Der Weg ins Freie. Arthur Schnitzler
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Название: Der Weg ins Freie

Автор: Arthur Schnitzler

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754188415

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СКАЧАТЬ fragte Georg gedehnt. »Mit wem denn?«

      »Raten S' Baron.«

      »Am Ende Hofrat Wilt?«

      »O fröhlich!« rief Willy. »Der denkt wohl nicht daran! Die Verschwägerung mit S. Ehrenberg könnte ihm doch am Ende die Ministerkarriere erschweren heutzutage«

      »Rittmeister Ladisc?« riet Georg weiter.

      »Ah dazu ist Fräulein Else doch zu gescheit, daß sie dem hineinfällt.«

      Jetzt erinnerte sich Georg, daß sich Willy vor ein paar Jahren mit Ladisc geschlagen hatte. Willy fühlte Georgs Blick, zwirbelte den blonden, in polnischer Art herabhängenden Schnurrbart mit etwas nervösen Fingern hin und her und sprach rasch und beiläufig: »Der Umstand, daß ich mit dem Rittmeister Ladisc einmal eine Differenz gehabt hab', kann mich nicht hindern, in loyaler Weise anzuerkennen, daß er immer ein versoffenes Schwein gewesen ist. Ich hab' nämlich eine unüberwindliche, auch durch Blut nicht abzuwaschende Abneigung gegen die Leute, die sich bei den Juden anfressen und schon auf der Treppe über sie zu schimpfen anfangen. Bis ins Kaffeehaus kann man doch warten. Aber strengen Sie sich nicht weiter mit dem Raten an, Heinrich Bermann soll der Glückliche sein.«

      »Nicht möglich«, rief Georg.

      »Warum?« fragte Eißler. »Einer wird's ja doch schließlich werden. Bermann ist zwar kein Adonis, aber er ist auf dem Wege zum Ruhm; und das Gemisch von Herrenreiter und Athleten in höchster Vollendung, das sich Else offenbar erträumt hat, wird sie ja doch kaum finden. Vierundzwanzig Jahre ist sie indessen alt geworden, vor Salomons Taktlosigkeiten und Witzen dürfte ihr auch schon genügend grausen ... also ...«

      »Salomon? ... ach ja ... Ehrenberg«.

      »Sie kennen ihn auch nur unter dem Namen ›S‹? ... S. heißt natürlich Salomon, und daß nur S. auf der Tafel an der Tür steht, ist eine Konzession, die er den Seinen gemacht hat. Wenn es nach ihm ginge, möchte er am liebsten zu den Gesellschaften, die Madame Ehrenberg gibt, im Kaftan und mit den gewissen Löckchen erscheinen.«

      »Sie glauben ...? Er ist doch nicht so fromm?«

      »Fromm ... o fröhlich! Mit der Frömmigkeit hat das allerdings nichts zu tun. Es ist nur Bosheit, hauptsächlich gegen seinen Sohn Oskar mit den feudalen Bestrebungen.«

      »Ach so«, sagte Georg lächelnd. »Ist denn Oskar nicht schon längst getauft? Er ist ja Reserveoffizier bei den Dragonern.«

      »Ach darum ... Nun, ich bin auch nicht getauft und trotzdem ... Ja, es gibt immer ein paar Ausnahmen ... Mit einigem guten Willen ...« Er lachte und fuhr fort: »Was übrigens Oskar anbelangt, so möchte er gewiß lieber katholisch sein. Aber das Vergnügen beichten gehen zu dürfen, käme ihm vorläufig doch noch zu teuer zu stehen. Es wird wohl auch im Testament vorgesehen sein, daß Oskar nicht überhüpft.«

      Sie waren vor dem Café Imperial angelangt. Willy blieb stehen. »Ich habe da ein Rendezvous mit Demeter Stanzides.«

      »Grüßen Sie ihn, bitte.«

      »Danke bestens. Kommen Sie nicht mit hinein, auf ein Eis?«

      »Danke, ich bummle noch ein bißchen.«

      »Sie lieben die Einsamkeit?«

      »Auf so allgemeine Fragen läßt sich schwer antworten«, erwiderte Georg.

      »Allerdings«, sagte Willy, wurde plötzlich ernst und lüftete den Hut. »Habe die Ehre, Herr Baron.«

      Georg reichte ihm die Hand. Er fühlte, daß Willy ein Mensch war, der ununterbrochen eine Stellung verteidigte, wenn auch ohne dringende Notwendigkeit. »Auf Wiedersehen«, sagte er mit unvermittelter Herzlichkeit. Er empfand es, wie schon öfters, als beinahe sonderbar, daß Willy Jude war. Schon der alte Eißler, Willys Vater, der anmutige Wiener Walzer und Lieder komponierte, sich kunst- und altertumsverständig mit dem Sammeln, zuweilen auch mit dem Verkauf von Antiquitäten befaßte und seinerzeit als der berühmteste Boxer von Wien gegolten hatte, mit seiner Riesengestalt, dem langen, grauen Vollbart und dem Monokel, sah eher einem ungarischen Magnaten ähnlich, als einem jüdischen Patriarchen; aus Willy aber hatten Anlage, Liebhaberei und eiserner Wille das täuschende Ebenbild eines geborenen Kavaliers gebildet. Was ihn jedoch vor andern jungen Leuten seines Stammes und seines Strebens auszeichnete, war der Umstand, daß er gewohnt war, seine Abstammung nie zu verleugnen, für jedes zweideutige Lächeln Aufklärung oder Rechenschaft zu fordern und sich gelegentlich über alle Vorurteile und Eitelkeiten, in denen er oft befangen schien, selber lustig zu machen.

