Название: Seine Exzellenz Eugene Rougon
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188460
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Tatsächlich änderte der Referent plötzlich die Stimme, ging von dem feierlichen Ton zum familiären über und stammelte rasch: »Wir schlagen Ihnen vor, meine Herren, den Gesetzentwurf so, wie er vom Staatsrat vorgelegt worden ist, ohne Einschränkung und Veränderung anzunehmen.«
Und inmitten eines großen verworrenen Getöses setzte er sich hin.
»Sehr richtig! Sehr richtig!« rief der ganze Saal.
Laute Bravorufe ertönten. Herr de Combelot, dessen lächelnde Aufmerksamkeit keine Minute lang nachgelassen hatte, schrie sogar: »Es lebe der Kaiser!«, was in dem Lärm unterging. Und beinahe hätte man Oberst Jobelin, der ganz allein am Rande der Tribüne stand und, ungeachtet der Hausordnung, selbstvergessen mit seinen vertrockneten Händen Beifall klatschte, eine Ovation bereitet. Das ganze Entzücken, das die ersten Sätze hervorgerufen hatten, kam jetzt mit einer neuen Flut von Beglückwünschungen wieder zum Vorschein. Das war das Ende der Fron. Von einer Bank zur anderen wechselte man liebenswürdige Worte, während ein Strom von Freunden auf den Referenten zustürzte, um ihm kräftig beide Hände zu drücken.
Dann herrschte in dem Tumult bald ein Wort vor: »Beratung! Beratung!«
Der Präsident, der hochaufgerichtet am Tisch stand, schien auf diesen Ruf gewartet zu haben. Es gab ein Glockenzeichen, und in dem jäh von Ehrerbietung erfüllten Saal sprach er: »Meine Herren, eine große Anzahl Mitglieder fordert, daß unverzüglich zur Beratung geschritten wird.«
»Ja, ja!« bestätigte die gesamte Kammer mit einem einzigen Geschrei.
Und es fand keine Beratung statt. Man stimmte sofort ab. Die beiden Artikel des Gesetzentwurfes, über die man nacheinander abstimmen ließ, wurden durch Sitzenbleiben und Aufstehen angenommen. Kaum hatte der Präsident die Lesung des Artikels beendet, als sich von oben bis unten auf allen Bänken sämtliche Abgeordneten, wie vom Schwung der Begeisterung emporgerissen, mit lautem Füßescharren wie ein Mann erhoben. Dann machten die Urnen die Runde, Huissiers gingen zwischen den Bänken hindurch und sammelten in den Zinkkästen die Stimmen ein. Die Summe von vierhunderttausend Francs war einstimmig von zweihundertneununddreißig Abgeordneten gebilligt worden.
»Das nenne ich ganze Arbeit«, sagte Herr Béjuin naiv und fing dann an zu lachen, weil er glaubte, etwas Witziges von sich gegeben zu haben.
»Es ist drei Uhr durch, ich verdrücke mich«, murmelte Herr La Rouquette, als er an Herrn Kahn vorbeiging.
Der Saal leerte sich. In aller Stille gelangten Abgeordnete zu den Türen, schienen in den Wänden zu verschwinden. Auf der Tagesordnung standen Gesetze von örtlichem Interesse. Bald saßen auf den Bänken nur noch die gutwilligen Mitglieder, solche, die zweifellos an diesem Tage nichts anderes vorhatten; sie setzten ihren unterbrochenen Schlummer fort, sie nahmen ihr Geplauder genau dort wieder auf, wo sie es abgebrochen hatten, und die Sitzung ging, so wie sie begonnen, in ruhiger Gleichgültigkeit zu Ende. Sogar der Stimmenlärm verebbte nach und nach, als sei der Corps législatif in einem Winkel des schweigenden Paris vollständig eingeschlafen.
»Hören Sie mal, Béjuin«, bat Herr Kahn, »versuchen Sie doch, beim Hinausgehen Delestang zum Reden zu bringen. Er ist zusammen mit Rougon gekommen, er muß etwas wissen.«
»Ah ja, Sie haben recht, das ist Delestang«, murmelte Herr Béjuin, während er den Staatsrat betrachtete, der links von Rougon saß. »Ich erkenne ihn nie, das kommt von diesen verteufelten Amtstrachten.«
»Ich gehe nicht fort, denn ich will unseren großen Mann zu fassen bekommen«, fügte Herr Kahn hinzu. »Wir müssen unbedingt Bescheid wissen.«
Der Präsident ließ über eine nicht endende Reihe von Gesetzentwürfen abstimmen, über die durch Sitzenbleiben und Aufstehen entschieden wurde. Die Abgeordneten standen mechanisch auf, setzten sich wieder, ohne mit Plaudern, ja sogar ohne mit Schlafen aufzuhören. Es wurde so langweilig, daß die wenigen Neugierigen auf den Tribünen weggingen. Nur Rougons Freunde blieben da. Sie hofften noch immer, daß er sprechen würde.
