Название: Das letzte Märchen
Автор: Paul Keller
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
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Der Freund erbarmte sich meines Zustandes. Er brachte ein Leinentuch, tauchte es ins Wasser und legte es mir auf die Stirn. Dabei sprach er:
»Staunen ist ungesund! Dieses Tuch ist ein Wundertuch. Eine alte Waldhexe hat es gesponnen. Sie war ihr ganzes Leben lang als Dienstmagd in vornehmen Häusern, bei Königen, Grafen, Gelehrten und Künstlern. Das Staunen machte sie krank. Als sie aber älter wurde, verlernte sie das Staunen; sie verkroch sich in einm öden Wald, fing an zu lachen, laut und grimmig zu lachen, jahrelang zu lachen, und als sie sich endlich ausgelacht hatte, spann sie dieses Tuch. Wer es ins Wasser taucht und es sich auf die Stirn legt, der wird vom Staunen kuriert.«
Ich dachte über diese kleine Geschichte nach, während das kühle Tuch um meine Schläfe lag, und es wurde mir leicht und fröhlich dabei. Die Hexe hatte gut gesponnen.
Die Kur war für mich notwendig, denn bald darauf führte mich Herr von Stimpekrex nach dem Königspalast, da ich bei der Neujahrs-Gratulationscour Sr. Majestät vorgestellt werden sollte. Und es ereignete sich, daß ich über der Wunderpracht, die sich vor mir auftat, nicht närrisch wurde. Ja, als mir Herr von Stimpekrex erklärte, selbst die Wände seien aus massivem, l4karätigem Gold, machte ich ein ungläubiges Gesicht, und erst als er mir mitteilte, gleich links unten neben dem Eingang sei der Goldstempel, glaubte ich es.
In dem großen Warteraum, in dem wir standen, waren nur Herren zugegen; die Damen hatten eine besondere Anticamera. Herren in allen Lebensaltern und in sehr bunten Gewandungen, obwohl eigentliche . Uniformen selten waren, vorherrschend war der lange, bis an die Waden reichende, von einem Gürtel um die Hüften zusammengehaltene Staatsrock aus Sammet. Ich trug auch einen solchen Rock, und zwar von blauer Farbe. Alle Gelehrten von Beruf in Herididasufoturanien tragen sich blau, und ein Zeitungsredakteur ist dort unten auch ein Gelehrter von Beruf. Herr von Stimpekrex gab mir leise einige Erklärungen:
»Passen Sie auf die Farben auf, die Farben sind wichtig: Hofleute grün, Gelehrte blau, Geistliche braun, Juristen rot, Künstler weiß, Ärzte schwarz, Parlamentarier scheckig.«
»Warum sind die Ärzte schwarz?« fragte ich.
»Strafbestimmung aus alter Zeit! Früher mußten sie auch noch einen Totenkopf als Kokarde tragen. Das ist aber durch einen Gnadenakt neuerdings aufgehoben. Die Kerls hatten mal bei einer Epidemie eine falsche Diagnose gestellt, da ist eine ganze Provinz ausgestorben. Sehen Sie, da kommt schon einer auf uns zu, der ist mein Onkel.«
Ein Schwarzer schob sich an uns heran. Ein kleines Männlein mit einem verrunzelten, verschobenen, verschrobenen, zerstobenen Gesicht, in dem eine sanftrote Nase glänzte.
»Dr. Schnugu,« stellte er sich vor, »Waldarzt!«
»Hofarzt,« verbesserte Stimpekrex.
»Waldarzt,« wiederholte Dr. Schnugu grimmig. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Herr, denn ich hoffe, daß Sie das Volk über gesundheitliche Fragen aufklären werden.«
»Jawohl,« fiel Stimpekrex höhnisch ein, »er wird einen Leitartikel gegen die Ärzte schreiben.«
Dr. Schnugus Gesicht verschob und verschrob sich noch mehr, und seine Nase glimmte auf.
»Mein lieber Neffe,« sagte er, »gegen die Reserveleutnants etwas zu schreiben, ist allerdings nicht erst nötig. Hab die Ehre! Mein Herr, ich werde Sie zu sprechen suchen, wenn dieser – dieser unreife Mensch nicht bei Ihnen ist.«
Und er stampfte von dannen. Stimpekrex lachte ihm nach.
