Mein Leben und Streben. Karl May
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mein Leben und Streben - Karl May страница 11

Название: Mein Leben und Streben

Автор: Karl May

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn:

isbn:

СКАЧАТЬ dieses Reich sich aus der wahrsten, festesten Wirklichkeit erhob. Für mich hatte es keine Füße; es schwebte; es konnte mir erst später, wenn ich mich zum Verständnis emporgearbeitet hatte, die Stütze bieten, die mir so nötig war.

      Da kam ein Tag, an dem sich mir eine Welt offenbarte, die mich seitdem nicht wieder losgelassen hat. Es gab Theater. Zwar nur ein ganz gewöhnliches, armseliges Puppentheater, aber doch Theater. Das war im Webermeisterhause. Erster Platz drei Groschen, zweiter Platz zwei Groschen, dritter Platz einen Groschen, Kinder die Hälfte. Ich bekam die Erlaubnis, mit Großmutter hinzugehen. Das kostete fünfzehn Pfennige für uns beide. Es wurde gegeben: »Das Müllerröschen oder die Schlacht bei Jena.« Meine Augen brannten; ich glühte innerlich. Puppen, Puppen, Puppen! Aber sie lebten für mich. Sie sprachen; sie liebten und haßten; sie duldeten; sie faßten große, kühne Entschlüsse; sie opferten sich auf König und für Vaterland. Das war es ja, was der Herr Kantor damals gesagt und bewundert hatte! Mein Herz jubelte. Als wir nach Hause gekommen waren, mußte Großmutter mir beschreiben, wie die Puppen bewegt werden.

      »An einem Holzkreuze,« erklärte sie mir. »Von diesem Holzkreuze, gehen die Fäden hernieder, die an die Glieder der Puppen befestigt sind. Sie bewegen sich, sobald man oben das Kreuz bewegt.«

      »Aber sie sprechen doch!« sagte ich.

      »Nein, sondern die Person, die das Kreuz in den Händen hält, spricht. Es ist genauso, wie im wirklichen Leben.«

      »Wie meinst du das?«

      »Das verstehst du jetzt noch nicht; du wirst es aber verstehen lernen.«

      Ich gab keine Ruhe, bis wir die Erlaubnis erhielten, nochmals zu gehen. Es wurde gespielt »Doktor Faust oder Gott, Mensch und Teufel.« Es wäre ein resultatloses Beginnen, den Eindruck, den dieses Stück auf mich machte, in Worte fassen zu wollen. Das war nicht der Göthesche Faust, sondern der Faust des uralten Volksstückes, nicht ein Drama, in dem die ganze Philosophie eines großen Dichters aufgestapelt wurde und auch noch etwas mehr, sondern das war ein direkt aus der tiefsten Tiefe der Volksseele heraus zum Himmel klingender Schrei um Erlösung aus der Qual und Angst des Erdenlebens. Ich hörte, ich fühlte diesen Schrei, und ich schrie ihn mit, obgleich ich nur ein armer, unwissender Knabe war, damals wohl kaum neun Jahre alt. Der Göthesche Faust hätte mir, dem Kinde, gar nichts sagen können; er sagt mir, aufrichtig gestanden, selbst heut noch nicht, was er der Menschheit wahrscheinlich hat sagen wollen und sollen; aber diese Puppen sprachen laut, fast überlaut, und was sie sagten, das war groß, unendlich groß, weil es so einfach, so unendlich einfach war: Ein Teufel, der nur dann zu Gott zurückkehren darf, wenn er den Menschen mit sich bringt! Und die Fäden, diese Fäden; die alle nach oben gehen, mitten in den Himmel hinein! Und alles, alles, was sich da unten bewegt, das hängt am Kreuz, am Schmerz, an der Qual, am Erdenleid. Was nicht an diesem Kreuze hängt, ist überflüssig, ist bewegungslos, ist für den Himmel tot! Freilich kamen mir diese letzteren Gedanken damals noch nicht, noch lange nicht; aber Großmutter sprach sich in dieser Weise, wenn auch nicht so deutlich, aus, und was ich nicht direkt vor Augen sah, das begann ich doch zu ahnen. Ich mußte als Kurrendaner Sonn- und Feiertags zweimal in die Kirche, und ich tat dies gern. Ich kann mich nicht besinnen, jemals einen dieser Gottesdienste versäumt zu haben. Aber ich bin aufrichtig genug, zu sagen, daß ich trotz aller Erbauung, die ich da fand, niemals einen so unbeschreiblich tiefen Eindruck aus der Kirche mit nach Hause genommen habe wie damals aus dem Puppentheater. Seit jenem Abende ist mir das Theater bis auf den heutigen Tag als eine Stätte erschienen, durch deren Tor nichts dringen soll, was unsauber, häßlich oder unheilig ist. Als ich den Herrn Kantor fragte, wer dieses Theaterstück ausgesonnen und niedergeschrieben habe, antwortete er, das sei kein einzelner Mensch, sondern die Seele der ganzen Menschheit gewesen, und ein großer, berühmter deutscher Dichter, Wolfgang Goethe geheißen, habe daraus ein herrliches Kunstwerk gemacht, welches nicht für Puppen, sondern für lebende Menschen geschrieben sei. Da fiel ich schnell ein: »Herr Kantor, ich will auch so ein großer Dichter werden, der nicht für Puppen, sondern nur für lebende Menschen schreibt! Wie habe ich das anzufangen?« Da sah er mich sehr lange und unter einem fast mitleidigen Lächeln an und antwortete: »Fange es an, wie du willst, mein Junge, so werden es doch meist nur Puppen sein, denen du deine Arbeit und dein Dasein opferst.« Diesen Bescheid habe ich freilich erst später verstehen lernen; aber diese beiden Abende haben ohne Zweifel sehr bestimmend auf meine kleine Seele gewirkt. Gott, Mensch und Teufel sind meine Lieblingsthemata gewesen und geblieben, und der Gedanke, daß die meisten Menschen nur Puppen seien, die sich nicht von selbst bewegen, sondern bewegt werden, steht bei allem, was ich tue, im nahen Hintergrunde. Ob Gott, ob der Teufel oder ob ein Mensch, ein Fürst des Geistes oder ein Fürst der Waffen, das Kreuz, von dem die Fäden herunterhängen, in den Händen hält, um das Volk der Menschen zu beeinflussen, das ist niemals sofort, sondern immer nur erst später an den Folgen zu ersehen.

