Название: Anna Karenina | Krieg und Frieden
Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754188644
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»Gewiß; aber weißt du, wenn man das so recht klar erfaßt hat, so erscheint einem auf einmal alles so klein und nichtig. Wenn man einsieht, daß man bald sterben muß und nichts von einem übrigbleibt, dann kommt einem alles so klein und nichtig vor! Ich halte ja meine Pläne für etwas sehr Wichtiges; aber es stellt sich dann doch heraus, daß sie, selbst wenn ich sie durchführen könnte, etwas ebenso Geringfügiges und Unbedeutendes sind wie die Einkreisung und Erlegung dieser Bärin. Und so verbringt man sein Leben, indem man sich durch Jagd und Arbeit zerstreut, um nur nicht an den Tod zu denken.«
Stepan Arkadjewitsch lächelte in einer feinen, freundlichen Weise, während er das mit anhörte.
»Na, selbstverständlich! Da bist du ja ganz meiner Meinung geworden; besinnst du dich noch, wie du über mich herfielst, weil ich eingestand, daß ich im Leben mir möglichst viel Genuß zu verschaffen suche? Also sei nicht so streng, du Moralprediger!«
»Nein, es gibt doch auch wahrhaft Gutes im Leben ...« Ljewin geriet in Verwirrung. »Aber ich weiß darüber nichts. Ich weiß nur, daß wir bald sterben werden.«
»Aber warum denn bald?«
»Und, weißt du, das Leben hat ja zwar weniger Reiz, wenn man an den Tod denkt, aber man wird doch ruhiger.«
»Im Gegenteil, zu guter Letzt wird es immer lustiger. Na, aber nun muß ich gehen«, sagte Stepan Arkadjewitsch und stand zum zehnten Male auf.
»Aber nein, so bleib doch noch ein bißchen hier!« bat Ljewin und hielt ihn fest. »Wann werden wir uns denn nun wiedersehen? Ich reise morgen ab.«
»Ich bin aber gut! Und bin besonders deshalb hergekommen! Du mußt unter allen Umständen heute zu uns zum Mittagessen kommen. Dein Bruder kommt auch, und auch mein Schwager Karenin kommt.«
»Ist er denn hier?« erwiderte Ljewin und wollte schon nach Kitty fragen. Er hatte gehört, daß sie zu Anfang des Winters in Petersburg bei ihrer anderen Schwester, der Frau eines Diplomaten, zu Besuch gewesen war, wußte aber nicht, ob sie von dort schon zurückgekehrt sei oder nicht. Er besann sich jedoch eines andern und fragte nicht. ›Ob sie heute da ist oder nicht, mir kann es gleich sein‹, sagte er sich.
»Also du kommst?«
»Ja, natürlich.«
»Also um fünf Uhr, im Oberrock.«
Stepan Arkadjewitsch stand auf und ging ein Stockwerk tiefer zu seinem neuen Vorgesetzten. Sein Gefühl hatte ihn nicht betrogen. Der schreckliche neue Vorgesetzte erwies sich als ein sehr umgänglicher Mann; Stepan Arkadjewitsch frühstückte mit ihm und blieb dabei so lange sitzen, daß er erst zwischen drei und vier Uhr zu Alexei Alexandrowitsch kam.
8
Nachdem Alexei Alexandrowitsch vom Meßgottesdienste zurückgekehrt war, hatte er den ganzen Vormittag zu Hause zugebracht. An diesem Vormittage hatte er zweierlei zu tun. Erstens mußte er eine Abordnung der Fremdvölker, die sich nach Petersburg begeben wollte und sich augenblicklich in Moskau befand, empfangen und unterweisen; zweitens mußte er dem Rechtsanwalte den in Aussicht gestellten Brief schreiben. Obgleich die Abordnung auf Alexei Alexandrowitschs eigene Anregung hin nach Petersburg gerufen worden war, konnte ihre Ankunft dort doch mancherlei mißliche Folgen haben, ja sogar gefährlich werden, und Alexei Alexandrowitsch war sehr froh, daß er sie noch in Moskau angetroffen hatte. Die Mitglieder dieser Abordnung hatten nicht die geringste Vorstellung von der Rolle, die sie zu spielen, und von den Pflichten, die sie zu erfüllen hatten. Sie hatten die naive Anschauung, daß ihre ganze Aufgabe darin bestände, ihre Nöte und die wirkliche Lage der Dinge darzulegen und die Regierung um Hilfe zu bitten, und konnten ganz und gar nicht begreifen, daß einige ihrer Mitteilungen und Forderungen zur Unterstützung der feindlichen Partei dienen und somit die ganze Sache verderben würden. Alexei Alexandrowitsch mühte sich lange mit ihnen ab. Er schrieb ihnen für das, was sie sagen sollten, ein Programm auf, innerhalb dessen sie sich zu halten hatten, und schrieb, nachdem er die Leute entlassen hatte, noch einige Briefe nach Petersburg, um die Abordnung dort auf dem richtigen Wege zu halten. Eine sehr wesentliche Hilfe in dieser Angelegenheit erwartete er von der Gräfin Lydia Iwanowna. Sie galt als Sachverständige in Abordnungsangelegenheiten, und niemand verstand es so gut wie sie, eine solche Sache ordentlich in Gang zu bringen und die Abgeordneten zweckmäßig zu führen. Nach Erledigung dieses Geschäftes schrieb Alexei Alexandrowitsch auch noch den Brief an den Rechtsanwalt. Ohne auch nur im geringsten zu schwanken, gab er ihm Vollmacht, zu verfahren, wie er es für nützlich halten werde. In diesen Brief legte er drei Briefe Wronskis an Anna ein, die sich in der von ihm beschlagnahmten Briefmappe befunden hatten.
