Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
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Читать онлайн книгу Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias Gotthelf страница 10

СКАЧАТЬ Manne vergaß ich die Hülfe mein Lebtag nicht. Wie er auch sein mochte, ich behielt ihn lieb; und diese Liebe trug das Meiste dazu bei, mich zum Schulmeister zu machen. Er nahm mich bei der Hand und versicherte mich, daß wir den Ätti schon finden wollten. Ich wußte ihm aber gar nichts zu sagen, wo ich ihn gelassen, bloß daß er Anken feil gehalten. Dort sei er längst nicht mehr, sagte der Schulherr; es sei schon 1 Uhr. Drei Stunden waren mir entschwunden in Wonne und Entsetzen. So nahe beisammen ist oft das Entgegengesetzte. Ein Glück, wenn solche Zustände nur drei Stunden dauern. Im Stübli, wo er sein Garn hatte und das der Schulmeister wohl kannte, suchten wir ihn, fanden ihn aber nicht, sondern nur den Bescheid, daß er außer Atem da gewesen, nach mir gefragt und wieder fortgelaufen wäre. Wir gingen durch mehrere Straßen — wir fanden ihn nicht. Da erklärte mein Begleiter: es sei doch dumm, so einander nachzulaufen, so finde man sich nicht. Zudem sei es durstig Wetter, darum wollten wir ins Stübli gehen; dorthin käme der Vater allweg und man könne doch dabei rüihig warten. Als wir dorthin kamen, stunden wir vor der Thüre still und sahen nach allen Ecken hin. Da sah ich aus einer hervorschimmern die ausgewässerte weißlichelbe Kutte des Vaters, und wie er hastig und die Hände verwerfend daher schoß. Wie ich da aufjauchzte und ihm entgegen schoß! Und wie der Ätti mich empfing und mir Donnersbueb sagte und bei den Haaren nehmen wollte! Und wie ich von neuem zitterte und weinte und der Schreck mir in alle Glieder schoß, daß sie bleiern wurden und fast steif! So hatte der Ätti mich nie angeredet, mir nie begegnet; das werde ich nie vergessen. So war das Wiederfinden. Begreift ihr es, Leute? Ein erwachsener Mensch will nichts Unangenehmes empfinden, und, wenn er es empfindet, nie Schuld daran sein, sondern das Kind soll zu dem bereits Erlittenen noch Strafe tragen für fremde Schuld. So geschieht es zu tausend Malen, so geschah es auch jetzt.

      Mein Vater hatte gewiß Schrecken und Angst empfunden so gut als ich, hatte Stunden lang mich in Angstschweiß gesucht. Die Angst wurde ihm unbewußt zum Zorn gegen den Buben, der ihm die Not verursachte, und Zornesausbrüche bewillkommten mich statt Zeichen der Freude. Wer war aber eigentlich an allem Schuld, als der Vater, der nicht daran dachte, daß ich noch nicht siebenjährig, nie hier, nie auf einem Märit gewesen; der nicht mehr der Eindrücke sich bewußt war, die ein Kinderherz empfangen mußte, der nicht merkte, daß es notwendig ohne ein Wunder so gehen mußte? So gedachte mein Vater auch durchaus nicht an den Eindruck, den sein Benehmen auf mich machen mußte, nicht wie er mit roher Hand die ganze Märitfreude mir zerdrückte und noch manches andere mit. Freilich kam mein Vater bald wieder zu sich. Als er meine Thränen sah, ward er sogar weichherzig. Im Stübli ließ er aufstellen und nötigte mich zu essen und zu trinken. Bratwürste ließ er kommen und befahl vom Bessern. Allein mir ward nicht mehr wohl; ich schnüpfte fort und fort. Um mich zu trösten und seinen Fehler gut zu machen, schenkte er mir um so fleißiger ein, versprach mir noch Kram und sagte alle Augenblicke: »Plär nit, Bueb, mr wey de no uf e Märit ga chrame!« Allein ich begehrte nicht mehr hin; der Kopf that mir nach und nach so weh, that mir so weh von Wein und Weinen, daß ich nicht mehr aufsehen konnte. Ich wollte fort, ging aber so mühselig und klagte so nötlich, ich möge nicht mehr laufen, daß der Vater froh war, als er mich unserm Müller aufladen konnte. Auf dessen Wagen schlief ich bald ein, und erwachte erst wieder, als man mich vom Wagen nahm. So endigte dieser langersehnte Freudentag mit Not und Leiden und ich begehrte nachher nicht wieder z‘Märit und noch lange träumte es mir, ich sei verloren und der Vater nehme mich beim Haar und dann schrie ich so wehlich auf, daß der Vater aufstehen und mich trösten mußte.

