Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick. Petra Häußer
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Название: Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick

Автор: Petra Häußer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Lindemanns Bibliothek

isbn: 9783963081613

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СКАЧАТЬ wollte, er konnte das nicht ein Leben lang weitermachen. Er würde daran zugrunde gehen. So kam ihm zugute, dass er sich frei und ungebunden fühlte, als er erfuhr, dass der deutsche Kaiser zunehmend aufrüstete und sein Lieblingskind, die Kriegsmarine, mit Nachdruck ausbaute. Anton hatte sich zu der Zeit mit einem Häftling angefreundet, der kurz vor der Entlassung stand und ihm zuflüsterte, wohin er vorhabe zu gehen, ans Meer, hinauf in den Norden, wo die großen Werften jeden brauchen konnten, der ein bisschen mit Holz und Werkzeugen umgehen könne, denn alles andere lerne man vor Ort.

      Das eine ergab das andere. Nach drei Jahren schwerer Arbeit auf den Werften, wo er wirklich schuften lernte, bis die Haut in Fetzen von seinen Händen riss, wo er außerdem genug Geld verdiente, um sich eine schöne Gitarre und eine echt silberne Mundharmonika zu kaufen, heuerte Anton auf der SMS „Prinz Adalbert“ an, einem großen Kreuzer der Kaiserlichen Marine. Die Baukosten dieses stattlichen Schiffes hatten zehn Jahre zuvor rund 16 Millionen Goldmark betragen. Es war eine Ehre für Anton, nun dem kaiserlichen Heer anzugehören, die Matrosenuniform stand ihm gut, wenn er als Heizer auch nur selten irgendjemanden damit beeindrucken konnte. Trotzdem wuchs seine Beliebtheit in der Mannschaft stetig, sicherlich auch, weil er so schön Gitarre spielen konnte, dazu mit seiner warmen Baritonstimme in jeder Stimmung die richtigen Lieder sang, dazwischen sehnsuchtsvolle Melodien aus der Mundharmonika saugte und ansonsten nur auffiel durch ein hohes Maß an Verlässlichkeit und Pflichtbewusstsein. Anton schaufelte Kohlen im Bauch des Schiffes, als die „Prinz Adalbert“ die Minenkreuzer Nautilus und Albatross beim Legen einer Minensperre unterstützte. Er schwitzte im Bauch des Schiffes, als es nach Kriegsbeginn vor der baltischen Küste operierte, vom britischen U-Boot E9 torpediert und beschädigt wurde, aber wieder freikam und nach Kiel zurückkehren konnte. Nicht durch den Beschuss, sondern durch ein unglückliches Hantieren beim notdürftigen Versorgen der lecken Außenwand, hatte Anton sich eine tiefe Fleischwunde am rechten Oberschenkel zugezogen, so dass er beim erneuten Auslaufen des Schiffes nicht mehr mit an Bord war. Es wurde ihm das Eiserne Kreuz verliehen und dazu wurde eine entsprechende Nachricht in der lokalen Zeitung eingerückt. Sein Vater klebte den Zeitungsausschnitt von hinten auf einen rechteckigen Glasquader, den er von nun an als Briefbeschwerer verwendete, den der Sohn später in seinen eigenen Haushalt übernahm, den Antons Tochter schließlich nach dem Tod des Vaters zu ihren Preziosen in ein hölzernes Kästchen legte.

      Anton befand sich also in Bruchsal auf Heimaturlaub, als die „Prinz Adalbert“ am 23. Oktober 1915, wieder im baltischen Teil der Ostsee, erneut von einem britischen U-Boot aus beschossen wurde. Dieses Mal wurde das Munitionsmagazin getroffen. Die Explosion riss das stolze Schiff entzwei, nur drei der 675 Mann Besatzung wurden gerettet. Eigentlich vier, denn Anton hatte sich immer noch zugehörig gefühlt. Er war außer sich, als er vom Schicksal seines Schiffes hörte, er weinte still in sein Kopfkissen, stundenlang verweigerte er die Nahrung, schlug mit beiden Fäusten an die Wand seines Zimmers, bis er den Schmerz der blutenden Risse spürte, bis er sich von seinem Vater einfangen und in sein Bett bringen ließ. Die Mutter kippte ein ganzes Fläschchen Baldrian in einen Schnaps und der Vater wendete nach langer Zeit wieder einmal einen Griff an, den er einstmals gelernt hatte zur Verteidigung im Fall einer Gefängnisrevolte, so zwangen die beiden ihren Sohn, den 192 cm langen und muskulösen Marinematrosen in sein Bett und hielten ihn fest, bis er in einen unruhigen zehnstündigen Schlaf absacken konnte. Als der Krieg zu Ende war, hatte für Anton längst ein neues Leben begonnen. Er landete auf dem Posten eines Grenzaufsehers in der Waldshuter Gegend, begann wieder Gitarre zu spielen, zog am Wochenende die Uniform aus und ging von Dorf zu Dorf, spielte und sang, nahm auch die Mundharmonika aus der Hosentasche und entlockte ihr die klagenden Melodien von einst. Zu allem, was man hörte aus Berlin, aus Hamburg, aus Kiel nickte er nur ein kleines bisschen mit dem Kopf. Er befand sich in einer Art Zwischenreich, war nicht tot, nicht lebendig, inzwischen Mitte 20 und ahnte, dass er etwas ganz Bestimmtes brauchte, um wieder an die Zukunft glauben zu können.