      Georg schlenderte weiter. Die letzte Frage Willys klang ihm nach. Ob er die Einsamkeit liebte? ... Er erinnerte sich daran, wie er in Palermo ganze Vormittage allein herumspaziert war, während Grace ihrer Gewohnheit gemäß bis Mittag im Bette lag. Grace ... Wo mochte sie jetzt sein ...? Seit sie in Neapel von ihm Abschied genommen, hatte sie nichts mehr von sich hören lassen, wie es übrigens verabredet gewesen war. Er dachte an die tiefblaue Nacht, die über den Wassern schwebte, als er nach jenem Abschied allein nach Genua gefahren war, und an den seltsamen, leisen, wie märchenhaften Gesang zweier Kinder, die dicht aneinandergeschmiegt, gemeinsam in einen Plaid gehüllt, an der Seite ihrer schlafenden Mutter auf dem Verdeck gesessen waren.

      Mit wachsendem Behagen spazierte er unter den Leuten weiter, die in sonntäglicher Lässigkeit an ihm vorübergingen. Mancher freundliche Frauenblick begegnete dem seinen und schien ihn darüber trösten zu wollen, daß er an diesem schönen Feiernachmittag einsam und mit allen äußern Abzeichen der Trauer umherwandelte. Und wieder tauchte ein Bild in ihm auf. Er sah sich auf einer hügeligen Wiese liegen, spät abends, nach einem heißen Junitag. Dunkelheit ringsum. Tief unter ihm Gewirr von Menschen, Lachen und Lärm, glitzernde Lampions. Ganz nah aus dem Dunkel Mädchenstimmen ... Er zündet die kleine Pfeife an, die er nur auf dem Land zu rauchen pflegt; beim Schein des Zündhölzchens sieht er zwei hübsche, ganz junge Bauerndirnen, beinah noch Kinder. Er plaudert mit ihnen. Sie haben Angst, weil es so finster ist; sie schmiegen sich an ihn. Plötzlich Geknatter, Raketen in der Luft. Von unten ein lautes »Ah«. Bengalisches Licht, violett und rot, über dem unsichtbaren See in der Tiefe. Die Mädchen den Hügel hinab, verschwinden. Dann wird es wieder dunkel, und er liegt allein, schaut in die Finsternis hinauf, die schwül auf ihn herabsinken will. Dies war die Nacht vor dem Tage gewesen, da sein Vater sterben mußte. Und auch ihrer dachte er heute zum erstenmal.

      Er hatte die Ringstraße verlassen, nahm die Richtung der Wieden zu. Ob die Rosners an diesem schönen Tage zu Hause waren? Immerhin lohnte es den kurzen Weg, und jedenfalls zog es ihn mehr dorthin, als zu Ehrenbergs. Nach Else sehnte er sich gar nicht, und ob sie wirklich Heinrich Bermanns Braut sein mochte oder nicht, war ihm beinahe gleichgültig. Er kannte sie schon lange. Sie war elf, er vierzehn Jahre alt gewesen, als sie an der Riviera miteinander Tennis gespielt hatten. Damals glich sie einem Zigeunermädel. Blauschwarze Locken umwirbelten ihr Stirn und Wangen, und ausgelassen war sie wie ein Bub. Ihr Bruder spielte schon damals den Lord, und Georg mußte noch heute lächeln, wenn er sich erinnerte, wie der Fünfzehnjährige eines Tages im lichtgrauen Schlußrock, mit weißen, schwarztamburierten Handschuhen und einem Monokel im Aug, auf der Promenade erschienen war. Frau Ehrenberg war damals vierunddreißig Jahre alt, hoheitsvoll, von übergroßer Gestalt, dabei noch schön, hatte verschleierte Augen und war meistens sehr müde. Es blieb unvergeßlich für Georg, wie eines Tages ihr Gemahl, der millionenreiche Patronenfabrikant, die Seinen überraschte und einfach durch sein Erscheinen der ganzen Ehrenbergischen Vornehmheit ein rasches Ende bereitet hatte. Georg sah ihn noch vor sich, so wie er während des Frühstücks auf der Hotelterrasse aufgetaucht war; ein kleiner, magerer Herr mit graumeliertem Vollbart und japanischen Augen, in weißem schlecht gebügelten Flanellanzug, einen dunklen Strohhut mit rotweiß gestreiftem Band СКАЧАТЬ