Название: Die drei Lichter der kleinen Veronika
Автор: Manfred Kyber
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754189221
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»Ich liebe alle«, sagte Veronika, »aber ich dachte zuerst an Mutzeputz, weil ich ihn immer nach allem frage. Die anderen kann man gar nicht so fragen, weil sie nicht alles verstehen, was man meint. Am ehesten noch Onkel Johannes. Es kann auch sein, daß Onkel Johannes ebenso klug ist wie Mutzeputz, aber ich glaube das eigentlich nicht. Jedenfalls sind sie beide sehr befreundet, und Onkel Johannes hat große Achtung vor Mutzeputz.«
»Das ist recht von Onkel Johannes«, meinte der Luftgeist, »aber nun wollen wir zusammen zur silbernen Brücke fliegen.«
»Wie kann ich das?« fragte Veronika zaghaft, »da müßte ich auch so schöne Flügel haben wie du.«
»Du hast ja schon welche, merkst du es nicht, daß sie dir an den Schultern gewachsen sind? Bei uns geht das schnell im Garten der Geister.«
Wahrhaftig – Veronika fühlte, wie sich leise federnde Falterschwingen an ihren Schultern bewegten, und schwerelos glitt sie mit dem Luftgeist von der Krone des Baumes in die weite, durchsonnte Sommerluft.
Um sie herum flogen Schmetterlinge.
»Nun bist du wie wir, Veronika«, sagten sie.
Tief unter ihnen lag der Garten mit Kohl und Radieschen, mit Blumen, Käfern und Regenwürmern, und die Quellnixe warf ihre blanken Bälle in die blaue Luft, daß sie im Sonnenlicht zersprangen wie tausend blitzende Diamanten.
»Warum fliegst du so hoch über den Garten hinweg, Veronika?« rief die Igelmutter, »du mußt erst einmal sehen, wie hübsch sich meine Kinder zusammenrollen können.«
»Oh, die niedlichen kleinen Kugeln, mit lauter Stacheln daran!« rief sie entzückt.
»Was fällt dir ein, von Kugeln zu reden?« ärgerte sich die Igelmutter, »das sind keine Kugeln, das sind meine Kinder. Was würdest du sagen, wenn ich deine Kinder Kugeln nennen wollte? Was sind das überhaupt für Ausdrücke!«
»Hier wird einem aber leicht etwas übelgenommen«, sagte Veronika, »erst schimpft die Amsel, dann der Käfer und nun der Igel. Dabei habe ich doch gesagt, daß die Kinder reizend sind.«
»Je tiefer im Garten der Erde, um so mehr wird alles mißverstanden, das kommt von der Dämmerung, Veronika, und am meisten mißverstehen und schimpfen die Menschen«, meinte der Luftgeist. »Veronika hat das gar nicht so gemeint«, rief er nach unten, »und außerdem ist eine Kugel die vollendetste aller Formen.«
»So? Ist das auch wahr?« fragte die Igelmutter geschmeichelt, »und wohin fliegt ihr so eilig?«
»Über die Quelle hinüber zur silbernen Brücke«, rief der Luftgeist.
