Im Hause des Commerzienrates. Eugenie Marlitt
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Название: Im Hause des Commerzienrates

Автор: Eugenie Marlitt

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ aber dieses sein Eigenthum brachte ihn in eine gewissermaßen abhängige Beziehung zu dem Schloßmüller. Die Mühle, vor Jahrhunderten vom Landesherrn erbaut, war mit unglaublichen Privilegien ausgestattet worden, die, noch heute in Kraft, eine bedeutende Strecke des Flusses beherrschten und den Anwohnern das Leben sauer genug machten. Und auf diesen verbrieften Rechten stand der Schloßmüller mit seinen breiten Füßen und wies Jedem die Zähne, der auch nur mit einer Fingerspitze daran zu rühren wagte. Anfangs nur Pächter, hatte er allmählich und unmerklich die Fangarme seines wachsenden Reichthums ausgestreckt, bis er nicht allein Besitzer der Mühle, sondern auch des Rittergutes selbst geworden war, zu welchem sie gehörte. Und das hatte er durchgesetzt kurz vor der Verheirathung seines einzigen Kindes mit dem angesehenen Banquier Mangold. Für ihn selbst hatten nur der ausgedehnte Waldbesitz und die Ländereien Werth gehabt; die dazu gehörige prächtige Villa inmitten eines stattlichen Parkes war ihm zu allen Zeiten ein Gräuel gewesen; nichtsdestoweniger hatte er bereitwillig „die kostbare Spielerei“ im Stande erhalten, weil er ja seine Tochter als Herrin da schalten und walten sehen durfte, wo die ehemaligen hochmüthigen Besitzer consequent vergessen hatten, seinen Gruß zu erwidern. Jetzt war der Commerzienrath Miether der Villa; es lagen somit die ausgiebigsten Gründe vor, in gutem Einvernehmen mit dem Flußbeherrscher und Hauswirthe zu verbleiben, und das geschah – der Commerzienrath stand wie ein fügsamer Sohn zu dem mürrischen Alten.

      Von der Thurmuhr des Fabrikgebäudes schollen vier Schläge herüber, und hinter den hohen Scheiben des Comptoirs schlugen zugleich die Gasflammen auf; es wurde heute sehr früh dämmerig; jener feuchte Dampf, der Schnee bringt, füllte allmählich die Luft und machte den Essenrauch von der Stadt her träge über die Erde hinkriechen, während das Schieferdach der Spinnerei, jede Thürstufe und jeder Kieselstein den schlüpfrigen Glanz intensiver Nässe annahmen. Die Tauben, die noch geduldig, dick und faul neben einander auf den Kastanien hockten, verließen plötzlich die triefenden Aeste und flogen nach dem warmen, trockenen Schlage. Fröstelnd sah der Commerzienrath in die Stube zurück. Fast kam sie ihm behaglich und anheimelnd vor, die den verwöhnten Mann sonst stets anwiderte mit ihrer von Speiseresten erfüllten Luft, mit ihren verräucherten Tapeten und den berüchtigten Neuruppiner Bilderbogen an den Wänden, aber eben legte Jungfer Suse draußen frisches Scheitholz in das Ofenfeuer; das altväterische Sopha mit den dicken, weichen Federkissen stand so warm und bequem an der Wand, und auf den blankgeputzten Scheiben der Alkoventhür blinkte das letzte Restchen des falben Tageslichtes – ah, hinter dieser Alkoventhür stand der eiserne Geldspind – hatte er vorhin auch den Schlüssel abgezogen?

      Kurz vor der Operation hatte der Schloßmüller sein Testament gemacht; die Gerichtspersonen und Zeugen waren dem Doctor Bruck und dem Commerzienrath noch auf der Treppe begegnet. Wenn er auch äußerlich bei guter Fassung war, mußte es doch im Innern des Patienten heftig gestürmt haben; jedenfalls war seine Hand beim Wegräumen der benöthigten Documente unstät und hastig gewesen, denn ein Papier war auf dem Tische liegen geblieben. Er hatte übrigens im letzten Augenblicke vor der Entscheidung das Versehen noch bemerkt und den Commerzienrath gebeten, das Schriftstück schleunigst im Schranke zu verschließen. Aus dem Alkoven führte noch eine zweite Thür nach dem Vorsaal, und es verkehrten viele fremde Leute in der Mühle; erschreckt trat der Commerzienrath in das schmale Stübchen; er war unverzeihlich leichtsinnig gewesen – die Schrankthür stand offen; wenn das der Alte gesehen hätte, der seinen Geldschrank wie ein Drache hütete! Es konnte wohl Niemand das Zimmer betreten haben, sagte sich der Commerzienrath zu seiner Beruhigung; selbst das leiseste Geräusch wäre ihm ja nicht entgangen, aber überzeugen mußte er sich dennoch, ob noch Alles in Ordnung.

