Karl uno Anna / Карл и Анна. Книга для чтения на немецком языке. Леонгард Франк
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СКАЧАТЬ Messing, sagst du.“

      „Wenn du sie hast, vergeht dir das Denken und alles.“

      Erst nach einer halben Stunde – der Vogelschwarm war ohne erkennbaren Grund schon mehrmals geschlossen abgeflogen, in die Steppe eingefallen und geschlossen zurückgekehrt – sagte er noch:“Aber das sind jetzt bald vier Jahre. Oft weiß ich gar nicht mehr, wie sie aussieht. Ich seh’ ihr Gesicht nicht mehr. Ich seh’s nicht. Weißt du, Karl, es verschwimmt alles. Nur im Traum: also, zum Greifen lebendig!“

      „Ich weiß genau, wie sie aussieht. Alles! … Und wie sie ist. Alles!“

      „Du hast sie ja noch nie gesehen … Mit dem Flieger wär’ ich bald bei ihr, so weit sie auch ist … Ach, wer hält das aus! Vier Jahre!“

      „Du hast wenigstens jemand auf der Welt, der an dich denkt.“

      „Das schon. Das ist richtig.“

      „Der überhaupt für dich da ist! Aber ich … wenn ich nachdenk’ – da ist schon rein gar nichts.“

      „Ja, sie wartet. Wenn sie nicht schon verreckt ist!“

      „Sie ist nicht verreckt!“ rief der Liegende schnell und ließ sich wieder zurücksinken, blickte hinaus in die Steppe. Er sah die Frau, die er nie gesehen hatte, sah, wie sie in der Wohnküche, die er nie betreten hatte, die Kommode abstaubte und dann zu dem alten Diwan schritt, um die Decke zu glätten. Sie beugte sich hinab. Er wusste, dass der Diwan schief in die Wohnküche hineinstand, und kannte Farbe und Muster der Decke.

      „Richard! Sag mal, Richard, wenn sie jetzt da wäre, deine Frau, würdest du, Richard, würdest du sie mir einmal lassen?“

      Der Verheiratete stützte beide Hände auf den Schaufelstiel, Kinn auf die Hände. „Wenn sie jetzt da wäre …“ Er konnte den Gedanken nicht fassen.

      „Sag!“

      Er sah zuerst lange auf den Liegenden hinunter.

      „Weil du ja auch in dieser verfluchten Not bist … Vielleicht … einmal, vielleicht . Aber beim zweitenmal würd’ ich dir mit der Hacke den Schädel einschlagen.“

      „Ob der Gashahn wohl immer noch pfeift?“

      Ein Wolkenschatten fiel. Der Grillenchor ebbte in die Steppe zurück und verstummte. Ganz nahe noch ein vereinzeltes, kurzes Zirpen. Die letzte Grille schwieg. Die Männer vernahmen in der vollkommenen Stille plötzlich das Summen ihres Blutes. In der Ferne flammte die noch besonnte Steppe flächenweise wie hell glühendes Gold auf.

      Der Wolkenschatten verblaßte, verging an der blendenden Sonne: Myriadenstimmig setzte der Sommergesang wieder ein, wogend vom Horizont zum Horizont. Keine Halmspitze bewegte sich.

      „Anna tät’s aber auch gar nicht. Die ist nicht zu haben für andere … Ich hab’ dir doch erzählt, dass ich sie erst entjungfern musste und wie schwer das hielt. Da war sie – auch das hab’ ich dir erzählt – schon dreiundzwanzig Jahre alt. Das ist doch allerhand … Nee, mein Lieber!“

      Er hatte alles erzählt in den vier langen Sommern, immer allein mit seiner Sehnsucht, und war doch sonst ein schweigsamer Mann. In der Erinnerung erschien ihm auch das Schwerste schön: der tägliche Kampf ums Brot und um das Dach über dem Kopfe. Denn jetzt war die Gegenwart, die Einsamkeit, das Schwere.

      Karl, der Kamerad dieser Einsamkeit, wusste, dass die Bettmatraze dreiteilig und Annas Beckenlinie ausladend und gewellt war; dass ihr Temperament immer zuerst das Schamgefühl durchbrechen musste; dass sie dann eine handfeste Frau war und sonst sehr still, geschickt und sauber. Er wusste, dass der Schürhaken einen Messinggriff und Anna drei kleine Muttermale hatte, braun wie Samt. Er kannte die Stelle, wo das Öfchen und der Schürhaken, und die Stellen, wo die Muttermale waren. In ihm, der niemand auf der Welt hatte, war das Bild Annas entstanden.

