Ein Schmierer namens Vallentin. Hein Bruns
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ein Schmierer namens Vallentin - Hein Bruns страница 5

Название: Ein Schmierer namens Vallentin

Автор: Hein Bruns

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750213999

isbn:

СКАЧАТЬ Wir verlassen Europa. Heizen tue ich nicht mehr, bin wieder Schmierer. Stehe zwischen auf- und abwärts schwingenden Eisenmassen und zähle die Öltropfen in die Lager. In Armlänge fauchen die Nieder- und Hochdruckkolbenstangen auf und nieder, schlittern die Gleitbahnen, zischt der Dampf. Und ich zähle die Tropfen in die Lager. Alles ist von glühender Wärme. Das Geländer, die schwingenden Eisenteile, die Lager. Der Neue hat natürlich die Mittelstation, wo es am wärmsten ist. Ich schwitze wie ein chinesischer Kuli, der Schweiß steht mir in den Schuhen. Ernesto ist mein Wachkumpel, und Ernesto ist in Ordnung. Ernesto ist eine Art Mann, vor dem jeder so etwas wie Respekt aufbringt. Sogar die „Ärmelstreifen“. Was Ernesto für ein Landsmann ist, sagt er nicht, und ich habe es auch nie erfahren ... so ist er staatenlos. Er selbst behauptet von sich, dass er Kosmopolit sei. Seinen Namen bekam er von einer Hure, die in Buenos Aires besoffen in der Gosse lag und ihn anscheinend mit jemand anderem verwechselte. Sie lallte immer nur „Ernesto“. Der Rest ersoff im Speichel, der ihr aus dem geschminkten Mund triefte. Ernesto half ihr auf die Beine und ins Bett. Ernesto hatte überhaupt bei den Huren einen dicken Schlag; er konnte auch mit ihnen umgehen, und vor allen Dingen, er übersah ihr Gewerbe, tat so, als wäre jede seine große Liebe. Ließ das Gespräch gar nicht auf das Geschäftliche kommen, und ich glaube, er war wirklich in jede Hure verliebt. Ernesto spricht Skandinavisch wie ein Nordländer, Deutsch wie ein Hannoveraner und echtes Londoner Cockney, Französisch lernte er in der Legion. Dort ist auch seine Haut gehärtet worden. Er besteht nur aus Sehnen und Haut. Kann tage- und nächtelang saufen, kann aber auch tage- und nächtelang arbeiten. Er ist ein Superzyniker und von einer brutalen Offenheit. Kennt alle menschlichen Schwächen und Fehler und dunklen Seelenflecke und legt sie so schonungslos dar, dass uns alten Halunken noch so etwas wie Schamröte hochkommt. Schamröte aber nur, weil Ernesto das auszusprechen wagt, was wir meinen, sei tief in unserem Innern verborgen. Und wir sind, weiß der Teufel, nicht prüde. – Viel später war das. Am Strand von Miami lagen wir und sonnten unsere Glieder. Zwischen Millionären, Playboys und Welt- und Halbweltdamen rekelten wir uns in der Sonne Floridas. In der Badehose sind Millionäre von Abenteurern und Seeleuten nicht zu unterscheiden, denn auch diese sind tätowiert. Nur dass deren feudale Herrenausrüstung in den Apartments der Strandhotels liegt, unsere Nietenhosen und Buschhemden sich aber hinter der steinigen Strandmauer knüllen. Da brachte es Ernesto fertig, zu einer reizenden und wohl auch eleganten Dame im gewagten Bikini zu sagen „Auch Sie, meine Dame, haben schon mit Ihren reizenden Fingerchen zwischen Ihren Fußzehen herumgefummelt und anschließend Ihre süßen Fingerchen berochen, oder nicht? Die Dame, verblüfft, wurde rot, überlegte, stotterte, von so viel Offenheit entwaffnet, gab es zu. Erhob sich aber dann und ging, schmalhüftig, ohne ihn auch nur noch eines Blickes zu würdigen. So sagte Ernesto zu mir: „Neuer, hast du schon jemals an deine Fußsohlen gedacht?“ „An Fußsohlen?“ „Ja, hast du sie schon jemals gewaschen? Sei doch ehrlich. Wozu auch? Wenn du an Land gehst und mit einem Mädchen schlafen willst, bearbeitest du doch deinen ganzen Körper. Schrubbst ihn von oben bis unten, besonders den unteren Teil, oder nicht? Deine Haare kriegen das, was du gerade zur Hand hast, Haarwasser, Öl oder Brillantine, zumindest aber eine Handmassage, oder nicht? Deinen Fingernägeln versuchst du doch einigermaßen weltmännischen Schliff zu geben und kratzt den Scheiß aus den Trauerrändern. Aber an deine Fußsohlen denkst du nicht. An sich verständlich. Denn mit Fußsohlen kann man keinen Staat machen, mit Fußsohlen kann man auch keine Frau verführen. Mit Fußsohlen kann man nicht angeben. Ob sie weich und weiß wie Hühnerfleisch sind oder fest und trocken wie Rindleder, niemand kümmert sich darum, nicht einmal du selbst. Ich habe jedenfalls noch mit keiner Frau im Bett gelegen, die nach meinen Fußsohlen gefragt hat, geschweige sie hat sehen wollen. Ich muss sagen, seitdem wasche ich meine Fußsohlen.

