Mein Leben und Streben. Karl May
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Название: Mein Leben und Streben

Автор: Karl May

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ um. Für eine Hohensteiner Schankwirtschaft wurde ein gewandter, ausdauernder Kegelaufsetzer gesucht. Ich meldete mich, obwohl ich keine Uebung besaß, und bekam die Stelle. Da habe ich freilich Geld verdient, sehr viel Geld, aber wie! Durch welche Qualen! Und was habe ich noch außerdem dafür geopfert! Der Kegelschub war ein vielbesuchter, zugebauter und heizbarer, so daß er zur Sommer- und zur Winterszeit und bei jeder Witterung benutzt werden konnte. Es wurde täglich geschoben. Von jetzt an hatte ich keine freie Viertelstunde mehr, besonders auch keinen Sonntagnachmittag. Da ging es gleich nach der Kirche los und dauerte bis zur späten Abendstunde. Der Haupttag aber war der Montag, denn dieser war der Tag des Wochenmarktes, an dem die Landbewohner zur Stadt kamen, um ihre Erzeugnisse zu bringen, ihre Einkäufe zu machen und – last not least – eine Partie Kegel zu schieben. Aus dieser einen aber wurden fünf, wurden zehn, wurden zwanzig, und es kam an diesen Montagen vor, daß ich mich von Mittags zwölf Uhr an bis nach Mitternacht zu schinden hatte, ohne auch nur fünf Minuten ausruhen zu können. Zur Stärkung bekam ich des Nachmittags und des Abends ein Butterbrod [sic] und ein Glas abgestandenes, zusammengegossenes Bier. Es kam auch vor, daß ein mitleidiger Kegler, welcher sah, daß ich kaum mehr konnte, mir ein Glas Schnaps herausbrachte, um meine Lebensgeister anzuregen. Ich habe mich ob dieser übermäßigen Anstrengungen daheim niemals beklagt, weil ich sah, wie notwendig man das, was ich verdiente, brauchte. Der Betrag, den ich da wöchentlich zusammenbrachte, war gar nicht unbedeutend. Ich bekam pro Stunde ein Fixum und außerdem für jedes Honneur, welches geschoben wurde, einen festbestimmten Satz. Wurde nicht gespielt, sondern frei gewettet oder gar hasardiert, so bekam dieser Satz eine doppelte oder dreifache Höhe. Es hat Montage gegeben, an denen ich über zwanzig Groschen nach Hause brachte, dafür aber vor Müdigkeit die Treppe zu unserer Wohnung mehr hinaufstürzte als hinaufstieg.

      Welchen Gewinn aber hatte ich in seelischer Beziehung? Nicht den geringsten, sondern nur Verlust. Es wurde zwar nur einfaches, billiges Bier, aber besonders viel Schnaps getrunken. Ich werde an anderer Stelle nachweisen, daß es sich hier nicht um Leute handelte, welche das kannten, was man unter Rücksicht oder gar Zartgefühl versteht. Man platzte mit allem, was auf die Zunge kam, ohne Scheu heraus. Man kann sich denken, was ich da alles zu hören bekam! Der langgestreckte, zugebaute Kegelschub wirkte wie ein Hörrohr. Jedes Wort, welches da vorn bei den Spielern gesprochen wurde, klang deutlich heraus zu mir. Alles, was Großmutter und Mutter in mir aufgebaut hatten, der Herr Kantor und der Herr Rektor auch, das empörte sich gegen das, was ich hier zu hören bekam. Es war viel Schmutz und auch viel Gift dabei. Es gab da nicht jene kräftige, kerngesunde Fröhlichkeit wie z. B. bei einem oberbayrischen Kegelschieben, sondern es handelte sich um Leute, welche aus der brusttötenden Atmosphäre ihres Webstuhles direkt in die Schnapswirtschaft kamen, um sich für einige Stunden ein Vergnügen vorzutäuschen, welches aber nichts weniger als ein Vergnügen war, für mich jedenfalls eine Qual, körperlich sowohl als auch seelisch.

      Und doch gab es in dieser Schankwirtschaft ein noch viel schlimmeres Gift als Bier und Branntwein und ähnliche böse Sachen, nämlich eine Leihbibliothek, und zwar was für eine! Niemals habe ich eine so schmutzige, innerlich und äußerlich geradezu ruppige, äußerst gefährliche Büchersammlung, wie diese war, nochmals gesehen! Sie rentierte sich außerordentlich, denn sie war die einzige, die es in den beiden Städtchen gab. Hinzugekauft wurde nichts. Die einzige Veränderung, die sie erlitt, war die, daß die Einbände immer schmutziger und die Blätter immer schmieriger und abgegriffener wurden. Der Inhalt aber wurde von den Lesern immer wieder von neuem verschlungen, und ich muß der Wahrheit die Ehre geben und zu meiner Schande gestehen, daß auch ich, nachdem ich einmal gekostet hatte, dem Teufel, der in diesen Bänden steckte, gänzlich verfiel. Was für ein Teufel das war, mögen einige Titel zeigen: Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann, von Vulpius, Goethes Schwager. Sallo Sallini, der edle Räuberhauptmann. Himlo Himlini, der wohltätige Räuberhauptmann. Die Räuberhöhle auf dem Monte Viso. Bellini, der bewunderswürdige [sic] Bandit. Die schöne Räuberbraut oder das Opfer des ungerechten Richters. Der Hungerturm oder die Grausamkeit der Gesetze. Bruno von Löweneck, der Pfaffenvertilger. Hans von Hunsrück oder der Raubritter als Beschützer der Armen. Emilia, die eingemauerte Nonne. Botho von Tollenfels, der Retter der Unschuldigen. Die Braut am Hochgericht. Der König als Mörder. Die Sünden des Erzbischofs u. s. w. u. s. w.