      Neujahr

      1919

      Johanna hat die glitzernden Perlenohrringe eingesteckt. Sie trägt ein wunderschönes von Helene entworfenes wadenlanges Kleid, schwarzer Tüll über einem weißen Crêpe-de-Chine-Unterrock, die blonden Haare mit Eigelb gespült. Sie hat einen Beau-Jour, denkt die Mutter. Auch Helene, Gott sei Dank, lächelt zumindest jetzt für das Foto, obwohl ihre Augen ganz verhangen sind. Diese ungute Sache mit dem jungen Mann, den sie sich so sehr in den Kopf gesetzt hat, schwebt immer noch wie eine dunkle Wolke über ihr.

      Die Kleinen sind im Bett oder jedenfalls in ihren Zimmern. Paul kommt erst später nach der Silvestergala, dann soll noch ein Freund von Johanna erscheinen. Willi zappelt herum. Er wirkt immer so, als ob er die anderen beiden suchen müsste. Sie waren halt immer wie zusammengewachsen, der Karl, der Willi und das Richardle. Mit seinen 17 Jahren ist der Willi nun kein Bub mehr und noch kein Mann. Da sitzt er, mittendrin und lacht über die zum Teil doch schon sehr anzüglichen Scherze, man hat einfach zu viel Wein getrunken; kaum zu glauben, wo der herkommt, man war es jetzt so lange nicht mehr gewöhnt. Mein Gott, dass wir wieder aufatmen können, dass auch der Bertel heil aus dem Krieg zurückgekommen ist, wo immer er wohl war, er sagt es ja nicht, er kann es nicht sagen, jedoch es halte jemand eine mächtige Hand über ihn, so drückt er es immer aus, wenn die Mutter ihm weinend die Wange streichelt zum Abschied, nachdem er wieder einmal vorbeigeschaut hat, aber nur kurz und wieder verschwindet nach Berlin in dieses Babylon! Der Kaiser fort, überall Aufruhr, nur nicht hier, hier in meinen vier Wänden. Wilhelmine atmet auf.

      Das Vorbeischauen ist das übliche Beziehungsmuster geworden in dieser Familie. Wenn sie nicht die vier Kleinen hätte! Die sind noch ganz bei mir, hier unter meinen Fittichen. Bei Sofies Geburt war Wilhelmine fast schon 40 Jahre alt. Es war trotzdem eine gute, eine leichte Geburt und gleich konnte sie sich über das Kindchen freuen, seine Pflege übernehmen ohne fremde Hilfe, es stillen, baden, wickeln, es auf dem Arm hin- und herschaukeln in den ersten Wochen, bis Sofies schreckliche Bauchkrämpfe vorüber waren und das Kindchen so richtig auf dieser Welt angekommen war. Jetzt ist ihre Jüngste immerhin schon fünf. Eine süße quirlige Prinzessin mit sehr viel Selbstbewusstsein, der Liebling ihres Vaters, er schaut in sie hinein wie in einen Spiegel. Dabei ist sie ganz bestimmt nicht so musikalisch wie die 15-jährige Paula oder gar wie Helene, die sogar in der Schule immer eine Eins gehabt hat in Musik, immer! Walter, der elfjährige Gymnasiast, auf dem besten Weg zum Professor. In Mathematik und Latein eine glatte Eins. Wo haben sie das nur her, meine Kinder? Und Hans, der groß gewachsene siebenjährige Hans, der ein bisschen dem Bertel ähnelt, so ernsthaft ist er, auch charmant mit seinen Grübchen in den Wangen und diesem Blick, den slawischen Schlitzaugen seines Vaters, aber blau sind sie, so grünblau wie meine, Wilhelmine schmunzelt stolz. Überall ist er sofort zu erkennen mit seinen flachsblonden Haaren. Wenn das so bleibt, dann wird er wohl ein Herzensbrecher werden, eines Tages.

      Ach ja, es ist leichter geworden, mein Leben, denkt Wilhelmine dankbar. Der Paul hat mit seiner Gesundheit zu tun, längst hat er nicht mehr so viel Energie wie früher. Seine Leidenschaft verwandelt sich allmählich in eine sanfte innige Zärtlichkeit. Bald sind wir 50. Dann sind wir ganz und gar auf der anderen Seite des Flusses angekommen, wie man so schön zu sagen pflegt, weil man diese Dinge ja nicht anspricht. Sie gehören in die Dunkelheit der Nächte.

      Bertel also aus dem Haus und der Willi hat gerade seine Lehre angefangen, kommt nur noch zum Schlafen nach Hause und hat ein Angebot für einen Platz im Lehrlingsheim. Lebt dort zusammen mit gleichaltrigen Burschen, da kann er sich messen und orientieren, das braucht er jetzt mehr als den elterlichen Schutz. Auch Johanna und Helene nur noch zum Schlafen hier. Vier verköstigen sich selbst, vier muss ich noch ernähren.

      Wilhelmine wird aus ihren Gedanken gerissen durch ein stürmisches Klingeln an der Eingangstür. Kurz darauf erscheint Johanna Hand in Hand mit einem sehr hübschen jungen Kerl, der direkt auf Wilhelmine zugeht:

      „Mein Name ist Willi Gilles“, sagt er. „Ist denn auch Ihr Mann da, Frau Sömmer? Ich möchte mit ihm sprechen.“

      Da weiß Wilhelmine Bescheid. Sie freut sich, oh, sie freut sich so sehr. Es wird eine Hochzeit geben, СКАЧАТЬ