Название: Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1
Автор: Reinhart Maurach
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811492561
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Eine Notwehr(hilfe) lehnte der BGH ab, da ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht nicht durch einen Eingriff auf das Leben derselben Person gerechtfertigt werden könne (BGH 55, 197). Ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB scheide aus, weil sich der Eingriff gegen das höchstrangige Rechtsgut der bedrohten Person richte.
Walter ZIS 11, 81; Pawlik FS Wolter, 2013, 631; Jorden FS Roxin II 595. Eindrucksvoller Gaede NJW 10, 2927: „verfassungsorientierte Normreduktion“.
Eingehend Merkel 370 ff., 573 ff.; Everschor, Probleme der Neugeboreneneuthanasie und der Behandlungsgrenzen bei schwerstgeschädigten Kindern und ultrakleinen Frühgeborenen aus rechtl. und ethischer Sicht, 2000.
Jähnke LK11 Vor § 211 19; Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, 1991.
Jähnke aaO; Eser/Sternberg-Lieben S/S Vor §§ 211 ff. 30.
DÄBl. Bd. 118, S. A 346. Vorläufer waren die „Grundsätze“ von 2004.
VII. Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens
Schrifttum:
Arndt, Das Verbrechen der Euthanasie (Konstanzer Juristentagung 1947, 184); Barella, Die Tötung Geisteskranker im Dritten Reich, DRiZ 60, 144; Binding-Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, 1920; Arth. Kaufmann, Zur ethischen und strafrechtl. Beurteilung der sog. Früheuthanasie, JZ 82, 481; Burkhardt, Euthanasie: „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Spiegel der Diskussionen zwischen Juristen und Medizinern von 1900 bis 1940, Diss. Mainz 1982; Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat, 1983; Klefisch, Die nationalsozialistische Euthanasie, MDR 50, 258; Merkel, „Tod den Idioten“ – Eugenik und Euthanasie in juristischer Rezeption vom Kaiserreich zur Hitlerzeit, 2006; Spendel, Der Conditio-sine-qua-non-Gedanke als Strafmilderungsgrund, FS Engisch 509; Walter, Die Vernichtung lebensunwerten Lebens, Arch. f. Rechts- u. Wirtsch.-Phil. XVI 88; v. Weizsäcker, Euthanasie und Menschenversuche, 1947. S. ferner o. vor Rn. 30.
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Die bedingungslose Unzulässigkeit der Vernichtung des sog. „lebensunwerten“ Lebens folgt aus der Betrachtung des Lebens als einer geschlossenen biologisch-soziologischen Einheit: Schutz des Lebens nicht nur als eines Trägers sozialer Funktionen, sondern auch als einer natürlichen Tatsache. Ein sozial wertloses, die Gemeinschaft belastendes Leben ist ebenso geschützt wie ein solches, dessen Träger das Ich-Gefühl, das Lebensbewusstsein eingebüßt hat. Unzulässig ist auch eine fürsorgliche Entscheidung dahingehend, dass dem Betroffenen selbst sein Leben nicht mehr lebenswert sein könne. Forderungen, die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ unter bestimmten Sicherungen (entsprechend dem späteren Erbgesundheitsgesetz vom 14.7.1933) freizugeben, sind – nicht nur in Deutschland und auch schon vor dem Nationalsozialismus – gelegentlich immer wieder vertreten worden (so die vielumstrittene Schrift von Binding und Hoche 1920), blieben aber ohne Widerhall. Insbesondere hat sie selbst die nationalsozialistische Strafrechtsreform, wenn auch nur mit Rücksicht auf die „Abschwächung der sittlichen Kraft des Tötungsverbotes“, ausdrücklich verworfen. Umso bestürzender sind neue diesbezügliche Forderungen in den USA[96].
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Auch der Nationalsozialismus hat es nicht gewagt, sein (fälschlich so bezeichnetes) „Euthanasieprogramm“ auf gesetzlicher Grundlage und öffentlich durchzuführen. Die Tötungen der Geisteskranken erfolgten vielmehr – aufgrund eines bis heute nicht eindeutig geklärten „Geheimerlasses“ Hitlers vom 1.9.1939 – in aller Stille und wurden unter dem Eindruck einer tiefen Beunruhigung der Öffentlichkeit, der die Aktionen nicht verborgen bleiben konnten, 1941 scheinbar eingestellt, in Wahrheit aber noch verborgener fortgesetzt. Bis 1941 wurden ca. 71 000, danach ca. 100 000 Menschen umgebracht[97].
