Ein Schmierer namens Vallentin. Hein Bruns
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Название: Ein Schmierer namens Vallentin

Автор: Hein Bruns

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750213999

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СКАЧАТЬ Armen, auf der Brust, und der oder der manchmal noch auf anderen Körperteilen. Es gibt tätowierte Mäuse, die im Arsch verschwinden wollen, es gibt blaue Schmeißfliegen auf den Hoden. Es gibt Anker und Seemannsgräber, mit Rettungsringen und Christenkreuzen und Schiffswracks und untergehender Sonne. Es liegen Tiger zum Sprung auf Arm und Bein, rotkrallig. Es lächeln rassige Frauenköpfe, es ringeln sich Schlangen um die Beine, es segeln Viermastbarken quer über behaarte Brüste. Ja, ein Frauenschoß zeigt sich geöffnet mit angedeuteten Schenkeln. Farbig, rot, blau, grün. Emil sammelt übrigens Schamhaare, das hat er mir bei der Arbeit erzählt. Das erste, was er mir erzählte, und seine Sammlung dürfte ich auch einmal sehen. Nein, nein, da ist auch nichts Heroisches, nichts Heldenhaftes und nichts Gewaltiges an uns. So was liest man nur in guten Seeromanen, in denen von stillem Sterben, von wilden Stürmen, von mörderischen Grundseen und lieblichen Haitimädchen, von romantischen Sonnenuntergängen und von heimwärts tuckernden Fischerbooten auf schwarzsamtenen Fluten gesprochen wird.

      Wir sind wohl blond oder schwarz, wir sind wohl stark oder schwach, aber wir sind nicht vom Wind und von der See gegerbt.

      Der Alkohol ist nett zu uns ... und wir zu ihm. Die Weiber sind nett zu uns ... und wir zu ihnen. Ich sage Weiber, denke nicht an Mädchenpensionate, sondern an Puffs. Die Winden an Deck sind stumm. Die Ladeluken geschlossen. Die Ladebäume in den Halterungen vertäut. Die Gangway eingezogen. Die gelben, grauen und weißen Häuser Bilbaos kleben an den Hängen. Die Dächer leuchten, rot, schwarz, grau, rot, schwarz, grau rot und rot. Rauchfahnen malen den Himmel schmutzig. Kohlen an der Pier glitzern und glänzen in der Sonne. Das Gebilde aus Eisen und Farbe, Rost und Dreck, Menschen und Erwartungen, Hoffnungen und Schmerzen gleitet aus dem Hafen. Die Gummibänder werden jetzt wohl dünner werden. Irgendwo werden sie zerreißen. Der Rio Nervion läuft uns entgegen, und aus einem eckschiefen Fenster eines altersschwachen Hauses im Hafenviertel zu Bilbao winkt eine brüchig verwaschene Gardine.

      Lang und träge ist die Dünung des Nordatlantiks. Die Küste Spaniens schiebt sich an Backbordseite vorbei. Das Schiff ist eine schwimmende Insel, wie losgelöst vom Festland. Die Menschen sind mit losgelöst vom Festland. Ihre Freuden und Leiden, ihre Gedanken und Empfindungen, ihre Begierden und Sehnsüchte, ihre Höhen und Tiefen menschlichen Seins, das alles ist losgelöst vom Festland. Das Schiff ist eine schwimmende Insel. Eine Insel mit Kastengeist. Wir vorne und „die“ achtern. Wir vorne sind das Volk und „die“ achtern die Herren. Aber auch die Herren sind Menschen.

