Münchhausen. Karl Immermann
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Название: Münchhausen

Автор: Karl Immermann

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ das Fräulein und der Schulmeister ihre seltsam-abgeschiedenen Tage hin. Eines Abends sagte der Schloßherr zu seinem Schützlinge: »Ihr seid jetzt weit ruhiger und gleichmütiger, Herr Agesilaus, als vor Zeiten, wo es Euch doch im Grunde besser ging, als jetzunder. Damals konntet Ihr streckenlang sehr mürrisch und verdrießlich sein.«

      »Mürrisch und verdrießlich nun wohl nicht, mein Gönner«, versetzte der Schulmeister, »aber tiefsinnig und melancholisch. Wenn ich so meine schmutzigen Jungen in einem fort buchstabieren ließ, eine Woche nach der andern, einen Monat nach dem andern, und sich das ohne Resultate fortsetzte, diejenigen, welche lesen gelernt hatten, die Schule verließen, und frische Rangen, die noch nichts wußten, wieder hineinkamen, und immer, immerdar wieder von vorn dasselbe angefangen werden mußte, da konnte mir das ganze Leben zuletzt völlig dünn und unzusammenhängend vorkommen, und es gab Nächte, worin mir träumte, das menschliche Dasein sei nur ein langes, leeres ABC, von dem die Buchstaben XYZ in der Ewigkeit ständen, und aus welchem nie ein verständiger Satz, ja nur ein sinnvolles Wort würde. Wollte ich mir dann zu meinem Troste sagen, ich sei eben nur ein armer Dorfschulmeister, die Trübe dieser Meinung entspringe aus meiner gedrückten Lage, und glücklichere Menschen, wie hohe Obrigkeiten oder gar durchlauchtige Potentaten seien wohl in dem Falle, ihrer Existenz einen Zusammenhang zu geben, so war die Beschwichtigung doch nicht lange stichhaltend. Denn ich mußte erwägen, daß das Regieren über Land und Leute doch auch nur so ein ödes, langwieriges Buchstabieren sei, und daß, wenn man es an irgendeinem Zipfel zum Lesenlernen gebracht habe, dieser verschwinde, und an der andern Seite ein neues Fibelschützenwesen zu stammeln beginne. Aber seit ich meine Ahnen kenne, seit ich weiß, welche herrliche Erinnerungen in mir sich fortsetzen, und durch mich lebendig zu erhalten sind, ist alles in mir Ruhe und Freudigkeit, haben sich die Bestandteile des Lebens im Kreise um mich her gestellt, kurz, ich bin zur Klarheit und zum Bewußtsein durchgedrungen.«

      »Sonderbar!« rief der alte Baron vor sich hin, als der Schulmeister nach dieser Äußerung fortgegangen war. »Wie es scheint, muß der Mensch immer einen Sparren haben, um recht zusammenzuhalten. Die Vernunft ist wie reines Gold, zu weich, um Façon anzunehmen; es muß ein tüchtig Stück Kupfer, so eine Portion Verrücktheit darunter getan werden, dann ist dem Menschen erst wohl, dann macht er Figur und steht seinen Mann. Was für ein Gimpel war der Schulmeister sonst, und wie gescheit spricht er jetzt, seitdem es bei ihm rappelt. Das Leben ist doch ein kurioses Ding, und wäre ich nicht geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio, so könnte mir auch vor mir bange werden. Aber da ich der bin, so muß ich natürlich meinen vollen Verstand besitzen.«

      Siebentes Kapitel

Der Freiherr von Münchhausen wird auf den Boden dieser Geschichten geschleudert

      Die blonde Lisbeth war in das Gebirge gegangen, Zinsenrückstände von den Bauern einzutreiben. Sie hatte dieselben zufällig in einem alten vergeßnen Rentenregister, welches unter anderem Gerüll in einer Polterkammer lag, verzeichnet gefunden. Ihr Pflegevater war ängstlich gewesen, das Kind so allein in das Gebirge ziehen zu lassen, sie aber hatte mutig geantwortet: »Wer wird mir etwas tun? Ich schaff‘ das Geld!« hatte sich an des Schulmeisters Eurotas einen Weidenstecken geschnitten, ein Reisetäschchen voll der nötigsten Wäsche umgehängt, Schnürstiefelchen angezogen, einen Strohhut verwegen auf das kecke Häuptlein gesetzt, und war so fürbaß gewandert.