Für die strafrechtliche Beurteilung dieser Aktionen ist entscheidend, dass deren Grundlage nicht einmal nach dem positiven Recht des Dritten Reiches tatbestandsbeseitigend oder rechtfertigend wirken kann: ein gültiges Gesetz lag nicht vor, sodass die Frage seines Widerspruches zum Sittengesetz nicht erst zu prüfen ist[98]. Es stellt sich daher nur die Frage, wieweit eine Rechtfertigung nach Kollisionsgrundsätzen (beschränkte Mitwirkung an Geisteskrankentötungen, um größere Aktionen zu verhindern), Verantwortungs- oder bloßer Strafausschluss – Letzterer für normale Zeiten zweifellos eine unbefriedigende Verlegenheitslösung – gegeben sein kann. Die Frage der Schutzwürdigkeit des Lebens als solchen ist auch in diesen Fällen eindeutig bejaht worden (eingehend AT §§ 27 Rn. 26, 33 Rn. 19 f., 35 Rn. 6 mit Schrifttumsnachweisen).
Stark umstritten ist insbesondere das Urteil OGH SJZ 49, 347. Es nahm zugunsten der Ärzte, die einzelne Geisteskrankentötungen durchführten, um den übrigen Teil der Insassen retten zu können, unter ausdrücklicher Ablehnung einer sachlich wertbaren Güterskala einen persönlichen Strafausschließungsgrund an. Dagegen Welzel MDR 49, 374, Eb. Schmidt SJZ 49, 559, Henkel und Gallas FS Mezger 300, 332, die in der Entscheidung einen erneuten Durchbruch des vom Reichsgericht abgelehnten Gedankens eines „übergesetzlichen Schuldausschließungsgrundes“ erblicken. Für das Urteil – Fortbestand menschlicher und rechtlicher Schuld, daher allenfalls persönlicher Strafausschluss – Peters JR 50, 742; Oehler JR 51, 489. Bedenklich auch die Bejahung eines Verbotsirrtums durch BGH NJW 61, 278. Erhebliche Kritik hat auch das Urteil BGH JZ 74, 511 hervorgerufen, das für einen Selektionsarzt Heimtücke abgelehnt und damit wegen Verjährung des Totschlags einen Freispruch bestätigt hat (Baumann JZ 74, 512; Kratzsch JR 75, 102).
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Der Schutz des sog. „lebensunwerten“ Lebens verbietet nicht nur dagegen gerichtete Handlungen, sondern grundsätzlich auch Unterlassungen. Allerdings lässt sich nicht verkennen, dass der moderne operationstechnische und medikamentöse Fortschritt zu erheblichen Problemen geführt hat. Durch moderne Infektionsbekämpfungsmittel lässt sich die früher regelmäßig beschränkte Lebensdauer bei schwer reduzierter Hirnfunktion erheblich ausdehnen; Operationen der offenen Rückenmarksspalte bei Neugeborenen (Spina bifida cystica) ergeben in der großen Mehrzahl der Fälle Menschen mit weitgehend reduzierter Hirnfunktion, bestenfalls mit schweren Körperschäden, insbesondere einer totalen Unterleibslähmung. Die Medizin ist über die Frage der Zulässigkeit der Unterlassung derartiger Maßnahmen längst hinweggegangen und diskutiert die möglichen Selektionskriterien, wobei fatalerweise soziale Kriterien eine große Rolle spielen[99]. Es ist nicht zu verkennen, dass hierbei die Gefahr einer Euthanasie im pervertierten Sinn und eine Ausweitung des Grundgedankens des Schwangerschaftsabbruchs bei Kindsschädigungsindikation auf bereits geborene Menschen drohen. Routinebehandlungen und -operationen mit großer Erfolgswahrscheinlichkeit sind in jedem Fall vorzunehmen. In Anlehnung an die Verneinung der Rechtspflicht СКАЧАТЬ