Название: Als Mariner im Krieg
Автор: Joachim Ringelnatz
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
isbn:
Eine junge Frau sprach mich an, die mich offenbar verkannte, denn sie wähnte, sie hätte mich auf der Durchreise in Bremen kennengelernt. Ich ließ sie eine halbe Stunde lang in diesem Irrtum, weil ich glücklich war, mal wieder mit einem Weib sprechen zu können.
Der »Glückauf«-Matrose hatte sieben Tage verbüßt, weil er im Rausch einen Kapitän untern Arm genommen hatte und gemütlich mit ihm plaudern wollte. Ich scherzte: »Sie haben sich doch wenigstens gehörig ausschlafen können?«
»Ach«, sagte er, »als ich mich eben auf die andere Seite legen wollte, war die Zeit schon um.«
Abends lief mit anderen Kreuzern die »Seydlitz« ein und wurde von »Seeadler« mit Hurra begrüßt. Das Schiff schien gebrannt zu haben, denn es war achtern ganz schwarz. Der Sperrkommandant hielt es aber nicht für nötig, uns mitzuteilen, was geschehen war. Erst durch ein Wasserboot drang etwas zu uns. Danach waren in einem Seegefecht bei Borkum unsere Kreuzer »Blücher« und »Seydlitz« torpediert worden. »Blücher« kenterte sofort. Die Mannschaft ertrank. »Seydlitz« sollte hundertsechzig Mann verloren haben. Englischerseits sollte der »Tiger« gesunken sein, ein modernes Schiff mit schwerer Artillerie.
Wir mußten die Lampen abblenden. Verschärfte Kriegsbestimmungen traten ein, die Sperre blieb bis morgens geöffnet, um unsre Schiffe möglichst schnell herauszulassen.
Andern Tags fuhr ich mit dem Routineboot dienstlich an Land. An der Mole im Fluthafen stand ein Auto. Zwei Chauffeure trugen einen Kapitänleutnant, dessen rechtes Bein gebeugt verbunden war, von Bord in den Wagen. Ich half dem Offizier beim Einsteigen. Hinterher erfuhr ich, daß es Weddigen gewesen war.
Die Nacht war ungewöhnlich still, so still, daß der Ruf eines fernen Wattvogels wie etwas Lautes unterbrach, und daß ich einmal ein leichtes Flappen der Flagge für fernen Geschützdonner hielt. Über dem glatten Wasserspiegel wallte Nebel und verzerrte die Perspektive. Der Horizont blieb verborgen. Die Leuchtbojen schienen bald nah, bald fern zu sein. Ich mußte an Chaos und Weltschöpfung denken. Mir waren die Zigaretten ausgegangen, und mich reizten Eichmüllers Aufschneidereien. Ich hatte mir diesbezüglich seit langem Notizen gemacht und hielt nun dem jungen Bengel eine Statistik vor, nach der er in einem Jahre vier Frühlinge in fünf voneinander entlegenen Ländern verbracht, außerdem während seiner dreijährigen Dienstzeit mindestens sieben Jahre Soldat gewesen war. Als er aber auch diesen Beweisen wieder aalglatt entschlüpfte, mußte ich lachen und begann nun, von meinen kriegstechnischen Erfindungen zu reden, mit denen meine Phantasie sich oft beschäftigte. Von der Pfefferkanone, die vor einem Angriff bei günstigem Wind große Pfeffermassen über die feindlichen Schützengräben schleudert. Von dem Fluchtgewehr, das, ohne daß man‘s ihm vorher anmerkt, die Geschosse nicht vorn, sondern hinten herausschießt, und das man mit Munition bei der Flucht dem Feinde zurückläßt. Oder von den unbemannten, nur verkappte Fallbomben tragenden Freiballons, die man zu Tausenden mit gutem Wind über Feindesland schickt, auf daß sie dort abgeschossen werden.
Zu Kaisers Geburtstag brachten die Blätter lobende Berichte über den obersten Kriegsherrn, die »Woche« Nr. 4 ein rührend schönes Gedicht von Joseph von Lauff.
