Fridolins heimliche Ehe. Adolf von Wilbrandt
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Название: Fridolins heimliche Ehe

Автор: Adolf von Wilbrandt

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ gekommen, seinem brüderlichen Herzen Luft zu machen, einmal alles zu sagen, was er über Fridolins Seelengüte, Opferfreudigkeit, unermüdliche Teilnahme und Fürsorge, über seine eigene Dankbarkeit und stille Rührung auf der Seele hatte; und zugleich dem Bruder die Beleidigungen abzubitten, die ihm heute nachmittag im Eifer des Streits entschlüpft waren. Dies war meine Absicht! dachte er und seufzte. »Ich hab' sie nicht erreicht!« setzte er laut hinzu.

      Der Papagei nebenan hatte dieses Selbstbekenntnis, so gedämpft es gesprochen war, offenbar gehört; denn in seiner sonderbar ironisch klingenden Sprechweise, wie zum Spott, wiederholte er: »Ich hab' sie nicht erreicht!«

      Philipp ging aufgebracht zur Thür und machte sie zu.

      Mit elegisch langsamen Bewegungen wand er sich dann zwischen Flügel und Stehpult, Bücherschrank und Bildermappengestell, Lehnstühlen und Gueridons hindurch, bis er den geschnitzten Renaissancesessel vor dem großen Schreibtisch erreicht hatte; setzte sich, nahm einen Bogen Briefpapier (kleines Format, mit Fridolins Monogramm), seufzte, nahm einen aus Elfenbein geschnitzten Federstiel zur Hand und sing an zu schreiben:

      »Mein lieber Bruder! Ich habe nun also leider aufs neue bewiesen, daß ich Dir zur Last, daß ich in Deinem Hause überflüssig bin. Diesen Beweis, glaube ich, habe ich geliefert. Wenn die Existenz eines verfinsterten, trübsinnigen, durch das Unglück leider nicht veredelten Menschen, der nicht einmal die Gabe hat, in der Form liebenswürdig zu sein, und der durch seine besprochene unglückselige Neigung, sich gegen jeden Widerspruch zu ereifern, allemal zu unbrüderlicher Heftigkeit sich fortreißen läßt, – wenn die Existenz eines solchen Menschen überflüssig ist, so brauchen wir nun wohl jenen Satz nicht mehr zu beweisen. Morgen früh also verlasse ich mit Judica – der die Vorsehung vermutlich aus höheren Erziehungsabsichten so einen Vater geschenkt hat! – Dein gastliches Haus, und kehre mit dem Rest meines Urlaubs in mein ›Nest‹ zurück. Gott lohne Dir – besser, als ich es konnte – all Deine Güte und Liebe; wenn er Dir auch eines Tages durch die Fügung der Weltgeschicke beweisen wird, daß ich recht hatte, und daß die Selbstüberhebung des ideallosen, gewaltthätigen Staats am Felsen der Religion zerscheitern wird.

Dein unglücklicher BruderPhilipp.«

      Er hatte geschrieben und seufzte; dann faltete er den Bogen, siegelte, schrieb die Aufschrift: »An Fridolin«, und wand sich auf dem Wege, auf dem er gekommen war, wieder hinaus.

      II

      Professor Fridolin – diesen Namen, den seine Freunde ihm gegeben, den die Welt sich angeeignet hatte, denke ich ihm zu lassen – Professor Fridolin hatte die Sitte bei sich eingeführt, seine Lieblingsschüler von den drei Akademien, an denen er Kunstgeschichte lehrte, an einem Abend jeder Woche einzuladen und nach den »Gesetzen des Hauses« (wie sie nach und nach durch zahlreiche ungeschriebene Kompromisse mit Frau Ritter festgestellt worden waren) zu bewirten. Doch da er sich im letzten Jahr gewöhnt hatte, mit Vorliebe abends und in die Nacht zu arbeiten, und da er weder dieser Gewohnheit, noch jener geheiligten Sitte entsagen wollte, so hatte er zwischen beiden gleichsam ein Abkommen getroffen: seine Jünger – oder die »Leibschwaben«, wie man sie zu nennen pflegte – fanden ihre Tafel im Papageienzimmer gedeckt, während der Professor in seinem Allerheiligsten saß, studierte und schrieb; es wäre eine Unthat wie Tempelraub gewesen, ihn in diesem Asyl zu stören; aber es war ihr Recht, »mit edler Mäßigung« laut und lustig zu sein, und von Zeit zu Zeit erschien der »Meister« in der Thür, um eines seiner blühenden Scherzworte unter sie zu werfen, oder einen ins Unmögliche hinaufgekletterten ästhetischen Streit durch ein weises Wort auf den Boden der Wirklichkeit zurückzurufen.

