Die Verstümmelten. Hermann Ungar
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Читать онлайн книгу Die Verstümmelten - Hermann Ungar страница 7

Название: Die Verstümmelten

Автор: Hermann Ungar

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ eng aneinanderrücken. Die Unterhaltung war laut. Als sich Polzer im Saal umsah, bemerkte er, daß der junge Mann, der in der Bank am Tisch ihm gegenüber arbeitete, am Fenster saß und ihm zulächelte. Polzer beschloß, das Café sofort zu verlassen, und erhob sich. Frau Porges legte ihre Hand auf die seine und sah ihn bittend an. Der junge Mann hatte es bemerkt und nickte Polzer zu. Alle sprachen auf Polzer ein, ihn zum Bleiben zu bewegen. Eine dicke Frau am Nebentisch beobachtete die aufgeregte Szene durch das Lorgnon. Polzer kannte sie. Ihr Gatte war Professor am Weinberger Gymnasium. Polzer setzte sich hilflos.

      Polzers Nachbar, ein vornehm gekleideter junger Arzt, wandte sich an ihn:

      »Sie sind zu beneiden! Was für eine schöne Frau Sie haben!«

      Er sprach leise und langsam. Wenn er lächelte, zeigten sich unter dem dichten schwarzen Schnurrbart blendend weiße Zähne.

      Polzer wandte sich ihm zu. Er wollte ihn in passenden Worten aufklären. Aber Frau Porges hatte gehört, was der Doktor gesagt hatte.

      Sie begann laut zu lachen.

      »Wenn Sie wüßten, Herr Doktor,« sagte sie, »wenn Sie wüßten!«

      Sie sah Polzer an und lachte ununterbrochen. Alle begannen mitzulachen und Polzer anzusehen. Bloß der Doktor lachte nicht.

      Polzer bemerkte, daß sein Tisch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden errege. Seine Bestürzung war groß. Frau Porges rannen Tränen über die Wangen. Sie trocknete sie mit einem Taschentuch.

      »Ach Polzer, Polzer,« sagte sie.

      Das erhöhte Polzers Fassungslosigkeit. Noch nie hatte sie ihn einfach Polzer genannt. Ihm schien, als ob sie ihn demütigen wolle. Er bemerkte, daß der lange Student ihren Handrücken streichelte, und wollte etwas sagen. Der junge Mann aus der Bank hatte sich erhoben und nickte Polzer lachend zu. Frau Porges nahm ihre Hand unter den Tisch; die Hand des Studenten folgte. Frau Porges‘ Bluse hatte sich verschoben. Franz Polzer sah erschrocken im Ausschnitt den Ansatz ihrer Brust sich bewegen. Der junge Mann verschwand in der Tür. Polzer hatte seinen Gruß nicht erwidert. Ihm nachzueilen war zu spät. Schon mußte er unter den vielen Menschen auf der Straße verschwunden sein.

      Frau Porges sprach leise zu ihrem Nachbar. In dieser Nacht beunruhigte Polzer der Gedanke, der junge Wodak konnte in der Bank Bemerkungen über die Begegnung im Cafe machen. Polzer wußte nicht, wie er dem begegnen sollte. Eine Darstellung seines Verhältnisses zu der Witwe, das der Wahrheit nicht entsprach, konnte seine Stellung untergraben.

      Als Polzer am Morgen an seinen Platz trat, saß der junge Wodak schon da. Er lächelte. Polzer erwartete Wodaks Angriff und seine eigene maßlose Demütigung. Allein Wodak sagte nichts. Sein Benehmen schien Polzer vielmehr höflicher und zuvorkommender als sonst. Polzer beruhigte sich. Er dachte nicht, daß Wodak einen besonderen Plan bereit habe, ihn zu beschämen.

      Das war am Montag. Am Ende dieser Woche trat ein Ereignis ein, das Polzers Leben von Grund aus veränderte. Dieses Ereignis war für Polzer mit seinem Hut verknüpft.

      4. Kapitel

      Es war ein harter Hut, schwarz, mit einem ebensolchen Band. Seine Krempe war schmal und gerade, sein Kopf hoch. An beiden Seiten befanden sich je zwei kleine Luftlöcher.

      Polzer schien dieser Hut nie besonders merkwürdig, wenn auch die Krempe kaum einen Finger breit war. Auch später und selbst bei genauer Überlegung konnte Polzer nichts Sonderbares an ihm finden. Polzer blieb vor den Auslagen der Hutgeschäfte stehen. Er sah Hüte mit breiteren Krempen und niedrigeren Köpfen. Er beobachtete die Vorübergehenden und sah breitkrempige und schmalkrempige Hüte. Hüte mit hohem und Hüte mit niedrigem Kopf. Er begegnete Leuten, deren Hüte spitz zuliefen und von zwei Streifen in anderer Farbe quer überzogen waren. Solche Hüte schienen ihm besonders. Auffallend war ihm auch, daß sich die Hüte der Fremden von denen der Einheimischen unterschieden. Nach einiger Zeit erkannte Polzer jeden Fremden sofort an seinem Hut. Diese Hüte glichen einander. Nur in den Farben unterschieden sie sich. Doch waren sie fast durchwegs schwarz oder grau. Die Krempen waren stets gleich breit und die Köpfe gleich hoch. Zudem sahen diese Hüte immer neu aus.

