Marco nickte.
„Denkst du, dass ich in diese Stadt zurückgekehrt bin um zu leben?“ fragte er. „Wenn ich hätte fliehen wollen, habe ich meine Chance gehabt.“
Zufrieden und von seiner Stärke berührt, ruderte Diedre weiter. Die beiden glitten schweigsam weiter, wichen runterfallendem Schutt aus und näherten sich der Küste.
Endlich bogen sie an einer Ecke ab und entfernt konnte sie den Schuttwall ausmachen. Dort hatte sie ihren Vater zuletzt gesehen – und kurz dahinter sah sie die ganzen schwarzen Schiffe. Sie wusste, dass sich auf der anderen Seite des Trümmerhaufens der Strand befand an dem ihr Vater gegen die Pandesier kämpfte und sie ruderte so schnell sie konnte, Schweiß lief ihr vom Gesicht und sie war besorgt, ob sie ihn rechtzeitig erreichen würden. Sie hörte die Kampfgeräusche, Geräusche von Männern, die ächzten und sie betete, dass es noch nicht zu spät war.
Das Boot hatte noch nicht ganz den Rand des Kanals erreicht, als sie schon hinaussprang. Marco war hinter hier und sie rannten auf die Wand zu. Sie kletterte über massive Felsbrocken, schrammte ihre Ellbogen und Knie auf, aber sie scherte sich nicht darum. Außer Atem kletterte und kletterte sie, sie rutschte über Steine und dachte nur an ihren Vater. Daran, dass sie die andere Seite erreichen musste und sie konnte kaum verstehen, dass die Schutthügel einst die großen Türme von Ur gewesen waren.
Sie sah über ihre Schulter, als sie Schreie hörte. Sie betrachtete die Stadt mit einem umschweifenden Blick von hier oben und war schockiert, als sie die Hälfte der Stadt in Ruinen liegen sah. Gebäude waren zusammengebrochen, Berge aus Schutt lagen auf den Straßen, die Luft war von riesigen Staubwolken erfüllt. Sie sah die Menschen Urs in jede Richtung um ihre Leben rennen.
Sie drehte sich herum und kletterte weiter, ging in die andere Richtung aus der die Menschen kamen, denn sie wollte den Kampf willkommen heißen – und nicht davor wegrennen. Sie erreichte endlich den Gipfel des Steinhaufens und als sie hinaus spähte blieb ihr Herz stehen. Sie stand da, wie erstarrt und war nicht in der Lage sich zu bewegen. Das hatte sie überhaupt nicht erwartet.
Diedre hatte erwartet, dass unten ein großer Kampf tobte und sie ihren Vater mutig mit all seinen Männern um ihn herum kämpfen sehen würde. Sie hatte erwartet da hinunter zu rennen und ihn zu begleiten, ihn zu retten und an seiner Seite zu kämpfen.
Aber im Gegenteil, nachdem sie das alles gesehen hatte, wollte sie sich nur noch zusammenrollen und sterben.
Da lag ihr Vater, mit dem Gesicht nach unten, im Sand, bedeckt von einer Blutlache. Er hatte ein Beil im Rücken.
Tot.
Um ihn herum lagen dutzende von Soldaten, auch sie waren alle tot. Tausende von pandesischen Soldaten liefen aus den Schiffen, wie Ameisen verteilten sie sich und bedeckten den kompletten Strand. Sie stachen auf jeden Körper ein, um sicherzustellen, dass er auch wirklich tot war. Einige gingen auf den Körper ihres Vaters zu, andere näherten sich dem Schutthaufen und kamen genau in ihre Richtung.
Diedre sah nach unten und hörte ein Geräusch. Einige Pandesier hatten den Schuttwall bereits erreicht und waren dabei die Felsen hochzuklettern. Sie waren noch zehn Meter entfernt und kamen direkt in ihre Richtung.
Diedre war von Verzweiflung, Angst und Wut erfüllt. Sie trat nach vorne und schleuderte ihren Speer auf den ersten Pandesier, den sie hochklettern sah. Er sah nach oben und war offensichtlich nicht darauf vorbereitet gewesen jemanden oben auf der Mauer zu sehen, jemanden der verrückt genug war sich einer einfallenden Armee zu stellen. Diedres Speer durchbohrte seine Brust. Er fiel die Felsen hinab und nahm einige Soldaten auf dem Weg mit sich.
Die anderen Soldaten versammelten sich und ein Dutzend von ihnen erhoben ihre Speere und warfen sie in ihre Richtung. Es passierte zu schnell und Diedre stand dort wehrlos, sie wollte durchbohrt werden, sie war bereit zu sterben. Sie war zu spät gekommen – ihr Vater lag tot dort unten und sie wollte nun, übermannt von Schuld, mit ihm sterben.
„Diedre!“ schrie eine Stimme.
Diedre hörte Marco neben sich und einen Moment später spürte sie, wie er sie packte und sie nach unten auf die andere Seite des Schuttberges zog. Speere zischten an ihrem Kopf vorbei, genau dort, wo sie gestanden hatte und verpassten sie nur um Millimeter. Sie taumelte nach hinten, und stolperte mit Marco den Schuttberg hinab.
Sie fühlte einen schrecklichen Schmerz, als die beiden kopfüber nach unten purzelten, die Steine zertrümmerten ihre Rippen und zerkratzten ihren gesamten Körper, dann schlugen sie endlich auf dem Boden auf.
Diedre lag dort für einen Moment und hatte Mühe zu atmen. Der Wind war ihr aus den Segeln genommen worden und sie fragte sich, ob sie tot sei. Sie realisierte schwach, dass ihr Marco gerade das Leben gerettet hatte.
Marco erholte sich schnell, ergriff sie und zog sie nach oben auf die Füße. Sie rannten gemeinsam stolpernd vorwärts. Ihr Körper schmerzte. Sie liefen von der Schuttwand weg und zurück in die Straßen von Ur.
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