»Da will ich auch hin«, meinte die Igelmutter, »aber wie soll ich mit den Kleinen über das Wasser? Ich suche schon lange nach einem passenden Übergang.«
»Am andern Ende des Gartens ist eine kleine Brücke«, sagte der Luftgeist, »die führt über die Quelle hinüber.«
»Immer diese Umwege!« knurrte die Igelmutter, »nein, das ist mir heute zu umständlich, dann bleiben wir lieber hier. Es ist auch hier recht sonnig und angenehm.«
»Ja, man muß Umwege machen, bis man zur silbernen Brücke kommt«, sagte der Luftgeist, »auch du wirst noch manchen Umweg machen müssen, kleine Veronika. Aber für den Igel ist es überhaupt noch zu früh, er hat noch hier zu tun. Auch ist er noch zu empfindlich und leicht beleidigt.«
»Wenn die silberne Brücke jenseits der Quelle liegt, dann ist sie ja da, wo Onkel Johannes wohnt?« fragte Veronika. »Am Ende hat sie Onkel Johannes selber gebaut? Dann hätte er mir freilich auch etwas davon sagen können.«
»Onkel Johannes hat wohl schon manche Brücke gebaut, die zu der silbernen Brücke führen sollte, aber die silberne Brücke selber kann er nicht bauen. Ich glaube eher, er hat sich seine Wohnung dort eingerichtet, weil er die silberne Brücke daneben entdeckt hat«, sagte der Luftgeist. »Schau, Veronika, da ist sie!«
Auf silbernen Pfeilern erhob sich die silberne Brücke aus dem Garten der Geister. Sie stieg in weitem Bogen in die klare Luft hinauf und verlor sich schimmernd im Sonnenlicht, in einem Glanz, den die Augen nicht mehr ertragen konnten. So etwas Schönes glaubte Veronika noch nie gesehen zu haben, und doch war es ihr, als wäre sie hier zu Hause und wäre schon oft über die silberne Brücke gegangen. Aber wann war das gewesen – wann? Sie konnte sich nicht mehr darauf besinnen. Da, wo die Brücke begann, waren die Erde und die Steine klar wie aus Glas, und es blühten um sie durchlichtete Lilien und Rosen und tausend andere Blumen, die Veronika nicht alle kannte. Lautlos und ohne Schwere schwebten Gestalten von Menschen und Tieren über die Brücke, und auch sie waren durchdrungen von jenem Licht, das Blumen und Steine erhellte. Auf der Mitte der Brücke aber, gerade dort, wo sie sich im Glanz verlor, standen lauter weißgekleidete Engel mit silbernen Schwingen. Veronika war ganz still geworden und fühlte nichts als das Licht in sich, und ihr war es, als müsse sie vor allen anderen einen Engel besonders anschauen, vielleicht, weil er auch die Augen gerade auf sie gerichtet hatte.
»Sieh dir die silberne Brücke an, kleine Veronika, du kamst von ihr und du gehst wieder zu ihr«, sagte der weißgekleidete Engel, »aber erst kommt die Dämmerung.«
Da schien es der kleinen Veronika, als ob eine große Angst vor der Dämmerung sie ergriffe, obwohl sie nicht so recht wußte, was das eigentlich war.
»Hab keine Furcht, kleine Veronika«, sagte der Engel, »die Dämmerung kommt, und der Glanz der silbernen Brücke wird erlöschen, und auch den Garten der Geister wirst du nicht mehr so sehen, wie du ihn heute sahst, zum letzten Mal. Es wird sehr dunkel, wenn die Dämmerung kommt. Aber ich werde mit dir gehen, und ich werde dir deine drei Lichter anzünden, kleine Veronika, und werde über dir wachen.«
Ein großer, grauer Schleier fiel über die silberne Brücke und über alles, was auf ihr war, so daß Veronika nichts mehr davon sehen konnte. Es war eine tiefe Stille und Traurigkeit um sie. Nur von fern redete es mit leisen Stimmen.
»Siehe, wie weiß unsere Blüten sind«, sagten die Liliengeister, »so rein und so weiß ist das himmlische Hemd, das du einmal wieder tragen wirst.«
»Schau, wie rot unsere Kelche sind«, sagten die Rosenseelen, »so rein und so rot ist der Kelch des Grales, nach dem du einmal wieder die Arme ausstrecken wirst.«
Der graue Schleier wurde dunkler und lag nun auch über dem Garten der Geister, so daß Veronika nicht mehr so deutlich sehen konnte wie vorher.
Der Luftgeist streckte ihr die Hand hin.
»Lebe wohl, Veronika«, sagte er.
»Gehst du auch fort von mir?« fragte Veronika, »gehe nicht fort, ich fürchte mich, allein zu bleiben.«
»Du wirst nicht allein bleiben«, sagte der Luftgeist, und es war, als ob seine leuchtenden Farben verblaßten, »dein Engel wird über dir wachen, und dann hast du doch Mutzeputz und die anderen, die du um Rat fragen kannst.«
»Ich hätte noch gerne jemand wie dich oder die Elfe im Baum«, sagte Veronika.
»Auch das wirst du haben, wenn du ins Haus der Schatten gehen wirst«, sagte der Luftgeist und lächelte freundlich, »im Hause der Schatten lebt ein kleines Geschöpf, das nahe mit uns verwandt ist. Es heißt Magister Mützchen, und es wird dich betreuen, so gutes das kann nach seinen Kräften.«
»Magister СКАЧАТЬ