Ich sah an Land den langen feierlichen Beerdigungszug für die hundertachtundsechzig Getöteten von »Seydlitz«. Nachdem ich bereits zwei andere Schritte für mein Wegkommen von der Jade unternommen hatte, eilte ich nun nach der »Seydlitz«, die hinterm Flugzeugschuppen lag. Auf dem Kai staute sich eine große Menschenmenge, es bekam aber niemand Zutritt. Ich drängte mich bis zum Posten Fallreep vor, sagte, ich wollte den Kommandanten sprechen und wurde daraufhin zum ersten Offizier geführt. Der ging erst einmal um mich Strammstehenden herum, um die Inschrift meines Mützenbandes zu lesen: »Sperrfahrzeugdivision der Jade«. Dann suchte er auszuforschen, was ich vom Kommandanten wollte. Ich drückte mich aber nur allgemein aus, es handle sich um ein Gesuch. Zum Adjutanten des Kommandanten geschickt, der das Eiserne Kreuz trug, begann ich: »Ich habe ein Gesuch an den Herrn Kommandanten, beziehungsweise an den Herrn Adjutanten.«
»Nun, was denn?«
»Ich bitte«, fuhr ich vorsichtig fort, »auf unvorschriftsmäßigem Wege ein Gesuch aussprechen zu dürfen.«
Er erlaubte das, ging sehr höflich auf das ein, was ich nun vortrug und begab sich dann zum ersten Offizier. Währenddessen betrachtete ich das verwüstete und zerschossene Achterdeck. Ein Maat schilderte mir bewegt Einzelheiten aus dem Seegefecht. Eine dreizehn Zentner schwere Granate war ins Achterschiff durch das Deck in den Kartuscheraum gedrungen, der sofort in Flammen stand. Leute verbrannten und brieten in den glühenden Panzertürmen. Man hatte sie als kleine zusammengeschrumpfte Leichen herausgeholt.
Der Adjutant kam zurück. Er meinte, es bliebe nichts übrig, als mein Gesuch auf vorschriftsmäßigem Wege einzureichen, ich könnte nur um beschleunigte Weitergabe bitten. Er würde es befürworten, und dem Schiffe selbst wäre es sehr erwünscht, tüchtige Unteroffiziere zu bekommen. Als ich einwarf, der Sperrkommandant würde das Gesuch nicht weitergeben, sagte er: »Doch, er ist verpflichtet, es weiterzugeben.«
Abends um zehn Uhr, als Leutnant Kaiser vom »Seeadler« von der Kaisergeburtstagsfeier zurückkehrte, legte ich ihm mein wohlverfaßtes, dringendes Gesuch vor. Er schrieb an den Rand »befürwortet« und sektfröhlich, wie er war, fing er noch einen langen witzelnden Speech an. Wir von der Sperrfahrzeugdivision hätten allesamt Anrecht auf das Eiserne Kreuz. Weil wir aber hinter der Front stünden, müßten wir es hinten tragen. »Hester«, sagte der Leutnant dann, »Sie sind zwar als Individuum sehr brauchbar, aber Sie müssen sich noch einen anderen Kommandoton angewöhnen, wenn Sie sich den Respekt bei den Leuten erhalten wollen. Geben Sie einen Befehl, dann klingt das immer wie eine Bitte; Sie müssen die Leute anbrüllen, daß sie sich auf den Arsch setzen.« Ich hatte das Gefühl, daß er da etwas an mich richtete, was einmal der Sperrkommandant an den Vizesteuermann Kaiser gerichtet hatte. Mein Kommandant erzählte mir nun, daß ihm sechs Tage und Eibel und Witzmann fünf Tage Urlaub während der bevorstehenden Werftliegezeit bewilligt seien. Dann las er mir noch mit bebender Stimme die kaiserlichen Geburtstagserlasse vor: »... Ernst der Lage... Ansichtskarten mit Kaiserbild für Rote-Kreuz-Zwecke verkaufen... Alle Disziplinarstrafen bis sechs Monate erlassen.« Letzteres freute mich für Schulz und Stuben. Eichmüller bekam dadurch auch seinen Obermatrosenwinkel wieder.
Ich machte mich bei den anderen Maaten vom »Vulkan« mehr und mehr unbeliebt. Bei den Matrosen galt ich als der beste, als der freundlichste von den Unteroffizieren, aber sie betrugen sich mir gegenüber deshalb besonders respektlos und undankbar. Ich vermißte den Schlüssel zur Schiffsuhr und den Schlüssel zur Lampenkammer. Vermutlich hatte jemand, um mir einen Streich zu spielen, die Schlüssel über Bord geworfen.
Puh! Es war kalt. Die Wasserpumpe zugefroren. Meine Hände steif und brennend, einzelne Finger abgestorben. Und das abscheuliche Arbeiten an Deck mit nassen Leinen, das Herüberreichen von Lasten, von einem tanzenden Schiff zum andern. Nein, lieber Schützengraben.
Aber im Ruderhause unseres verschneiten und vereisten Schiffchens duftete ein Maiglöckchensträußchen von Eichhörnchen.
Der Alte — der sechsundzwanzigjährige Alte — ich meine unseren Kommandanten, rief mich spät noch in seine Kajüte und plauderte mit mir, was mir sehr unlieb war, weil ich hinterher Mittelwache hatte. Der tiefere Grund für diese Plauderei war folgender: Ein Befehl war erlassen, daß die Schiffsführer künftig monatliche Meldungen einreichen sollten über bisher gesammelte Kriegserfahrungen. Da brauchte Herr Leutnant nun wohl einen Schriftsteller. Aber andererseits ärgerte er sich, wenn man ihm direkte Vorschläge machte. Er wollte nur unbemerkt etwas ablauschen, СКАЧАТЬ