      Heute Abend gibt es Hammelfleisch und Kohl. Der Kapitän ist ein Grieche. Darum Hammelfleisch. Dieser hier, ein gedrungener, schwarzhaariger Kerl mit Rattenaugen. Stets weiß und korrekt gekleidet, stets das Volk übersehend, stets nur bissig fragend und bissig antwortend. Anspringen könnte ich ihn jetzt schon. Bei Wachablösung mittags läuft er auf dem Kapitänsdeck hin und her. Das Weiß seines Anzuges lacht uns aus, das Gold der Tressen und Mütze peinigt uns. Die Rattenaugen und der kleine schwarze Bart fordern auf zum Hineinschlagen. Meinen ersten Gruß hat er nur einmal überhört, ich grüße nicht wieder. Kapitäne sind Menschen. Kapitäne, deren habe ich viele kennengelernt. Kapitäne sind wie Jungfrauen, unnahbar, unberechenbar. Kapitäne sind wie Huren, zugänglich, käuflich, für jeden da. Kapitäne sind wie Katzen, falsch, verschlagen, hinterlistig. Kapitäne sind wie Hunde, zuverlässig, treu, echt, stark. Kapitäne sind wie Bäume, gerade, knorrig, alt, erprobt. Kapitäne sind wie Geier, habgierig, geizig, verfressen. Sie sind wie alte Weiber, verschwatzt, hysterisch, hinterhältig, Sie sind wie junge Mädchen, frisch, fröhlich, lebendig, lustig, lebensbejahend. Kapitäne sind wie du und ich … Menschen. Heute Abend gibt es Hammelfleisch mit Kohl. Wir sitzen nicht allhands an der Back. Nur mit Fünfen. Und der Moses. Zwei Mann sind auf Wache. So ein harter Arbeitstag im Hafen und ein paar Tage auf See bringen uns einander näher. Nationalität, Rasse, Farbe der Haut brauchen wir nicht zu überbrücken. Wir sind uns näher, wir sehen uns schon unverhohlener an. Wir kommen uns näher, weil wir uns schon einige Male gewaschen und den Land- und Weibergeruch abgespült haben. Wir finden Brücken des Verständnisses leichter, weil wir eigentlich unkompliziert sind, weil wir uns bei der Arbeit mit dem Vorschlaghammer abgelöst und uns den schweren Schraubenschlüssel zugereicht haben und an der Kette des Fünf-Tonnen-Flaschenzuges gemeinsam zogen. Männer, primitiv wie wir, kommen sich leichter näher. Männer, wie sie die See nach ihren Gesetzen formt, in einen Raum zwingt, an eine Back bannt, nebeneinander und übereinander schlafen lässt, finden eher zusammen. Das Hammelfleisch ist fett und der Kohl sandig. Das Fett ist halt und körnig, der Kohl knistert zwischen den Zähnen. Meine letzten Klamotten reiße ich aus dem Seesack und verstaue sie im Spind. Ich bin der Neue, ich habe das schlechteste Spind. Es steht in der dunkelsten Ecke, und die Tür hängt, und die Füße sind verrostet.

      Ich gehe noch ein paar Minuten an Deck. Die Sonne ist nur noch eine halbe Scheibe, gleich hat der Westen sie verschluckt. Die Küste gleitet eben sichtbar mit. Das Bugwasser rauscht. Der Fahrtwind lässt die Wanten zittern.

      Die Positionslampen im Vor- und Achtermast brennen gelb. Der Moses, der Mischling, klappert mit dem Geschirr. Kaltes Hammelfleisch mit kaltem Wasser von den Blechtellern wieder runter kriegen... das muss man können. Ich gehe wieder in das Logis zurück und in die Koje. Wickle mich in meine graue Wolldecke und schlafe. Mich stört nicht das Stimmengewirr, nicht der Tabakrauch, nicht das Rauschen der Bugwelle und auch nicht das Geklapper und Geschepper des Geschirrs. Ich habe die Hundewache, 12 bis 4Uhr in der Nacht, 12 bis 4 Uhr am Tage. Die Neuen kommen immer erst auf die Hundewache. Um halb zwölf muss ich wieder aufstehen. Ernesto geht mit mir zusammen die Wache. Ernesto ist staatenlos. „Rise, rise, Neuer, arriba, du bist um zwölf am Törn. Allerhand Arbeit unten, komm hoch!“ Ich bin immer noch der Neue, werde wohl auch der Neue bleiben, bis ein Neuer kommt, oder bis eine Sauferei oder Schlägerei gewesen ist. Dann sagen sie zu mir Valentin, aber auch nur dann, wenn ich mich in der Sauferei oder Schlägerei bewährt habe. Das ist auf allen Schiffen so. Wir sind nicht empfindlich, oh nein!