Plötzlich erhob sich ein Abgeordneter mit dem korrekten Backenbart eines Provinzadvokaten. Das brachte den eintönigen Gang der Abstimmungsmaschine mit einmal zum Stillstand. In lebhafter Überraschtheit wandten sich die Köpfe.
»Meine Herren«, sagte der Abgeordnete, in seiner Bank stehend, »ich bitte, mich über die Gründe auslassen zu dürfen, die mich gezwungen haben, der Mehrheit der Kommission sehr wider meinen Willen nicht zuzustimmen.«
Seine Stimme war so grell, so komisch, daß die schöne Clorinde ein Lachen hinter der vorgehaltenen Hand erstickte. Aber unten bei den Herren nahm das Erstaunen zu. Was war denn da los? Weshalb redete er? Durch Fragen erfuhr man schließlich, daß der Präsident soeben den Entwurf eines Gesetzes zur Debatte gestellt hatte, durch welches das Departement PyrénéesOrientales ermächtigt werden sollte; eine Anleihe von zweihundertfünfzigtausend Francs für den Bau eines Justizpalastes in Perpignan aufzunehmen. Der Redner, der dem Generalrat15 dieses Departements angehörte, sprach gegen den Gesetzentwurf. Das schien interessant zu werden. Man hörte zu.
Der Abgeordnete mit dem korrekten Backenbart ging unterdessen mit außerordentlicher Vorsicht vor. Seine Sätze, in deren Verlauf er vor allen nur denkbaren Autoritäten den Hut zog, waren voller Vorbehalte. Aber die Lasten des Departements seien schwer; und er entwarf ein vollständiges Bild der finanziellen Lage der PyrénéesOrientales. Außerdem scheine ihm die Notwendigkeit eines neuen Justizpalastes nicht besonders erwiesen. Auf diese Weise sprach er fast eine Viertelstunde lang.
Als er sich setzte, war er sehr erregt. Rougon, der die Augenlider gehoben hatte, ließ sie langsam wieder sinken.
Dann kam der Referent an die Reihe, ein kleiner, sehr lebhafter Greis, der als ein seiner Sache sicherer Mann mit klarer Stimme sprach. Zunächst richtete er ein höfliches Wort an seinen ehrenwerten Kollegen, mit dem er zu seinem Bedauern nicht übereinstimme. Allein, das Departement PyrénéesOrientales sei weit davon entfernt, so verschuldet zu sein, wie man behaupten wolle; und mit anderen Zahlen entwarf er ein neues vollständiges Bild der finanziellen Lage des Departements. Zudem könne die Notwendigkeit eines Justizpalastes nicht geleugnet werden. Er teilte Einzelheiten mit. Der alte Palast liege in einem so dicht bevölkerten Viertel, daß der Straßenlärm die Richter daran hindere, die Anwälte zu verstehen. Außerdem sei er zu klein; deshalb müßten sich die Zeugen, wenn bei Schwurgerichtsprozessen sehr viele geladen seien, auf einem Treppenabsatz aufhalten, was sie gefährlichen Zudringlichkeiten aussetze. Der Referent schloß damit, daß er als unwiderstehliches Argument verkündete, der Justizminister selber habe die Vorlage des Gesetzentwurfes bewirkt.
Rougon, die Hände auf den Schenkeln gefaltet, den Nacken gegen die Mahagonibank gelehnt, rührte sich nicht. Seit Beginn der Auseinandersetzung schien seine breitschultrige Gestalt noch schwerfälliger geworden. Und als der erste Redner Miene machte, erwidern zu wollen, erhob Rougon langsam seinen massigen Körper, ohne sich ganz bis zum Stehen aufzurichten, und sprach mit belegter Stimme den einzigen Satz: »Der Herr Referent vergaß hinzuzufügen, daß der Innenminister und der Finanzminister dem Gesetzentwurf zugestimmt haben.« Er sank auf seinen Sitz zurück, verfiel von neuem in die Haltung eines schlummernden Stiers. Manche der Abgeordneten hatte ein leichter Schauer überrieselt. Der Redner setzte sich wieder, wobei er grüßend den Oberkörper neigte. Und das Gesetz wurde angenommen. Die wenigen Mitglieder, die der Debatte neugierig gefolgt waren, machten gleichgültige Gesichter.
Rougon hatte gesprochen! Von einer Loge zur anderen zwinkerten Oberst Jobelin und die beiden Charbonnels einander zu, während sich Frau Correur anschickte, die Tribüne zu verlassen, wie man eine Theaterloge vor dem Fallen des Vorhangs verläßt, sobald der Held des Stückes seine letzte Tirade СКАЧАТЬ