      Wenn ich zum Kegelaufsetzen kam und noch keine Spieler da waren, gab mir der Wirt eines dieser Bücher, einstweilen darin zu lesen. Später sagte er mir, ich könne sie alle lesen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Und ich las sie; ich verschlang sie; ich las sie drei- und viermal durch! Ich nahm sie mit nach Haus. Ich saß ganze Nächte lang, glühenden Auges über sie gebeugt. Vater hatte nichts dagegen. Niemand warnte mich, auch die nicht, die gar wohl verpflichtet gewesen wären, mich zu warnen. Sie wußten gar wohl, was ich las; ich machte kein Hehl daraus. Und welche Wirkung das hatte! Ich ahnte nicht, was dabei in mir geschah. Was da alles in mir zusammenbrach. Daß die wenigen Stützen, die ich, der seelisch in der Luft schwebende Knabe, noch hatte, nun auch noch fielen, eine einzige ausgenommen, nämlich mein Glaube an Gott und mein Vertrauen zu ihm.

      Die Psychologie ist gegenwärtig in einer Umwandlung begriffen. Man beginnt immer mehr, zwischen Geist und Seele zu unterscheiden. Man versucht, sie beide auseinanderzuhalten, sie scharf zu definieren, ihre Unterschiede nachzuweisen. Man behauptet, daß der Mensch nicht Einzelwesen, sondern Drama sei. Soll ich mich dem anschließen, so darf ich das, was auf meinen kleinen, erst im Entstehen begriffenen Geist und das, was auf meine kindliche Seele wirkte, nicht miteinander verwechseln. Die ganze Vielleserei, zu der ich bisher gezwungen gewesen war, hatte meiner Seele nichts, gar nichts gebracht; nur das winzige Geisterlein hatte die Wirkung davon gehabt, aber was für eine Wirkung! Es war zu einem kleinen, monströs dicken, wasserköpfigen Ungeheuer aufgestopft und aufgenudelt worden. Der sehr gut, ja vielleicht außergewöhnlich veranlagte Knabe hatte sich zu einer unartikulierten geistigen Mißgestalt verwandelt, die nichts Wirkliches besaß als nur ihre Hilflosigkeit. Und seelisch war ich ohne Heimat, ohne Jugend, hing nach oben nur an dem erwähnten starken, unzerreißbaren Tau und wurde nach unten nur dadurch an der Erde festgehalten, daß ich für König und Vaterland, Gesetz und Gerechtigkeit diejenige mehr poetisch als materielle Hochachtung empfand, die aus den Tagen stammte, an denen die elf Heldenkompagnieen Ernsttals sich gebildet hatten, den schwer bedrängten Monarchen Sachsens und seine Regierung von dem Untergange zu erretten. Nun aber wurde mir auch dieser Halt genommen, und zwar durch die Lektüre dieser schändlichen Leihbibliothek. Alle die Räuberhauptleute, Banditen und Raubritter, von denen ich da las, waren edle Menschen. Was sie jetzt waren, das waren sie durch schlechte Menschen, besonders durch ungerechte Richter und durch die grausame Obrigkeit geworden. Sie besaßen wahre Frömmigkeit, glühende Vaterlandsliebe, eine grenzenlose Wohltätigkeit und warfen sich zum Ritter und Retter aller Armen, aller Bedrückten und Bedrängten auf. Sie zwangen die Leser zur Hochachtung und Bewunderung; alle Gegner dieser herrlichen Männer aber waren zu verachten, also besonders die Obrigkeit, der Schnippchen auf Schnippchen geschlagen wurde. Und vor allen Dingen die Fülle des Lebens, der Tätigkeit, der Bewegung, die in diesen Büchern herrschte! Auf jeder Seite geschah etwas, und zwar etwas Hochinteressantes, irgend eine große, schwere, kühne Tat, die man zu bewundern hatte. Was dagegen war in all den Büchern geschehen, die ich bisher gelesen hatte? Was geschah in den Traktätchen des Pfarrers? In seinen langweiligen, nichtssagenden Jugendschriften? Und was geschah in den sonst ganz guten und brauchbaren Büchern des Herrn Rektors? Da waren große, weite und ferne Länder beschrieben, aber es ereignete sich nichts dabei. Da wurden fremde Menschen und Völker geschildert; aber sie bewegten sich nicht, sie taten nichts. Das war alles nur Geographie, nur Geographie, weiter nichts; jede Handlung fehlte. Und nur Ethnographie, nur Ethnographie; aber die Puppen standen still. Es war kein Gott, kein Mensch und auch kein Teufel da, das Kreuz mit den Fäden in die Hand zu nehmen und die toten Figuren zu beleben! Und es gibt doch Einen, der diese Belebung ganz unbedingt verlangt, nämlich der Leser. Und auf den kommt doch alles an, weil er allein es ist, für den die Bücher geschrieben werden. Die Seele des Lesers wendet sich von jeder Bewegungslosigkeit ab, denn diese bedeutet für sie den Tod. Welch ein Reichtum des Lebens dagegen in dieser Leihbibliothek! Und welch ein Eingehen auf die Eigenheiten und Bedürfnisse dessen, der so ein Buch in die Hände nimmt! Kaum fühlt er während des Lesens einen Wunsch, so wird dieser auch schon erfüllt. Und welche bewundernswerte, unwandelbare Gerechtigkeit gibt es da. Jeder gute, ehrenhafte Mensch, mag er zehnmal Räuberhauptmann СКАЧАТЬ