      Viertes Kapitel. Wie ich um mein Kronprinzentum komme

      Nach mir hatte die Mutter noch zwei Mädchen geboren, die ganz munter aufwuchsen. Wenn andern Leuten Kinder starben, so jammerten die Eltern oft, sie seien die ugfälligste Hüng, ihnen sterbe nie kees. Meine Mutter gebar zum sechtenmale, und das Kind war ein Sohn, und es starb wieder nicht. Eine Kindbetti im Hause war eine so gewöhnliche Sache, daß man sich derselben wenig achtete; nur die Schwestern fingen an zu muckeln: Die Mutter könnte das afe bleiben lassen, das trag nüt ab; so kleine Kröten seien einem nur zur Plag und zu erben werde es am Ende wenig geben. Zwei Tage blieb die Mutter im Bette; dann fing der Vater zu fragen an, wo es ihr fehle, daß sie noch nicht auf möge. Dann zwängte sie sich auf und fing wieder an, die Haushaltung zu machen. Sie mußte zwar alle Augenblicke absitzen, und klagte sich bald hie bald da. Dann meinte der Vater, es werd schon bessern, und gab 6 Fr. um ein weißes Brötlein zu holen; das solle sie einstweilen brauchen und etwa auch ein Süppli kochen. So bald möglich ging daher die Mutter in die Kirche, weil sie dabei einen Schoppen warmen Wein trinken durfte im Wirtshause, ohne daß der Vater balgete. Auch mit der Kindstaufe pressierte sie gar sehr und das aus folgenden Gründen. Das weiße Brötchen hielt natürlich nicht lange an; die Mutter blangete auf die Gaben guter Leute, die man nach Landessitte einer Kindbetterin bringt, aber erst nach der Taufe. Es heißt, wenn man sie vorher bringe, so sei das ein Zeichen, daß man zu Gevatter wünsche gebeten zu werden. So aufdringlich will man also nicht sein. Es ist aber im Grunde mehr die Angst, zu Gevatter gebeten zu werden, welche abhält, sich zu zeigen; denn eine solche Gevatterschaft zieht gar bedeutende Kosten nach sich. Einbund, Kinderkleidchen, Geschenke an die Wöchnerin, dann an manchen Orten das sogenannte große Gutjahr, die ersten Hosen oder der erste Kittel und alle Jahre etwas, an manchen Orten bis man verheiratet ist; dann die Ansprüche armer Eltern, das ganze Jahr durch, die das Recht zu haben glauben, bei den Gevatterleuten zuerst anzuklopfen in jeder Bedrängnis; und manchmal, wenn die Eltern sterben, die ganze Erziehung eines Kindes, das man zu den Seinigen ins Haus nimmt, das sind die Folgen einer Gevatterschaft auf dem Lande. Das ist schon bedeutend, aber die Menge bringt erst die Strenge. Man macht sich in der Stadt gar keine Vorstellung davon, wie oft die sogenannten guten Häuser von den wildfremdesten Leuten in Anspruch genommen werden. Es gibt Häuser, und nicht wenige, wo ordentlich über die Gevatterkinder Buch geführt werden muß und wo ihre Zahl über 100 ansteigt. Ja, ich kannte eine Person, welcher diese einzige Ausgabe jährlich den ganzen Zins einer verpachteten Schmiede wegnahm, (und) der, wenn ich nicht irre, 240 Kronen betrug. Das ist eine indirekte Steuer, die auf den Reichen des Landes lastet, die man nicht beachtet. Zuweilen geschieht es allerdings, daß irgend ein heiratssüchtiges Töchterlein an dunklem Abend mit einer Züpfe unter der Scheuben vor der Taufe anrückt und zu verstehen gibt, sie wäre gern Gatte, aber mit dem und dem; oder daß eine kupplerische Mutter eine Maß Wein bringt und dabei verdeutet, ihr Sohn wolle Götti sein, aber jenes reiche Mädchen müßten sie zur Gotte nehmen; oder daß man eine Mittelsperson dazu braucht, um armen Leuten den Verstand zu machen, wen sie zusammen bitten sollten. Zuweilen kömmt dieses armen Leuten selbst in Sinn, und sie benutzen die Taufe, um junge Leute zusammen zu bringen, in der Hoffnung, man schlage ihr Gesuch um so weniger ab, wenn man höre, wer auch noch da sein werde. Das hat mich als Schulmeister tausendmal geärgert, wenn ich die heilige Taufe zu solchen Kupplereien mißbraucht sah; wenn ich sah, wie die jungen Leute gar nicht daran dachten, wo sie stunden, und wie wichtig das sei, welches sie hier vor dem Herrn versprechen müßten, sondern wie sie nur dachten, daß sie des Nachts bei einander liegen könnten, oder wie ein schnippisches Mädchen Pläne machte, wie es den gegenüberstehenden Götti am besten zum Narren halten könnte.

      Meine Mutter pressierte also mit der Taufe, um die Geschenke der guten Leute und die der Gevatterschaft, so wie die Maß Wein und das Stücklein Fleisch, welches der Vater vom Kindstaufschmaus heimbrachte, bald zu erhalten und sie zu ihrer Stärkung zu benutzen. Das wirkte aber wenig, weil ihr die gehörige Ruhe fehlte und sie zu früh wieder alles machen mußte. Ich bin überzeugt, eine Menge Weiber verwittern und verfallen vor der Zeit an diesem Mangel an Schonung und Ruhe in den Kindbetten.

      Mein Vater hielt den Kindstaufschmaus im Wirtshause; er sagte, man sei zu Hause nicht dafür eingerichtet; der eigentliche Grund war aber, daß er glaubte wohlfeiler davon zu kommen. Zu Hause hätten die Frau und die Kinder auch mitessen müssen; im Wirtshause waren die nicht, und manchmal zahlten die Gevattersleute noch die Üerti ganz oder zum Teil. Der Frau schickte er das Kind aus der Kirche alsobald heim, so daß nicht begegnen konnte, was zu R. einmal sich zutrug. Dort saßen Mann und Weib mit den Gästen lustig am Tisch; auf dem Ofen eingepackt lag das Kind und war endlich nach langem Schreien eingeschlafen. Als es bald Mitternacht schlug, die Flaschen leer, die Köpfe schwer waren, brach man auf und das Ehepaar wanderte wohlgemut und singend von dannen und vergaß sein Kind. Als die Wirtin abräumte, СКАЧАТЬ