      Kurze Zeit darauf lernte ich auch Stücke kennen, die nicht von der Volksseele, sondern von Dichtern für das Theater geschrieben worden waren, und das ist der Punkt, an dem ich auf meine Trommel zurückzukommen habe. Es ließ sich eine Schauspielertruppe für einige Zeit in Ernsttal nieder. Es handelte sich also nicht um ein Puppen-, sondern um ein wirkliches Theater. Die Preise waren mehr als mäßig: Erster Platz 50 Pfennige, zweiter Platz 25 Pfennige, dritter Platz 15 Pfennige und vierter Platz 10 Pfennige, nur zum Stehen. Aber trotz dieser Billigkeit blieb täglich über die Hälfte der Sitze leer. Die »Künstler« fielen in Schulden. Dem Herrn Direktor wurde himmelangst. Schon konnte er die Saalmiete nicht mehr bezahlen; da erschien ihm ein Retter, und dieser Retter war – — – ich. Er hatte beim Spazierengehen meinen Vater getroffen und ihm seine Not geklagt. Beide berieten. Das Resultat war, daß Vater schleunigst nach Hause kam und zu mir sagte: »Karl, hole deine Trommel herunter; wir müssen sie putzen!« »Wozu?« fragte ich. »Du hast die Preziosa und alle ihre Zigeuner dreimal über die ganze Bühne herumzutrommeln«. »Wer ist die Preziosa?« »Eine junge, schöne Zigeunerin, die eigentlich eine Grafenstochter ist. Sie wurde von den Zigeunern geraubt. Jetzt kommt sie zurück und findet ihre Eltern. Du bist der Tambour und bekommst blanke Knöpfe und einen Hut mit weißer Feder. Das zieht Zuschauer herbei. Es wird bekannt gemacht. Wird das »Haus« voll, so gibt der Herr Direktor dir fünf Neugroschen; wird es aber nicht voll, so bekommst du nichts. Morgen vormittag 11 Uhr ist Probe.«

      Es versteht sich ganz von selbst, daß ich in Wonne schwamm. Zigeunertambour! Eine Grafentochter! Blanke Knöpfe! Weiße Feder! Dreimal um die ganze Bühne herum! Fünf Neugroschen! Ich schlief in der folgenden Nacht sehr wenig und stellte mich mit meiner Trommel sehr pünktlich zur Probe ein. Sie verlief sehr gut. Ich gefiel sämtlichen Künstlerinnen und Künstlern. Die Frau Direktorin streichelte mir die Wange. Der Herr Direktor lobte mein intelligentes Gesicht, meinen Mut und mein schnelles Begriffsvermögen. Meine Rolle sei aber auch sehr leicht. Vielleicht täte ich es für vierzig Pfennige; schon mit dreißig Pfennigen sei dieses Honorar splendid zu nennen. Aber Vater war mit dabei und ging um keinen Pfennig herunter, denn er hatte meinen künstlerischen Wert erkannt und ließ nicht mit sich handeln. Ich hatte für die fünfzig Pfennige nur einmal aufzutreten, um dem großen Zigeunerumzug voranzumarschieren. Ich stand an einer Kulisse, die Zigeuner alle hinter mir. Mir gegenüber in der jenseitigen Kulisse stand der Regisseur, der den alten Schloßvogt Pedro spielte. Wenn der die rechte Hand emporhob, so war dies das Zeichen für mich, meinen Marsch sofort zu beginnen und nach einem dreimaligen, strammen Umgang in derselben Kulisse wieder zu verschwinden. Das war so kinderleicht; man konnte gar nicht irren. Die blanken Knöpfe bekam ich gleich nach der Probe mit. Mutter mußte sie mir anflicken. Es waren über dreißig Stück; sie gingen fast gar nicht ganz auf meine Weste. Im Laufe des Nachmittages brachte man mir den Hut mit der weißen Feder. Der wurde als Reklame zum Fenster hinausgehängt und hat seine Wirkung getan. Ich hatte mich eine Viertelstunde vor Beginn der Vorstellung einzustellen. Da wurde ich von der Frau Direktorin strahlenden Angesichtes empfangen, denn der Zuschauerraum war schon jetzt derart gefüllt, daß schnell ganz vorn noch einige »Logen« eingerichtet wurden mit dem Preise von zehn Neugroschen pro Platz. Auch die waren rasch verkauft. Vater, Mutter und Großmutter hatten Freiplätze bekommen. Ich war eben an diesem Tage ein höchst wertvolles Menschenkind. Diese Erkenntnis hatte sich so allgemein verbreitet, daß die Frau Direktorin sich bewogen fühlte, СКАЧАТЬ