      Der Tee ist schwindsüchtig, den ich trinke. Zucker habe ich nicht, die andern aber. Gestohlen in der Kombüse. Oh, auch ich kriege noch einmal Zucker. Nein, so nahe sind wir uns noch nicht, dass man schon beginnt, mit mir zu teilen oder zu makkern. Ich das und frage auch nicht nach Zucker. Würde ich anders handeln als sie? Nein, ich hielte es auch so. Die Heizer klappern schon mit ihren Holzpantoffeln übers Deck. Ernesto und ich folgen, wir sind Schmierer. Der Mond ist blank wie ein Kinderarsch und auch gelb. Die See liegt glasig. Die Positionslampen an den Masten brennen heller. Die Brücke hüllt sich in Dunkel. Das Ungeheuer Schiff hat ein grünes und ein rotes Auge. Grün an Steuerbord und rot an der Backbordseite. Das Ungeheuer Schilf hat auch einen Bauch und Beine. Beine, die nach oben zeigen. Das Ungeheuer Schiff ist unsichtbar, bis auf die Augen, rot und grün. Und die Beine, weil sie helles Licht haben. Da draußen ziehen viele, viele Ungeheuer. Lautlos, nur mit Augen, vorbei. Lautlos. Schemenhaft. Nur mit Augen, rot oder grün, und auch mit erleuchteten Beinen. Die Küste zieht Lichterketten und ist in Abständen dunkel ... da fehlen Perlen. Lichtaugen stechen in die Nacht – Blinkfeuer. Lichtfinger greifen in die Nacht – Leuchtfeuer. In dieser Nacht, auf dieser Wache, muss ich heizen. Ein Heizer ist ausgefallen, hat sich verbrannt, liegt in der Koje. Der Neue muss heizen. Oh, der Neue kann heizen. Der Neue hat schon geheizt. Die Feuerschlünde der Dampfkessel werfen Glut und brennendes Licht auf die nackten, blanken, schweißtriefenden Oberkörper. Die Feuerschlünde sind gierig und unersättlich und fressen und fressen Kohle, Kohle, Kohle. Kohle, Eisen, Fleisch, Schweiß. Die Feuertüren der Kessel klappen auf und zu, auf und zu. Klapp klapp, die Feuertüren. Kohle, Kohle. Gebückte Menschen, geduckte, gebeugte Oberkörper und wieder aufgereckte. Schaufel auf Schaufel mit Kohle. Schweiß. Blanke Rücken. Schaufel. Kohle. Feuerschlünde. Ratsch, ratsch, die Schaufeln auf den Eisenplatten. Gepolter der nieder rauschenden Kohle in den Bunkern. Dünner Tee aus versprengten Tassen. Rote Glutpyramiden der Zigaretten. Sie peilen mich auch hier von der Seite an. Sie sagen nichts. Feuertüren. Aschfall. Schaufel. Die Feuerschleusen reißen die Glut auf. Die Feuerkrücken verteilen die Glut. Dann wieder Kohle – Kohle. Schaufel auf Schaufel. Und Manometernadeln zittern, und der Aschfall unter den Rosten ist hell. Und oben an Deck gehen die Nacht und die See und die Nacht und die See und der Mond. Ziehen an den Küsten Perlenketten. Die Augen des Ungeheuers starren in die Nacht, rot und grün.

      Die СКАЧАТЬ