      „Wenn sie dich aber hintergangen und inzwischen einen andern genommen hat? Vier Jahre sind eine lange Zeit für eine Frau, die Blut hat, Richard … Du wärst vielleicht auch nicht faul gewesen, wenn’s in dem Gras hier Weiber gäbe und nicht bloß Grillen.“

      „Da will ich dir einmal was erzählen, was du vielleicht noch nicht weißt. Ich und Anna sind in die Großstadt übergesiedelt, wir haben die schöne Wohnküche erwischt und auch gleich eingerichtet, mit Möbeln auf Abschlagzahlung. Eine Woche später musste ich fort.“

      „Das kenn’ ich alles schon. Sechs Mark monatliche Abzahlung!“

      „Aber bevor wir das wussten, dass ich fortmuss, haben wir uns gesagt: „Jetzt müssen wir uns dranhalten, dann wird’s gut.“ Und ich denk’ eben, meine Anna hat das nicht vergessen. Die hat gar keine Zeit für solche andere Gedanken. Denn es wird ihr schwer genug fallen, das Zeug zusammenzuhalten.“

      „Vielleicht grad deshalb.“

      „Was ging’s überhaupt dich an! Dir bleibt das Maul so und so sauber. Und der Anna, der würde ich … Aber ich weiß: das gibt’s bei ihr nicht.“ Er hob die Hacke hoch auf und ließ sie niedersausen.

      Ihm waren Sehnsucht und Machtlosigkeit schon oft zum Anlass geworden, dieses zwecklose Kreuz zu verlängern. Auch jetzt schlug er seine Zweifel erfolgreich mit Arbeit nieder.

      Karl hatte als zweijähriges Kind aus dem Kapotthut seiner Mutter, der mit langen Bindbändern versehen war, einen Wagen gemacht, sich als Pferd zwischen die zwei Bindbänder gespannt und den neuen Hut hinter sich her über den Hof durch die Regenpfützen gezerrt. Seither hatte ihm die Gabe der Phantasie mehr Last beschert als Freude.

      Er blieb reglos liegen, gepeinigt von Vorstellungen, bis die Sonne sank und die hochgereckte Hacke des Kameraden einen riesenhaften Schatten warf.

      Am westlichen Horizont lohte die Feuerbrunst. Das rotierende Schwungrad aus Gold berührte noch nicht den Rand. Schon waren in der Nähe nur noch die äußersten Spitzen der Halme vergoldet. Weiterhin wurde die Steppe tief schwarzgrün, und am fernen östlichen Horizont stieg schon die Nacht herauf. Die Grillen tobten. Die Wärme roch feucht.

      Gleich dem Schlosser, der nach Feierabend die Werkbank aufräumt für den kommenden Tag, schaufelte Richard noch die lose Erde aus dem Graben und zog den Rock an.

      Nach einer Viertelstunde Weges knatschten die Stiefel vor Nässe. Der Himmel war erblaßt. Die Wellblechhütte stand verloren in der grauen Endlosigkeit.

      Am anderen Morgen marschierten sie ins Gefangenenlager, Proviant zu holen. Diesen Weg, einen Tagesmarsch, waren sie während der vier Sommer jeden Monat einmal hin- und zurückgegangen, hintereinander marschierend. Das Gras hatte sich immer wieder aufgerichtet. Nur ein kaum erkennbarer Streifen war geblieben.

      Karl und Richard, gelernte Monteure, waren gleich groß uind hatten beide die dunkelgefärbte Gesichtshaut des Metallarbeiters.

      Im Lager stand eine Gruppe Gefangener, abmarschbereit. „Da nehmen wir von denen einen dazu, dann ist die Zahl voll“, sagte der Aufseher und rief Richards Namen.

      Fünf Minuten später – er hatte nicht die Zeit gefunden, Abschied zu nehmen von Karl – befand er sich mit den andern auf dem Marsch zur Bahnstation, von wo aus die ganze Gruppe einige Tagereisen noch weiter ostwärts verschickt wurde.

Übersetzungstips:

      im Notfall – в случае необходимости, в крайнем случае

      Wellblechhütte, СКАЧАТЬ