Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick. Petra Häußer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick - Petra Häußer страница 11

Название: Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick

Автор: Petra Häußer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Lindemanns Bibliothek

isbn: 9783963081613

isbn:

СКАЧАТЬ stoßen, sich aufplustern zu einer wütenden Reaktion. Ob der Beruf ihres Vaters, ihr Aussehen oder ihr Wesen sie an den Rand der Gesellschaft getrieben hatten, ist bis heute schwer zu sagen. Ihre hartnäckigen Versuche, dabei zu sein, wenn sich die jungen Leute aus der Nachbarschaft trafen, um zu tanzen, oder sich gemeinsam aufmachten in die Kraichgauer Weinberge, um in den goldenen Herbstnachmittagen der Septemberwochenenden den ersten neuen, leicht bitzelnden Wein zu kosten, waren der Einsicht geschuldet, dass sie diesen Kontakt brauchte, dass sie eigentlich dazugehören wollte, dass sie wie andere junge Mädchen darauf aus war, einen zu finden, der sie zur Frau nähme. Es schien hoffnungslos, bis einer kam, der auch nicht dazugehörte, ein Fremder, der anders sprach und anders angezogen war. Er sah sie direkt an, nahm keinen Umweg über die blonden anschmiegsamen Kichererbsen oder irgendeine reiche Weinbauerntochter, er holte SIE zum Tanzen auf die Holzplanken, die man auf der Burg Ravensburg unter die alten Kastanienbäume gelegt hatte, damit es schön knallte, wenn man bei der Polka mit den Fersen aufstampfte. Im abnehmenden Licht setzten sie sich in einer Tanzpause auf die Mauer und sahen einander in die Augen, nachdem sie sich vollgetrunken hatten mit der Schönheit der umliegenden Rebenhänge. Wo kommt er denn her, will sie wissen, was macht er, womit verdient er sein Geld?

      Er ist nur zu Besuch hier in Bruchsal bei seiner Patentante, kommt eigentlich von weither, von Amerika, da lebt er schon einige Jahre.

      Und warum lebt er in Amerika und warum ist er jetzt heute hier?

      Ursprünglich stammt er aus dem Murgtal, ist der ledige Sohn einer Bauerstochter, die von ihrem Vater aus dem Haus gejagt worden war, als sie ihn erwartete, die dann unterkam in Gernsbach in einem großen Haus, bei einer feinen Familie, einem Juden, der ein Menschenfreund war und sie sogar in seine Küche ließ, ihr erlaubte, das für sich und ihr Kind mitzunehmen, was nicht aufgegessen wurde. Sie lebten ganz gut, bis seine Mutter starb. Er war gerade 14 geworden und dem zunehmend komplizierten Leben noch kaum gewachsen. Schließlich kam er unter bei den Flößern im Kinzigtal, lernte mit der Axt und dem Löffelbohrer, sämtlichen Flößerhaken und Krempen umzugehen und schlief mal da und dort, wohin einer ihn mitnahm, manchmal einfach nur in einer der kleinen Tiroler Heuhütten. Das Flößen ist eine verflucht gefährliche Sache und er wäre darin stecken geblieben, immer nur die Drecksarbeit zu machen. Die einträglichen Positionen blieben in der Hand weniger Familien, dazu gehörte er nicht. Deshalb ging er mit, als einer seiner Kumpels ihm vom Gold erzählte, das man in Amerika finden konnte und das einen armen Mann dann über Nacht reich macht.

      Lina hörte ihm gebannt zu, dem Fremden. Als er die Stadt beschrieb, in der er jetzt wohnte, die Forty Mile hieß und an einem wunderschönen Fluss gelegen war, in der es ein Theater und Restaurants, sogar eine Bücherei gab und vor allem Gesetze, die das Zusammenleben der Menschen dort sicherten, leuchteten ihre Augen. Jetzt war er zurückgekommen, um sich eine Frau zu suchen. Die Patin hatte ihm in all ihren Briefen die Bruchsaler Mädchen angepriesen. Wie tüchtig sie seien und wie schön. Ihm stand nicht der Sinn nach einer Indianerin, er wollte jemanden neben sich haben, mit dem er sich in seiner Muttersprache unterhalten konnte und der wusste, wovon er sprach, wenn er „Weihnachtsbaum“ und „Butterbackes“ sagte.

      Sie waren sich schon an diesem Abend einig. Waren verlobt, bevor sie hätten ein Liebespaar werden können.

      Lina packte ihre Sachen und stand bereit, als Bertold einige Tage später im Morgengrauen zum Haus kam, das sie ihm beschrieben hatte, um sie abzuholen, da wusste er noch nicht einmal ihren Nachnamen. Die Tochter des Henkers sah hier ihre Chance, alles hinter sich zu lassen, was sie einengte und verbitterte. Den Vater und seinen Ruf, den Blick auf ihre ungute Haarfarbe, das Gezeter über ihren Widerspruchsgeist. Noch leuchteten die Augen des Fremden, wenn er sie ansah, das musste man nutzen.