      Gran Canaria

      Tage um Tage und Nächte um Nächte vergehen im Gleichmaß der Seewachen. Es hat sich alles eingespielt, die Arbeit, der Schlaf, die Fresserei; nur, ich bin immer noch der Neue und bin darum auch meistens allein. Vielleicht liegt es auch an mir, vielleicht sind es die Gummifäden. An Steuerbordseite liegen im Blau und in der Sonne die Kanarischen Inseln. Die Spitzen der Berge in weißer Watte verpackt. Ich liege auf der Back in der Sonne und döse. Freiwache. Gran Canaria … Gran Canaria und diese Narbe auf meinem Bauch, dick; wie eine Kordel, gehören zusammen. Da nahmen sie mir, die „Weißbekittelten“ im Krankenhaus Puerto de la Lus in Las Palmas den Blinddarm raus. Und das war höchste Gefahr. Sie schnitten mir den halben Leib auf und kratzten mir den Eiter aus dem Bauch. Das musste ja wohl so sein. Die Narbe werde ich nie mehr los. Ich gebe ja zu, dass ich schuld daran habe, dass die Narbe wie ein Strick aussieht, denn jedes Verheilen verhinderte ich mit den Fingernägeln. Ja, verdammt noch mal, was sollte ich denn aber auch machen, wo sollte ich denn hin? In Antwerpen war ich eingestiegen, in Las Palmas musste ich dieses verdammten Blinddarms wegen wieder aussteigen. Verdiente Heuer war für die Katz. Der Dampfer fuhr ohne mich nach Südamerika. Es gab nichts, was ich nicht unternahm, um den Aufenthalt im Krankenhaus zu verlängern. Ich kratzte die kaum verheilte Wunde wieder auf, ich soff hochkonzentrierten Kaffee, damit die Pumpe tausend Touren machte, ich fraß Kautabak, um das Fieber hochzutreiben, ich bearbeitete meine Fußsohlen mit einer Schuhbürste und rieb die Sohlen dann mit Petroleum ein, um gehbehindert zu werden. Aber die „Weißbekittelten“ kamen bald hinter meine Masche und setzten mich nach vier Wochen auf die Straße. Schwester Magdalena segnete mich und stellte mich unter Gottes Schutz ... sie hätte mir lieber ein Fresspaket mitgeben sollen. So schlich ich wie ein angeschlagener Boxer durch die winkeligen, verkommenen Straßen von Puerto de la Lus. Keine Peseta auf der Naht und Kohldampf bis unter beide Arme. Was sollte ich machen? Ich musste mir irgendwo, und das sofort, einen Job suchen. Und so verdingte ich mich für vier Wochen als Kalb. Im Armeleuteviertel von Las Palmas, wo sollte ich mich sonst auch wohl aufhalten, gibt es keine Milchwagen. Hatte eine Kuh gekalbt, zog man mit ihr von Haus zu Haus und melkte sie nach Bedarf. Da ein Kalbfell immer ein Kalbfell bleiben wird, murkste man das Kalb ab, wenn es eine gewisse Größe erreicht hatte, und irgendein armer Deubel rennt dann mit dem Kalbsbalg der Kuh vorneweg. So zog man mir das Fell über die Ohren, und ich walzte auf allen Vieren und für magere Peseten vor dem vierbeinigen Milchwagen einher. Aufrichten tat ich mich nur, so Mutter gemolken wurde. Ja, das klingt witzig, und doch war es eine harte Arbeit. Die Steine, die Sonne, der Staub und meine Hände. Aber der Wein in den Bodegas war billig. Das Nähmädchen Manuela Lorenzo, ein hübsches Kind, das jeden Morgen mit trippelnden Schritten im Nebenhaus verschwand und nie vergaß, mir