»Mein lieber Onkel! Wir müssen ihn besuchen, wir müssen ihn bestimmt besuchen, denn ich sage Ihnen, er ist ein Unikum.«
Ein steinaltes Männlein trat vor mich und legte mir die Hand auf den Arm. Ganz gebückt stützte es sich auf einen Stock mit silbernem Knauf und versuchte, die roten, blöden Äuglein zu mir aufzuheben.
»Ähähä, ähähä!« begann das Männlein mit meckriger Stimme, »der Fremde! Der fremde junge Herr von droben! Kenne die Menschen, – o ja, kenne sie! Da muß ich Ihnen was erzählen. Also wir waren doch damals droben – Erz hacken, – ja, wir sieben, – und als wir heimkamen, – ich spürte es ja gleich, daß jemand aus meinem Becherlein getrunken hatte, – ja, und die anderen schrien, daß eine Dälle in ihrem Bettchen wäre. Ähähä, zum Lachen! Eine Dälle! In meinem Bettchen war eine sehr große Dälle. Da lag sie selbst! O, Gott, ein schönes Mädchen! Ein liebes Mädchen! Gerade in meinem Bettchen! Das paßte ihr. Na, also schlief ich bei den anderen und –«
Hier benutzte ich ein Gedränge, um von dem Alten, den ich für blödsinnig hielt, loszukommen. Herr von Stimpekrex lachte.
»Also sie kneifen auch schon aus? Schon beim ersten Male? Und ich hab' die Geschichte schon hundertmal anhören müssen, wirklich, schon hundertmal.«
»Erbarmen Sie sich,« sagte ich, »und erklären Sie mir wenigstens, was eine Dälle ist.«
»Eine Dälle ist eine Grube die man in ein Federbett gedrückt hat. Und der Alte ist das siebente Zwerglein, in dessen Bettchen vor uralter Zeit das Schneewittchen geschlafen hat.«
»Aaaah! Sie hat aus seinem Becherlein getrunken und in seinem Bettchen geschlafen?«
»So ist es! Aus seinem ganzen langen Leben hat er sich nur dieses eine Abenteuer gemerkt, alles andere hat er vergessen. Aber vom Schneewittchen erzählt er jedem zehnmal, hundertmal, kurz, solange, bis der andere ausreißt.«
»Er ist wohl sehr alt?«
»O, Genaues weiß man nicht; aber sein Milliönchen hat er auf dem Rücken.«
»Was heißt das: sein Milliönchen?«
»Nun, eine Million Jahre! So alt ist er mindestens."
»Doch nicht eine Million Erdenjahre?«
»Sicher! Allerdings nach dem Julianischen Kalender gerechnet.«
Ich bekam einen sanften Ohnmachtsanfall. Mein Freund sah mich ernst an.
»Ja, wir sind nicht wie die Menschen, die schnell wachsen und aufblühen, aber noch schneller welken als die Bäume des Waldes, wir entwickeln uns langsam, aber wir dauern lange. Auch ich werde am nächsten l7. August schon 2467 und bin doch noch ein blutjunger Mann.«
Wir standen in einer Fensternische. Ich sehnte mich nach dem Tuch der Hexe. Ein paar Fliegen spielten hinter uns am grünen Fensterglas.
»Denke dir,« summte die eine, »Schnurr ist gestorben.«
»Laß ihn gestorben sein,« brummte die andere, »er war ja schon 5½ Tag alt.«
»Haben Sie gehört?« fragte Stimpekrex lächelnd. »Gegen diese Fliegen haben Sie Ihr Milliönchen auf dem Rücken. Und es sind doch auch Lebewesen.«
Ein Gescheckter trat an mich heran, ein großer, kräftiger Mann mit einem stattlichen Vollbart. ,
»Gestatten, daß ich mich vorstelle: Dr.Nein! M.d.R.«
»Dr. Barragu, Chefredakteur!«
»Geben Sie mir die Hand, Verehrtester! Ich freue mich, daß Sie da sind! Das hat Brust gekostet! Seit 279 СКАЧАТЬ