      Es waren ihrer fünf, die an diesem Abend – anderthalb Stunden, nachdem der Pastor seinen kummervollen Brief geschrieben hatte – die drei Treppen zu Fridolins »Turmwohnung« erstiegen, unterwegs alle Echos des Treppenhauses durch eine leidenschaftliche Debatte über die Vorzüge der Malerei vor der Skulptur in Aufruhr bringend. Sie klingelten; Frau Ritter selber öffnete ihnen die Thür und lächelte sie an. Es war das angenehme mütterliche Lächeln, mit dem sie jeden (ehemaligen oder gegenwärtigen) Leibschwaben ihres Professors zu begrüßen pflegte; denn wiewohl ihr eigentliches Lebensgefühl das Gefühl der Verehrung für Professor Fridolin war, den sie für den außerordentlichsten aller Menschen hielt, so hatte sie doch zu viel Macht und Würde neben ihm gewonnen, um nicht auf die Jünglinge, denen er geistiger Vater war, mit einem gewissen Mutterblick herabzusehn. Sie hatte überdies drei Säulen, an denen ihr Selbstgefühl sich emporrankte: die Zeit ihrer Mädchenschönheit (o ferne Zeit!), in der sie von Malern und Bildhauern bewundert, und auf geschenkten Parkettsitzen durch Ludwig Devrients »scheniales« Spiel begeistert worden war; und ihre mittelbare Nachkommenschaft, die Kinder ihres »studierten« Bruders: einen Neffen (die zweite Säule) und eine Nichte (die dritte); zwei Menschen, von denen sie so Großes und Hoffnungsvolles zu sagen wußte, daß der Professor sich endlich entschlossen hatte, die Nichte – obwohl noch niemand sie gesehen – als Versuchserzieherin für Judica in sein Haus zu berufen. Seitdem ihr dieser Entschluß in feierlicher Sitzung, nämlich in Gegenwart des Pastors und seiner Tochter, mitgeteilt worden war, hatte Frau Ritters Lächeln, nach der Behauptung der »Leibschwaben«, einen noch mütterlicheren Charakter angenommen; und es erreichte heute den Zenith der Mütterlichkeit, da der Abend gekommen war, an dem diese hoffnungsvolle Nichte das erwartungsvolle Haus betreten sollte.

      »Guten Abend, Tante Ritter!« (niemand von ihnen nannte sie anders) sagte der vorderste der fünf, und hängte seinen Ueberzieher, den er in jugendlicher Ungeduld schon auf der Treppe ausgezogen hatte, an den großen Kleiderriegel, der den Vorplatz verengte. »Ist der Herr Professor schon aus der Vorlesung zurück?«

      »Ich hab' ihn geräuchert,« erwiderte Frau Ritter, »und hab' ihn nachlegen lassen; er ist aber noch nicht zurück.«

      »Sie werden täglich schöner, majestätischer, Tante Ritter!« sagte der zweite, der kleinste, und küßte ihr mit übermütiger Galanterie die Hand.

      Es erfolgte hierauf ein leichter Klaps auf die Hand, mit der er die ihre ergriffen hatte. »Und Sie werden wohl nie was anderes werden, als was Sie sind,« erwiderte Tante Ritter; »und man wird Ihnen höchstens zum Professor der Allotria machen.«

      »Geben Sie uns heute warmen oder kalten Braten, Tante Ritter?« fragte der dritte. »Es ist ja der große Tag, an dem Ihre große Nichte einziehen soll.«

      »Ist sie sehr hübsch, die Nichte?« fragte der zweite wieder, der den Charakter als Don Juan unter den Leibschwaben (sie nannten ihn »Frivolin«) angenommen hatte.

      »Singt sie?« fragte der vierte.

      »Ist ihre Erscheinung mehr malerisch oder mehr plastisch?« fragte der fünfte, und lachte; da er die Eigenschaft vieler Menschen hatte, über seine Witze sogleich nach ihrer Geburt herzlich zu lachen.

      »Wie ist ihre Architektur?« setzte der erste hinzu.

      »Sie sind alle gottloses Volk, und mein kalter Braten verbrennt,« antwortete Frau Ritter; worauf sie mit ihren sanften Schritten vom Vorplatz in die Küche entschwebte.

      Die jungen Männer traten lachend und singend in das Papageienzimmer ein, in dem der Tisch schon gedeckt stand. Der »außerordentliche Professor«, oder »der weise Pittacus« – wie sie diesen psittacus erithacus (rotschwänziger Papagei) umgetauft hatten – saß bewegungslos auf der oberen Stange, hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Aber aus dem Nebenzimmer, dem »Allerheiligsten« Fridolins, ertönte eine Art von Gesang; eine rauhe, kaum mehr melodische Tonfolge, die eine verunglückende Erinnerung an ein bekanntes Schubertsches Lied zu sein schien.

      Die Leibschwaben horchten. »Wäre das Pastor Philippus?« fragte der eine halblaut.

      »Das ist nicht die hohle Grabesstimme des Pastors Philippus,« erwiderte »Frivolin«; »nie singt ein Pastor so falsch. Das ist eine Naturerscheinung, СКАЧАТЬ