      Er schlug den eisernen Thürflügel möglichst lautlos zurück – sie standen sichtlich unberührt, die Geldsäcke, das silberschwere Piedestal des ehemaligen Müllerknechtes, und neben den Stößen von Werthpapieren thürmten sich in blinkenden Säulchen die Goldstücke aufeinander. Sein bewundernder Blick flog hastig über das Schriftstück, das er vorhin in Folge leichtbegreiflicher Spannung und Erregtheit allzuflüchtig in eines der musterhaft geordneten Fächer geworfen hatte – es war das Verzeichniß des Gesammt-Besitzthums. Welche imponirende Summen reihten sich da an einander! Sorgsam schob er das Papier auf die anderen Documente; dabei aber geschah es, daß er eines der Goldröllchen umstieß – klirrend rollte eine Anzahl Napoleonsd’or auf die Dielen nieder. Wie abscheulich das klang! Es war fremdes Geld, das er berührt hatte! Schrecken und eine an sich ungerechtfertigte Scham trieben ihm das Blut in das Gesicht; unverzüglich bückte er sich, um das Geld aufzulesen. In diesem Moment warf sich ein schwerer, massiger Körper von rückwärts über ihn her, und harte, grobe Finger würgten ihn am Halse.

      „Hallunke, Spitzbube! Ich bin noch nicht todt,“ zischte der Schloßmüller mit seltsam erloschener Stimme. Ein momentanes Ringen erfolgte; der schlanke junge Mann mußte alle seine Kraft und Elasticität aufbieten, um den Alten abzuschütteln, der wie ein Panther auf ihm hockte, ihm die Kehle so furchtbar zusammenschnürend, daß ein feuriger Funkenregen vor seinen Augen aufstiebte – ein angstvoller Griff seiner eigenen beiden Hände, dann ein gewaltsamer Ruck und Stoß, und er stand befreit auf seinen Füßen, während der Schloßmüller an die Wand taumelte.

      „Sind Sie toll, Papa?“ keuchte er empört und athemlos. „Welche bodenlose Gemeinheit“ – er verstummte entsetzt; der Verband unter dem erbleichenden Gesicht des Kranken erschien plötzlich scharlachroth, und diese entsetzliche Farbe kroch sickernd, mit unglaublicher Schnelligkeit auch als breites Band über die weiße Bettjacke – da war die Blutung, die um jeden Preis verhindert werden sollte.

      Der Commerzienrath fühlte seine Zähne wie im Fieber zusammenschlagen. War er schuld an diesem Unglück? „Nein, nein,“ sagte er sich erleichtert und umschlang den Kranken, um ihn für’s Erste nach dem Bett zu schaffen, aber der Alte stieß erbittert nach ihm und zeigte schweigend auf die verstreuten Goldstücke; sie mußten Stück um Stück aufgelesen und an Ort und Stelle zurückgelegt werden; die furchtbare Gefahr, in der er schwebte, ahnte er entweder nicht oder er vergaß sie über der Angst um sein Gold. Erst, nachdem der Commerzienrath vor seinen Augen den Schrank verschlossen und den Schlüssel in seine Hand gedrückt hatte, wankte er in die Stube zurück und sank taumelnd auf sein Lager, und als endlich zwei Müllerburschen und Jungfer Suse auf das wiederholte Hülferufen des Commerzienrathes herbeistürzten, da lag der Schloßmüller bereits lang hingestreckt und stierte mit gläsernen Augen wie entgeistert auf seine Brust, die der unaufhaltsam entfließende Lebensstrom immer breiter mit Purpur bedeckte.

      Die Burschen eilten nach der Stadt, um Doctor Bruck zu suchen, während die Haushälterin Wasser und Leinen herbeischleppte – vergebliche Mühe! Es half nichts, daß der Commerzienrath angstvoll Tuch um Tuch auf die Wunde preßte, um den Quell zu verstopfen; der ließ sich nicht wieder zurückleiten. Es blieb kein Zweifel: die Schlagader war zerrissen. Wie war das gekommen? Trug die wahnsinnige innere und äußere Aufregung des alten Mannes allein die Schuld, oder – der Herzschlag stockte ihm – hatte er bei seiner verzweifelten Abwehr die Schnittwunde am Halse des Wüthenden gepackt und tödtlich erweitert? Für einen solchen Moment gab es kein Erinnern; wie kann Einer wissen, ob er die Schulter oder den Hals eines heimtückischen Angreifers faßt, wenn ihm der Erstickungstod droht und das gewaltsam nach dem Gehirne gedrängte Blut Feuerräder vor seinen Augen kreisen läßt! Aber wozu auch eine so gräßliche Möglichkeit aufstellen? Hatten nicht der Sprung aus dem Bette, die innere kochende Wuth vollkommen genügt, das Unglück herbeizuführen, das ja der Arzt selbst schon von einer einzigen allzu heftigen Bewegung abhängig gemacht? Nein, nein, sein Gewissen war rein und unbelastet; er konnte sich nicht den geringsten Vorwurf machen, auch was die Grundursache dieses grauenhaften Vorfalles betraf. Er war an den Schrank getreten, einzig und allein aus Besorgniß für das Eigenthum des alten Mannes; nicht einmal der Wunsch, diese Schätze zu besitzen, war ihm in jenem flüchtigen Momente gekommen – das wußte er genau. Was konnte er für die gemeinen Gesinnungen des erbärmlichen Kornwucherers, der bei Jedem, auch dem anerkannt respectabelsten Manne, räuberische Gelüste voraussetzte? An die Stelle der Angst und des Entsetzens trat jetzt der Ingrimm. Das hatte er von seiner Liebenswürdigkeit, von jener Höflichkeit des Herzens, die seine Bekannten an ihm rühmten; sie hatte ihn wie schon so oft, hingerissen, Verpflichtungen auf sich zu nehmen, die ihn in Unannehmlichkeiten verwickelten. СКАЧАТЬ