      Am Samstag dieser Woche trug Polzer den schwarzen Hut. Er eilte aus der Bank nach Hause. Es war sieben Uhr abends. Die Straßen waren voll von verspäteten Käufern und heimkehrenden Angestellten. Die Luft war erfüllt vom Lärm der herabgleitenden Rolläden und den Glockenzeichen der überfüllten Straßenbahnen. Polzer bog vom Wenzelsplatz in die Wassergasse ein und überholte zwei halberwachsene Mädchen.

      Er hatte kaum einige Schritte weiter gemacht, als er das laute Lachen der Mädchen hörte. Er wandte sich um. Er wußte nicht, daß das Lachen ihm galt. Er begriff es, als er den lachenden Mädchen ins Gesicht sah. Ihre Augen hingen an seinem Hut. Polzer fürchtete, daß vielleicht ein Vogel seinen Hut beschmutzt habe. Er zog ihn erschrocken vom Kopf. Er drehte ihn in der Hand und untersuchte ihn gründlich. Die Mädchen hatten sich genähert. Sie lachten laut. Leute sammelten sich um Polzer. Er stand barhaupt in der Mitte. Immer neue Leute kamen. Es war die belebteste Straßenecke. Man bemerkte die Ansammlung aus der elektrischen Straßenbahn. Polzer sah hinter den Glasscheiben alle Gesichter sich zugewandt. Ringsum lächelten die Leute. Alle sahen ihn an. Polzer setzte den Hut wieder auf den Kopf.

      Die Eltern der beiden Mädchen waren herangekommen. Sie waren groß und dick. Der Vater hatte einen dunklen weichen Hut mit Gemsbart. Es waren Fremde. Polzer wollte gehen. Die Mädchen sprangen ihm nach. Er wandte sich um und stand ihnen knapp gegenüber. Sie hielten einander an den Händen und lachten. Sie trugen schwarze Lackhüte mit mehrfarbigen Bändern. Polzers Ratlosigkeit ermutigte sie.

      »O Gott, o Gott,« rief die eine, »wo haben Sie diesen Hut geerbt?«

      Polzer errötete. Denn tatsächlich stammte der Hut aus der Verlassenschaft des Herrn Porges. Frau Porges hatte ihn für Polzers Kopfform umarbeiten lassen.

      »Was ist das für ein Stück,« sagte der Vater und lachte. »Was verlangen Sie? Ich bin Käufer.«

      »Ich bin Beamter einer Bank,« erwiderte Franz Polzer beschämt.

      Die Mädchen waren weiter gegangen und die Leute um Polzer verliefen sich. Polzer nahm den Hut unter den Arm und eilte nach Hause.

      Er trat in sein Zimmer und legte den Hut auf den Tisch. Er betrachtete ihn genau. Er sah, daß im Leder an seiner Innenwand die Buchstaben G. P. angebracht waren. Herr Porges hatte Gottlieb geheißen. Bisher hatte Polzer diese Buchstaben nicht bemerkt. Er empfand die Demütigung auf der Straße, die ihn schmachvoll den Blicken aller Passanten ausgesetzt hatte, als Niedertracht des Verstorbenen und seiner Witwe Klara, die ihn erniedrigen wollten. Der böse Blick von Frau Porges fiel ihm ein. Zugleich ward ihm klar, daß sie, die ihn den Augen der Passanten von allen Seiten hilflos ausgeliefert und preisgegeben hatte, ihre Drohung, ihm das Zimmer zu entziehen, wahrmachen könnte. Er entfernte die beiden Buchstaben aus dem Hutleder und legte sie neben den Hut auf den Tisch.

      Als Frau Porges eintrat, bemerkte sie den Hut sogleich. Auch die Buchstaben sah sie. Sie blickte Polzer fragend an.

      Polzer sagte ruhig:

      »Ich werde den Hut nicht mehr tragen, Frau Porges.«

      »So? Einen noch so guten Hut? Der selige Porges hat ihn lange besessen und so selten getragen. Er war fast immer zu Bett.«

      »Ich lehne es ab, Frau Porges,« sagte Polzer.

      »Was lehnen Sie ab?«

      »Den Hut Ihres verstorbenen Mannes zu tragen, Frau СКАЧАТЬ