Название: Punin und Baburin
Автор: Иван Тургенев
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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Ich folgte Punin; auf der Thürschwelle hielt ich es jedoch meiner Würde angemessen, noch einen herausfordernden Blick auf Baburin zu werfen. Er antwortete mir mit einem gewissen geringschätzenden Achselzucken und blies sogar auf sein Handtuch, wahrscheinlich um anzudeuten, wie wenig er sich aus mir mache.
»Welch’ ein unverschämter Mensch Ihr Freund ist!« sagte ich zu Punin, als sich die Thür hinter uns geschlossen hatte.
Mit großer Bestürzung blickte mich Punin, plötzlich stehen bleibend, an.
»Von wem belieben Sie so zu reden?« fragte er mich anstierend.
»Nun, natürlich von ihm . . . wie nannten Sie ihn doch noch . . . von diesem Baburin.«
»Von Paramon Semeonitsch?«
»Nun ja, von jenem braunen Tatarengesicht.«
»Ei, ei, ei! Herrlein, Herrlein! Wie können Sie wohl dergleichen reden?! Paramon Semeonitsch ist der ehrenhafteste, würdigste Mensch auf Gottes Erdboden, voll der strengsten Grundsätze, ein ganz außergewöhnlicher Mensch! Freilich, beleidigen läßt der sich nicht, weil er seinen Werth kennt. Mit dem, mein Lieber, muß man höflich umgehen, das ist – und hier neigte sich Punin herab zu meinem Ohr und flüsterte – ein Republikaner!«
Verdutzt blickte ich Punin an. Eine solche Aufklärung hatte ich durchaus nicht erwartet. Aus meinen Geschichtsbüchern wußte ich, daß die Griechen und Römer in früheren Zeiten einmal Republikaner gewesen waren und stellte mir diese in Helmen und runden Armschilden und mit bloßen Beinen vor; daß es aber in unserer Zeit, besonders in Rußland im Twerschen Gouvernement, noch Republikaner geben solle, das verwirrte meine Begriffe und schien mir unbegreiflich.
»Ja, ja, mein Lieber, ja, Paramon Semeonitsch ist ein Republikaner,« wiederholte Punin; »so und nun werden Sie künftig wissen, wie Sie von einem solchen Menschen zu reden haben! Jetzt aber kommen Sie in den Garten. Stellen Sie sich vor, ich habe da ein Kukuksei in einem Rothschwänzchennest gefunden! Wunderbar, nicht wahr?«
Ich folgte Punin in den Garten, immer aber wollte mir Baburin nicht aus dem Sinn und ich wiederholte beständig in Gedanken: Republikaner! Re- pu—bli–ka—ner! »Aha,« schloß ich endlich, »jetzt weiß ich auch, woher er einen so blauen Bart hat.«
Mit diesem Tage stellte sich mein Verhältniß zu den beiden Persönlichkeiten fest. Baburin erweckte in mir ein mehr feindliches Gefühl, welches sich jedoch bald mit einer gewissen Achtung gegen denselben verband. Noch mehr aber fürchtete ich ihn, selbst auch dann noch, als das Schroffe in seinem Wesen gegen mich nach und nach verschwand. Daß ich Punin durchaus nicht fürchtete, braucht wohl kaum erwähnt zu werden; ich achtete ihn nicht einmal, ich hielt ihn geradeheraus – für einen Narren; ich war ihm aber von ganzem Herzen zugethan. Ganze Stunden allein mit ihm zuzubringen, seinen Erzählungen zu horchen, war für mich ein großer Genuß. Der Großmutter gefiel diese »intimité« mit, wie sie es nannte, gemeinen Menschen, »du commun«, durchaus nicht; sobald ich mich jedoch nur wegschleichen konnte, eilte ich immer gleich zu meinem sonderbaren Freunde. Unsere Zusammenkünfte wurden besonders häufig, nachdem uns Mademoiselle Friquet verlassen hatte, welche die Großmutter zur Strafe dafür nach Moskau zurückschickte, daß sie es sich hatte einfallen lassen, einem durchreisenden Stabscapitän der Armee über die in unserem Hause herrschende entsetzliche Langeweile zu klagen. Auch Punin fühlte sich durch die fortdauernden langen Unterhaltungen mit mir, dem zwölfjährigen Knaben, – nicht gelangweilt; er schien sie sogar selbst zu suchen.
Wie manche Erzählung bekam ich so zu hören, auf dem trockenen dichten Rasen, im Schatten einer dichtbelaubten säuselnden Silberpappel, oder im Schilfrohr am Weiher, oder auf dem feuchten grobkörnigen Sande am Ufer sitzend, aus welchem dicht verschlungene, schlangenförmig sich windende, knorrige Baumwurzeln hervorstarrten! Hier erzählte mir Punin ausführlich seine ganze Lebensgeschichte, seine glücklichen und unglücklichen Stunden, an welchen ich stets so aufrichtig Theil nahm. Sein Vater war Diakonus bei einer Dorfkirche gewesen – ein ausgezeichneter Mann, wie er sagte – nur zuweilen, wenn er einmal ein Gläschen zu viel getrunken hatte, unerbittlich strenge.
