzströmung im Atlantik, die sogenannte Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), hat sich im 20. Jahrhundert deutlich abgeschwächt. Der Golfstrom ist Teil dieser Umwälzströmung.

      Sogar meine Planung der Nordpolexpedition hat sich wegen der Klimaveränderung dauernd verändert. Schon 2002 hatte ich zum ersten Mal die Idee, den Nordpol vom letzten kanadischen Festland aus zu erreichen. Doch in den vergangenen Jahren ist dort das Meer in Landnähe gar nicht mehr zugefroren, und wenn doch, war die Eisdecke für eine Begehung zu dünn. Kenn Borek Air, eine kanadische Fluggesellschaft, hat deswegen sämtliche Aktivitäten auf der Nordpolarmeer-Eiskappe eingestellt, weil ihr bei der Landung auf dem arktischen Meer-Eispanzer beinahe zwei Flugzeuge samt Piloten und Crew abgesoffen wären. Für Expeditionen zum Nordpol von der kanadischen Festlandseite her bedeutet das, dass die einst einzige mögliche Rettung bei Problemen nicht mehr verfügbar ist. Kenn Borek Air war für Expeditionen von 1970 bis 2014 die letzte Hoffnung – dann, wenn alle Stricke auf dem Eis gerissen waren und dringend Hilfe benötigt wurde. Ich ließ die Idee, diese Route zu wählen, deshalb rasch wieder fallen.

      Natürlich mache auch ich mir Sorgen um unseren Globus. Doch auf meiner Expedition richten sich die unmittelbaren und pragmatischen Fragen auf das Hier und Jetzt: Wo finde ich etwas zu essen? Wo trinkbares Wasser? Wie trockne ich das durchnässte Zelt, wenn es weiterhin regnet? Wie schlafe ich im durchnässten Schlafsack? Wie erkälte ich mich nicht bei diesen garstigen Wetterbedingungen? Es sind die immer gleichen Fragen, die ich mir jeden Tag aufs Neue stelle.

Kompassrose

      Obwohl meine Beine von unzähligen Trainings und Skitouren-Höhenmetern kräftig sind, ist das Fahrradfahren für sie eine ungewohnte Disziplin. Am Anfang mochte ich deshalb noch nicht so viel aus meinen Muskeln herausholen. Erst mit der Zeit spüre ich, dass ich jeden Tag ein bisschen mehr zu leisten vermag. Und je stärker meine Füße in die Pedale treten, desto leichter werden meine Gedanken. Ich pfeife Melodien, die längst vergessen schienen, lasse mich verführen von hübschen, kleinen Cafés am Straßenrand, zelte neben Kühen auf sattgrünen Weiden und teile flüchtige Augenblicke mit Menschen, denen ich wohl nie wieder begegnen werde. Niemals hätte mich mein Bergführer-Beruf zu Städten wie Straßburg geführt. Mit dem Cellospieler vor dem Wahrzeichen der wunderschönen Stadt, dem beeindruckenden Münster, fühle ich mich sofort verbunden. Beide sind wir Figuren, die schwierig in einen Rahmen passen. Eine Art Lebenskünstler, jeder auf seine Weise. Und beide stellen wir uns vermutlich oft die Frage: »Wie weiter?« Eine Frage, in der viel Kreativität, Mut und Antrieb, aber auch viel Verletzlichkeit steckt. Eine Empfindsamkeit, von der ich überzeugt bin, dass sie uns weniger wertend gegenüber anderen Menschen macht.

      Jeden Abend, bevor ich in meinem Zelt die Stirnlampe ausknipse, lege ich mir die ungefähre Etappe für den kommenden Tag zurecht. Jeden Morgen starte ich voller Energie in den Tag hinein und freue mich auf die neuen Eindrücke, die mir das Unterwegssein bescheren wird. Ich verlasse den Rhein weiter nördlich und radle der Fulda entlang, wechsle erneut den Fluss und folge der Weser, die inzwischen so hoch angestiegen ist, dass Teile des Radweges unter Wasser stehen. Nachdem ich nördlich der Weser eine schöne Route durch die Lüneburger Heide bis Lübeck gefunden und mich dort auf die Fähre nach Malmö begeben habe, genieße ich jetzt die Überfahrt nach Schweden in meiner kleinen und vor allem trockenen Kajüte. Ich bin dankbar, dass ich mich – im Gegensatz zu den Menschen, deren Keller zuhauf überflutet werden und die teilweise aufgrund der Unwetter ihr ganzes Hab und Gut verlieren – in diesem Moment nur mit einem Luxusproblem zu befassen habe. Vom vielen Regen hatte ich nämlich ständig nasse Haarsträhnen im Gesicht. Und weil ich gerade nichts Besseres zu tun habe, schneide ich sie mir in meinem Mini-Badezimmer kurzerhand mit meinem Sackmesser ab. Das Resultat sieht schrecklich aus. Aber immerhin kommen mir die lästigen Haare jetzt nicht mehr in die Quere.

      1300 Kilometer habe ich seit meinem Aufbruch auf dem Fahrrad zurückgelegt. Nun erreiche ich nach einer kurzen Überfahrt schwedisches Festland. Trotz Vorfreude überfordert mich das Land in seiner Größe ein wenig. Welche Route soll ich wählen? Eher die bergige Variante Oslo–Trondheim–Tromsø–Nordkap? Oder fahre ich doch lieber durch das flache, aber fahrradtechnisch etwas langweilige Schweden? Ich entscheide mich für die goldene Mitte. Zuerst werde ich ein Stück durch Schweden radeln und dann, nördlich von Oslo, zur bergigen Küste Norwegens wechseln.

      Seit ich Norwegens Grenze durch das schwedische Hinterland erreicht habe, kämpfe ich mit massivem Gegenwind. Dieser ist so stark, dass ich sogar auf flachen Strecken in die niedrigen Gänge schalten muss. Gut, dass es kaum Verkehr gibt, denn die Windböen drücken mich oft aus dem Nichts heraus mitten auf die Straße und in die Gegenspur hinein. Nach drei Tagen Kämpfen und Strampeln und trotzdem СКАЧАТЬ