      Drei Tage waren sie unterwegs mit verschiedenen Kutschen, bevor sie in Bremerhaven ankamen. Lina hatte Hunger und Durst, aber sie freute sich darauf, bald eine verheiratete Frau zu sein und weg von allem, was sie zu Hause ihr Leben lang beschämt und enttäuscht hatte. Der Kapitän ihres Schiffes würde sie trauen, das hatte Bertold ihr erklärt, und so fand eine kleine Feier auf dem Schiff statt. Mit salbungsvollen Worten, einem Abschnitt aus der Bibel und einem Glas Schnaps hinterher wurde aus Lina Reinhard Lina Klumpp. Bertold übergab dem Kapitän dafür einen Großteil seiner Ersparnisse, in der Gewissheit, dass er dieses Loch im Beutel drüben überm Teich bald wieder würde füllen können.

      Das Schiff lief aus und steuerte auf die englische Südküste zu. Im Kanal allerdings wurde es in einen Sturm hineingetrieben, man sah nur das tobende Wasser ringsum, die schäumenden Riesenwellen schlugen übers Deck, keiner der Passagiere durfte seine Kabine verlassen. In Linas Kabine lagen in mehrstöckigen schmalen Kojen 16 Frauen, wenn sie sich nicht um die Eimer drängelten, in die sie sich erbrachen, die sie einander wegrissen oder auch zuschoben, denn es gab dort die einen und die anderen wie überall auf der Welt und immer im Leben: diejenigen, die neidisch das eigene Wohl in den Vordergrund schieben und die, die sich auch umsehen nach denjenigen, die neben ihnen stehen und deren Bedürfnisse anerkennen. Lina hatte genug von Schiffsreisen.

      Als sie mit Verzögerung nach vier Tagen und Nächten, in denen sie sich in der Hölle gewähnt hatte, in Plymouth ankamen, erklärte Lina ihrem neuen Ehemann – das war er vorerst nur auf einem Papier –, sie gehe von Bord und mit dem nächsten Schiff zurück nach Hause.

      Vielleicht deshalb, weil er sie ja so sehr hatte haben wollen und noch nicht gehabt hatte, weil er sich mit Leib und Seele nach ihr sehnte und genau wusste, dass sie die Richtige für ihn war, die einzige Richtige, die es jemals für ihn geben würde, und weil er sie eben für immer haben wollte, ging er zurück mit ihr und blieb. Zog ein in eine kleine Stube unterm Dach in das Haus des Henkers, der längst schon ein Taglöhner geworden war, einer, den man jederzeit rufen konnte, wenn etwas repariert werden musste.

      Bertolds Schwiegervater war ein anständiger und grundgütiger Zeitgenosse. Er nahm ihn mit auf seine Einsätze und half ihm, eine Reputation als geschickter Mann fürs Grobe und Feine aufzubauen. Lina und Bertold bekamen nacheinander sechs Kinder. Nur zwei davon wurden erwachsen. Die bösen Nachbarn behaupteten, Lina habe sich am Geschrei der Säuglinge so sehr gestört, dass sie versucht habe, sie mit Schnapswickeln ruhigzustellen. Nur Sohn Anton und seine Schwester Karoline hätten diese Rosskur ausgehalten und somit die Feuertaufe fürs Weiterleben bestanden.

      Anton war ein braves, aufgewecktes Kerlchen, geschickt mit den Händen, folgsam und bedächtig. Er schlug sowohl dem geduldigen und sanftmütigen Vater als auch dem umgänglichen Großvater nach. Er las gerne und hatte eine schöne Singstimme. Die einzige Lehrstelle, die sich für ihn fand, als er seine Schulzeit beendete, war in der Schreinerei vom Gefängnis. Dort lernte auch er wieder mit Holz und den zu seiner Bearbeitung geeigneten Werkzeugen, der Stich-, Kapp- und Kreissäge, dem Hammer, der Feile und sogar mit dem Hobel umzugehen. Er lernte Tisch- und Stuhlbeine zu drechseln, Leim und Schellack mit einem Pinsel aufzutragen, wo sie gebraucht wurden, gerade so dick und so flächig wie nötig. Er war anstellig, fleißig, zuverlässig. Hatte außerdem eine gut leserliche Handschrift und ein außergewöhnliches Gespür für Orthografie und Grammatik. Das kam vom vielen Lesen. Wann immer er Zeit dafür hatte, hielt er sich ein Buch vor die Nase und verschwand in fernen Welten. Er wusste mehr über die Goldgräberstädte in Amerika und Kanada als sein Vater. Das Abtauchen in erfundene Wirklichkeiten brauchte er, denn es fiel ihm schwer mitanzusehen, wie man zuweilen mit den Gefängnisinsassen umsprang. Wenn einer nicht spurte, dann brachte man ihm die Flötentöne bei, wie es die breitschultrigen Wärter mit den kantigen Kieferknochen nannten. Die Häftlinge wurden gestoßen, getreten, in den Bauch geboxt und alle wandten das Gesicht ab, wollten nichts gesehen haben. Das verletzte Antons Gerechtigkeitsgefühl, es machte ihn krank zu sehen, wie sich jeder Nicht-Gefangene das Recht herausnahm, die Einsitzenden wie ein Stück Dreck zu behandeln. Hätte man nicht erst einmal ihre Geschichte anhören müssen, hätte man sich nicht erst einmal ein Bild machen müssen, wie es dazu gekommen war, dass sie gestohlen oder betrogen hatten? Auch den Mördern war es manchmal möglich, eine plausible Erklärung für ihr Verbrechen zu geben. Hätte man sich nicht erst einmal dafür interessieren müssen, bevor man sich dem Urteilsspruch СКАЧАТЬ