Punin selbst hatte seine Erziehung im Seminar genossen, war jedoch bei der Prüfung »durchgefallen« und da er keine Neigung zum geistlichen Berufe in sich fühlte, hatte er diesen gegen den weltlichen vertauscht, hatte in Folge dessen durch Feuer und Wasser gehen und das ganzes Märtyrthum eines armen Menschen durchmachen müssen, bis er zuletzt an den Bettelstab gerathen war. »Und wenn ich dazumal nicht mit meinem Retter und Wohlthäter Paramon Semeonitsch bekannt geworden wäre,« fügte Punin gewöhnlich hinzu, »so wäre ich wohl im Schlamm des Lasters versunken und stecken geblieben.« Eine besondere Vorliebe hatte Punin für schwülstige zu seiner Zeit noch übliche Reden; alles setzte ihn in Erstaunen, über das geringste gerieth er wie ein Kind in Entzücken. Um ihm nachzuahmen fing auch ich bald an Alles zu übertreiben, so daß meine alte Amme zu mir zu sagen pflegte: »Du sprichst ja als ob Du besessen wärest; schlag’ fleißig das Kreuz, was schwatzest Du für unsinniges Zeug!« So sehr mich aber auch Punin’s Erzählungen unterhielten, so liebte ich doch noch mehr, wenn wir zusammen lasen. So saßen wir oft in einem unserer heimlichen Plätzchen nebeneinander und ergötzten uns an irgend einem nach Schimmel riechenden alten Folianten. Mit welchem Wohlbehagen horchte ich den schwülstigen Versen, die er besonders liebte und die er mir mit näselnder Stimme verzückt vordeclamirte. Eine besondere Eigenthümlichkeit hatte er noch beim Vorlesen: zuerst brummte er leise vor sich den Vers her – er nannte das »Brouillonlesen;« dann schmetterte er denselben Vers »in’s Reine« laut hervor und sprang vor Aufregung zitternd auf. . . So lasen wir mit ihm die Autoren jener alten Zeit: Lomonóssow, Ssumarókon und Kantemir (je älter die Verse waren, desto mehr waren sie nach Punin’s Geschmack), ja selbst »die Russiade« von Cheraskow. Soll ich die Wahrheit gestehen, so muß ich sagen, daß mir damals diese »Russiade« am meisten gefiel. In derselben ist die Hauptperson der Handlung eine muthige Tatarin, eine Riesen-Heldin, deren Namen ich jetzt sogar vergessen habe; ich erinnere mich, mäuschenstill, während mir bald kalt bald warm wurde, dagesessen zu haben, sobald nur von ihr die Rede war.
In unserem Hause stand die Literatur und besonders die russische Poesie in schlechtem Rufe; man hielt sie, wie in ähnlichen Kreisen überall damals, für etwas unanständiges, abgeschmacktes; nach der Meinung der Großmutter konnte jeder Dichter nur ein Trunkenbold oder ein ausgemachter Dummkopf sein. In ähnlichen Begriffen aufgewachsen, hätte ich eigentlich mich mit Widerwillen von Punin abwenden müssen, um so mehr, als derselbe unsauber und nachlässig gekleidet war, was meine aristokratischen Gewohnheiten beleidigte, das Gegentheil aber von dem geschah: – meine Zuneigung zu ihm wuchs von Tag zu Tag und ich fing sogar selbst an mich im Verseschreiben zu üben; mein erstes Gedicht war die Beschreibung einer Drehorgel, in welchem folgende Zeilen mir besonders gelungen schienen:
Es drehet sich die dicke Walz’
Und ihre Zähne machen – Schnalz!
Auch Punin gefiel die Tonnachahmung des Anschlagens der Zähne, meinte aber sonst, der Stoff des Gedichts sei kein erhabener und ermögliche keinen rechten lyrischen Schwung.
Ach, alle diese poetischen Versuche, unsere einsame Lectüre, unser idyllisches Zusammenleben sollten mit einemmale ein unerwartet schnelles Ende nehmen. Wie ein Donnerschlag brach das Unheil über uns herein.
Die Großmutter sah streng auf Reinlichkeit und Ordnung, ganz in der Art wie damals die an die pünktlichste Ausführung von Befehlen gewöhnten Generale; so mußte denn auch unser Garten ziemlich rein und ordentlich gehalten werden. Zu dem Zwecke wurden СКАЧАТЬ