Seit Alexei Alexandrowitsch von zu Hause mit der Absicht weggereist war, nicht wieder zu seiner Frau zurückzukehren, und seit er den Besuch bei dem Rechtsanwalt gemacht und so wenigstens einem einzigen Menschen von seiner Absicht Mitteilung gemacht hatte und namentlich seit er diese Sache des wirklichen Lebens zu einer papiernen Aktensache gemacht hatte: seitdem fand er sich immer mehr und mehr in sein Vorhaben hinein und erkannte jetzt klar die Möglichkeit, es auszuführen.
Er war gerade dabei, den Brief an den Rechtsanwalt zuzusiegeln, als er Stepan Arkadjewitschs laut schallende Stimme hörte. Dieser stritt sich mit Alexei Alexandrowitschs Diener herum und bestand darauf, daß er ihn anmelden solle.
›Es ist ja doch ganz gleich‹, dachte Alexei Alexandrowitsch, ›oder vielleicht ist es sogar das beste: ich will ihn sofort von meinem Verhältnisse zu seiner Schwester in Kenntnis setzen und ihm auf diese Weise klarmachen, warum ich nicht bei ihm speisen kann.‹
»Ich lasse bitten!« rief er laut, indem er die Papiere zusammenfaßte und in seine Schreibmappe legte.
»Na, da siehst du ja, daß du mir etwas vorschwindelst und er doch zu Hause ist!« hörte er nun Stepan Arkadjewitsch zu dem Diener sagen, der ihn nicht hatte hineinlassen wollen, und im Gehen den Überzieher ausziehend, trat Oblonski ins Zimmer. »Na, ich freue mich sehr, daß ich dich zu Hause getroffen habe. Also ich hoffe ...«, begann Stepan Arkadjewitsch in munterem Tone.
»Es ist mir unmöglich zu kommen«, erwiderte Alexei Alexandrowitsch, der selbst stand und auch den Besucher nicht zum Sitzen aufforderte.
Alexei Alexandrowitsch gedachte sofort das kühle Verhältnis in Kraft treten zu lassen, in dem er mit dem Bruder seiner Frau, gegen die er die Scheidungsklage einleitete, künftig werde stehen müssen; aber er hatte nicht mit jenem Meere von Gutmütigkeit gerechnet, das in Stepan Arkadjewitschs Seele über alle Ufer trat.
Stepan Arkadjewitsch öffnete weit seine klaren, glänzenden Augen.
»Warum kannst du nicht kommen? Was willst du eigentlich damit sagen?« fragte er in höchstem Erstaunen auf französisch. »Nein, du hast es nun doch einmal schon versprochen. Und wir alle rechnen bestimmt auf dein Kommen.«
»Ich will damit sagen, daß ich in Ihrem Hause nicht verkehren kann, weil ich die verwandtschaftlichen Beziehungen, die zwischen uns bestanden haben, abbrechen muß.«
»Aber wie denn? Wie meinst du denn das? Warum?« fragte Stepan Arkadjewitsch lächelnd.
»Weil ich gegen Ihre Schwester, meine Frau, die Scheidungsklage einleite. Ich habe mich dazu genötigt gesehen ...«
Aber Alexei Alexandrowitsch hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als Stepan Arkadjewitsch sich in einer Weise benahm, wie es jener ganz und gar nicht erwartet hatte. Er СКАЧАТЬ