      einen heißen Blick zuzuwerfen, hatte es mir angetan. Mehr ist auch nicht daraus geworden. Von meiner Bude aus konnte ich über die See und das Pik von Teneriffa sehen. Zwölf Peseten Miete musste ich für das Loch bezahlen, und die wollten erst einmal verdient sein. Als meine Handflächen ohne Haut waren, und die Gefahr bestand, dass ich einen Kamelhocker kriegen würde, schmiss ich dem Milchseñor das Scheißfell vor die Füße und legte ihm nahe, den Betrug der Kuh ohne mich weiterzumachen. – In der Bar „Zur grünen Olive“, so nannte ich sie, die sich zwischen die baufälligen Giebelhäuser einer Seitengasse von Puerto de la Lus klemmte, ging es allabendlich bunt zu, weil der Wein so billig war, die Windlichter flackerten und Inez so einen weißen, sichtbaren Busen hatte. Außerdem nahm Inez mir die geschmuggelten Chesterfields und Camels und Lucky Strikes ab. Dass sie mich immer gehörig beschiss, lag wohl an ihrem Beruf. Dass sie mir hin und wieder einen gewagten Griff an ihre Brust erlaubte oder dass ich ihren Mund zwischen Tür und Angel mal küssen durfte, sie mich aber nie bei sich schlafen ließ, lag auch an ihrem Beruf. Sie wollte mich an der Stange halten. Ich krabbelte auf den großen Steamern umher und kaufte Zigaretten, stangenweise. Verstaute sie am Bauch, zwischen den Beinen, in den Strümpfen. Die Zöllner waren wie Spürhunde. Der karge Verdienst stand in keinem Verhältnis zu dem Risiko, eben weil Inez mich beschiss, und erwischte man mich, war ich geliefert, und wer je in spanischen Kalabussen saß, kann davon ein Lied singen. Für Wein, Brot und Miete aber langte es. Meinen Seesack gab ich ins Pfandhaus zur Aufbewahrung, dort wird er auch nicht geklaut. Seeleute aller Nationen, Farben und Rassen wollen was erleben. Seeleute aller Herren Länder wollen Weiber und Wein. Ich kenne das von mir. Und ich brachte sie hin zu den Puffs und Lasterhöhlen, Nahkampfdielen und Nachtclubs. Ich befreundete mich mit einem Taxifahrer und nahm immer denselben, bekam für jede Fuhre drei jämmerliche Peseten, aber immerhin. Wenn aus den Puffs die Musikboxen plärrten und quäkten und laut geskålt und geprostet СКАЧАТЬ