      Während ihrer Abwesenheit gingen die drei Zurückgelassenen, der Baron, das Fräulein und der Schulmeister eines Nachmittags in dem verwilderten französischen Garten spazieren. Sie verkehrten aber nicht miteinander, wie dies meistens bei solchen Gartenwanderungen zu geschehen pflegte, sondern hingen in verschiedenen Wegen und Stegen ihren eigenen Gedanken nach. Die Pfade um das Schloß her waren fast überall von Dornen versperrt, oder durch sumpfiges Erdreich feucht, der trockne Sand, welcher die Gartenstege noch immer einigermaßen bedeckte, verdiente daher ohne Zweifel den Vorzug, wenn man lustwandeln wollte. Damit aber diese gemeinsame Erholung einem jeden seine völlige Freiheit lasse, und der Stoff der Gespräche nicht zu verschwenderisch eingezehrt werde, hatte der alte Baron für die Gartenerholung Aufhebung des geselligen Verkehrs als Regel festgesetzt. Sollte eine Ausnahme eintreten, und Gespräch herrschen, so war von ihm ein untrüglich andeutendes Zeichen erfunden worden. Er schrieb nämlich an solchen Tagen einem Genius von Sandstein, der, den Finger auf dem Munde, vor einer kleinen düsteren Laube stand, und zu den noch am besten erhaltenen Kunstwerken des Gartens gehörte, mit Kreide das Wort: »Colloquium« auf die Brust; eines von den wenigen lateinischen Wörtern, deren er sich noch aus seinem Jugendunterricht erinnerte. So wie daher jemand von der täglichen Gesellschaft in den Garten trat, sah er nur nach der Brust des Genius, und schwieg oder redete, je nachdem die Meinung des Schloßherrn lautete, denn, in so großer Armut er sich befand, alle seine Umgebungen waren gewohnt, sich pünktlich nach seinen Wünschen zu richten.

      Heute stand kein »Colloquium« auf der Brust des Genius angekreidet. Der alte Baron war schon seit einigen Wochen in einer trüben, sehnsüchtigen Stimmung, welche, gerade heute zu besonderer Verdüsterung erwachsen, ähnlichen Launen bei dem Schulmeister und Emerentien begegnete, so daß beide mit der ihnen auferlegten Trappistenregel an diesem Tage besonders zufrieden waren. Wie es wohl zu gehen pflegt; lange Zeit bleiben die eigentlichen Grundempfindungen eines Kreises von Tagestäuschungen überhüllt; endlich aber drängen sie sich doch wie Springfluten unwiderstehlich an die Oberfläche hervor.

      Die Gefühle der drei lustwandelnden Personen brachen, da letztere weit genug voneinander gingen, um sich für unbelauschbar halten zu können, in Selbstgespräche aus. Der alte Baron schritt zwischen zwei Taxuswänden auf und nieder, welche ehemals auf ihrer oberen Fläche die zierlichste Abwechslung von Kreuzen, Pfeilern und Urnen dargeboten hatten, nun aber längst aus aller Schur gewichen waren, und nur noch unförmliche, mißgestaltete Klumpen grüner Blätter und Äste zeigten. Sein Schritt war heftig, sein Blick schwer. »Ja«, rief er aus, »wenn ich einen Mann hätte, der mich verstände, mit dem ich laut denken könnte, der Sinn für einen weiten Gesichtskreis besäße, dann ließe sich herrlich und in Freuden leben! Immer Neues, Wunderbares muß ich haben, die Journale genügen mir schon nicht mehr, sie fangen an, mir schal vorzukommen; Hypothesen begehre ich, eine gewaltiger als die andre, denn nur Hypothesen löschen den Wissensdurst, wenn er einmal entflammt worden ist. Was hilft es mir, daß ich heute von den Ungeheuern gelesen habe, die in jedem Wassertröpfchen leben, mit Kugelleibern, oder tausend Füßen, oder Rüsseln oder Sägezähnen? Bin ich danach klüger, als zuvor? Nein. Dümmer im Gegenteil. Wie entstehen sie? Was treiben sie? Was fressen sie? Wie begatten sie sich? Sind es Säugetiere, die lebendige Junge zur Welt bringen, oder eierlegende Fische? — O fände ich doch einen Mann, mit dem ich alles so recht durchsprechen könnte, der eine Erklärung auch für das Dunkelste gäbe, gleichviel welche! Der Schulmeister ist ein ehrlicher Kauz, aber doch im Grunde ein dummer Teufel mit seinen alten Spartaner-Flausen. Ich habe mir einen verrückten Menschen unterhaltender gedacht; der Agesel beginnt, mich zu langweilen.« —

      Er trat verstimmt zu einem steinernen Schäfer, der an dem einen Ende der Taxuswände stand, und vor Zeiten Flöte geblasen hatte, nun aber nur noch vergeblich den Mund spitzte und die Arme in der gezwungenen musikalischen Haltung leer vor sich hinstreckte, weil die Flöte ihnen längst von der Zeit entführt worden war. Der alte Mann lehnte sich düster an den verstümmelten Schäfer; vor seinem geistigen Gesichte wälzten sich, schossen und kugelten riesige Infusionstiere umher, bis ihm die Gedanken in das Formlose zergingen.

      Inzwischen umkreisete Fräulein Emerentia ein mit Muscheln eingefaßtes Becken, welches freilich schon seit geraumen Jahren so trocken lag, wie das Rote Meer, als die Israeliten hindurchgingen. Ein Delphin streckte in der Mitte dieses Beckens seine aufgestülpte Nase empor. Er hatte von Glück zu sagen, daß er aus Kupferblech bestand; ohne diese Konstitution hätte er in solcher Trocknis rettungslos verschmachten müssen. Auch ein Unbeschäftigter! Woher sollte der Wasserstrahl ihm zufließen, den er sonst aus den Nüstern in die Höhe gesendet hatte? — Das Fräulein umschritt, wie gesagt, das Becken, und sah bald auf dessen Grund, bald auf den Delphin, bald auf die bunten Kiesel, welche in Sternen, Rauten und Blumen eingelegt, den Platz um das Becken zierten, ohne daß sie von einem dieser Gegenstände Trost СКАЧАТЬ